Année politique Suisse 1974 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Arbeitsmarkt
Als Folge der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Rezessionsphase bahnte sich 1974 auch am schweizerischen Arbeitsmarkt ein Wandel an. Wiederholt wurde von bevorstehenden strukturellen Verschiebungen gesprochen, eine direkte Gefährdung der Arbeitsplätze jedoch vorerst nicht befürchtet [5]. Laut Statistik herrschte auch immer noch Vollbeschäftigung. Im Jahresdurchschnitt entfielen auf 221 (1973 : 81) registrierte Ganzarbeitslose 2774 (3804) offene Stellen [6]. Ein bereits in den ersten drei Quartalen festgestellter Beschäftigungsrückgang in der Baubranche, im Gastgewerbe und in der Bekleidungsindustrie akzentuierte sich jedoch gegen Jahresende und dehnte sich auf weitere Branchen aus [7]. Dass unter diesen Umständen im Dezember bei immer noch 1473 offenen Stellen bloss 1030 registrierte Ganzarbeitslose zu verzeichnen waren, führte man auf einen gewissen « Export von Arbeitslosigkeit » zurück. Besonders in der Baubranche und im Gastgewerbe wurden nämlich mehrere tausend Saisonarbeitskräfte weniger eingestellt als im Vorjahr und für weitere am Jahresende die Verträge nicht mehr erneuert, was bei den Emigrantenorganisationen verschiedene Proteste auslöste [8]. Auf Schwierigkeiten stiess zudem die Arbeitsvermittlung für ausländische Studenten [9].
Gegen Jahresende gab es schliesslich verschiedene Entlassungen, vor allem in der Baubranche, und « Zwangsferien » zwischen den Feiertagen, dies besonders in exportorientierten Unternehmen, deren Konkurrenzfähigkeit durch den überbewerteten Schweizerfranken beeinträchtigt wurde. Vermehrt kam auch die Kurzarbeit ins Gespräch [10]. Trotz dieser Entwicklung ergab eine Meinungsumfrage, dass die meisten Berufstätigen ihren Arbeitsplatz noch für mehr oder weniger gesichert betrachteten [11]. Immerhin wurde auch der Ruf nach Massnahmen zur Arbeitsplatzsicherung laut [12]. Mit diesem Problem beschäftigte sich ebenfalls das BIGA. Nach der Meinung des Bundesrates sollten dabei die Schweizer Arbeitnehmer gegenüber ausländischen die Priorität haben [13]. In dieser neuen Situation schenkte man natürlich den verschiedenen Betriebsschliessungen vermehrte Aufmerksamkeit. Obwohl sie zahlenmässig immer noch im Rahmen der Vorjahre lagen, erregten sie in Einzelfällen einiges Aufsehen [14]. Ferner gewann der Staat als Arbeitgeber an Attraktivität. Es konnte dadurch in verschiedenen Bereichen der Personalmangel gelindert werden ; bei der Schaffung neuer Stellen verhielt man sich aber aus finanzpolitischen Gründen eher restriktiv, besonders beim Bund [15]. Überdies beschloss das Parlament im Rahmen der Sanierungsmassnahmen für die Bundesfinanzen für die Jahre 1975-77 einen generellen Personalstopp und bewilligte für die zwei folgenden Jahre eine Zunahme des Personalbestandes um nur 0,5 %. Bundesrat Chevallaz wehrte sich vergeblich gegen diesen einschneidenden Beschluss, welcher aus einem Antrag Kaufmann (cvp, SG) hervorgegangen war und sich nicht nur gegen mildere Anträge im Nationalrat, sondern auch im Differenzverfahren zwischen beiden Räten durchzusetzen vermochte [16]. Diese Massnahme entsprach einem freisinnigen Begehren nach einer Personalplafonierung ; über deren Zweckmässigkeit war man aber geteilter Meinung [17].
 
[5] Die Volkswirtschaft, 47/1974, Beilage zu Heft 1, S. 16 ; NBZ, 22, 23.1.74. Vgl. oben, Teil I, 4a.
[6] Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 16 f., 65 ff.
[7] Die Volkswirtschaft, 47/1974, S. 364 f., 558 f., 772 f. ; 48/1975, S. 135 f. ; Bund, 53, 5.3.75.
[8] LNN, 284, 7.12.74 ; NZZ, 521, 19.12.74 ; ferner Vat., 248, 25.10.74 (Reaktionen). Vgl. hierzu auch Anm. 30.
[9] TA, 164, 18.7.74 ; 165, 19.7.74 ; 170, 25.7.74 ; 172, 27.7.74 ; Bund, 184, 9.8.74.
[10] BZ, 263, 9.11.74 und Bund, 278, 27.11.74 (Entlassungen) ; NZ, 390, 14.12.74 (Zwangsferien) ; TA, 267, 16.11.74 ; 280, 2.12.74 (Kurzarbeit). Vgl. auch oben, Teil I, 2 und 4b (Aussenwirtschaft und Währung).
[11] Ww, 47, 20.11.74.
[12] NZZ (sda), 152, 1.4.74 (Schweiz. Bau- und Holzarbeiter-Verband) ; 474, 25.10.74 (SVP Zürich) ; (sda), 483, 5.11.74 (Lithographen) ; CMV-Zeitung, 23, 13.11.74 (Christlicher Metallarbeiter-Verband) ; JdG, 275, 25.11.74 (Uhrenarbeiter) ; VO, 294, 19.12.74 (PdA).
[13] BN, 269, 16.11.74 (BIGA). Vgl. Antwort auf Kleine Anfrage Müller (na, ZH) in Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1947 f.
[14] Ww, 35, 28.8.74 ; Die Volkswirtschaft, 48/1975, S. 10 ff. Vgl. ferner hierzu : NZZ, 426, 13.9.74 (Fall Zent AG Bern) ; Vat., 299, 27.12.74 (Merkblatt des BIGA bezüglich Betriebsschliessungen).
[15] wf, Artikeldienst, 14, 1.4.74 ; NZZ, 485, 7.11.74 ; 495, 19.11.74 ; TA, 300, 27.12.74; TG, 21, 26127.1.74 (Bund).
[16] Amtl. Bull. NR, 1974, S. 958 ff. (Kaufmann) ; 964 (Chevallaz) und 1316 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1974, S. 412 ff. ; 493 f.
[17] NZZ (sda), 163, 7.4.74 (FDP) ; 503, 28.11.74 ; Schweiz. Beamten-Zeitung, 13/14, 4.7.74; NBZ, 299, 27.9.74. Vgl. ferner hierzu : Vat., 221, 24.9.74 ; 240, 16.10.74 ; 241, 17.10.74.