Année politique Suisse 1974 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Berufliche Altersvorsorge
Das Hauptinteresse konzentrierte sich jedoch auf die Ausgestaltung des Ausführungserlasses für die berufliche Altersvorsorge (2. Säule) [16]. Im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebungsaufgabe waren zwei von den 1969/70 eingereichten Verfassungsinitiativen zur AHV/IV, die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche und die überparteilich-bürgerliche, noch hängig geblieben ; sie wurden beide zurückgezogen [17]. Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten, die bereits im Vernehmlassungsverfahren zu den vom Bundesrat 1972 veröffentlichten Richtlinien für ein solches Gesetz sichtbar geworden waren, traten nun erneut unter den Mitgliedern des sachbearbeitenden Ausschusses der AHV-Kommission auf [18]. Die Erarbeitung des Gesetzestextes verzögerte sich zudem wegen des in der bisherigen Diskussion zu wenig beachteten Problems der Inflation [19]. Im Juni wurde ein Vorentwurf des EDI verabschiedet, der folgende Regelung vorsah : Die berufliche Altersvorsorge ist für alle Arbeitnehmer mit über 12 000 Franken Jahreseinkommen vom 25. Altersjahr an obligatorisch. Sie wird von behördlich anerkannten und paritätisch verwalteten Vorsorgeeinrichtungen durchgeführt, denen es freisteht, zur Finanzierung den Beitrags- oder den Leistungsprimat anzuwenden, sofern sie die vorgeschriebenen Mindestleistungen erbringen können. Die Beiträge sind mindestens zur Hälfte vom Arbeitgeber zu übernehmen. Ferner wird Freizügigkeit bei Stellenwechsel gewährleistet und in gewissen Fällen sogar eine Barauszahlung ermöglicht. Die Leistungen werden in Rentenform oder über eine Kapitalabfindung erbracht, wobei die Teuerung auszugleichen ist. Ein gesamtschweizerischer, von allen Pensionskassen gespiesener « Pool » finanziert den Ausgleich der Teuerung und die besonderen Aufwendungen für die Eintrittsgeneration [20].
Da dieser Kompromiss in verschiedenen Punkten erheblich vom Inhalt der ursprünglichen Richtlinien abwich, beschloss der Bundesrat, trotz verschiedener Einwände eine erneute Vernehmlassung durchzuführen [21]. In dieser erregten vor allem der vorgeschlagene « Pool » und die Gefahr von Steuerverlusten infolge zusätzlicher Sozialabzüge in den Kantonen gewisse Bedenken ; es stellte sich aber auch die Frage der wirtschaftlichen Tragbarkeit. Zudem wurde eingewandt, dass die Grundlagen für die Berechnung der wirtschaftlichen Auswirkungen mangelhaft seien und dass allzu vieles erst auf dem Verordnungswege geregelt werden solle. Trotz allem war aber in den meisten Stellungnahmen eine positive Grundhaltung zu erkennen [22]. Mit zwei parlamentarischen Initiativen zeigte der Zuger Freisinnige Brunner überdies konkrete Möglichkeiten, wie man die angefochtene Pool-Lösung ersetzen und durch eine Übergangslösung wenigstens den unbestrittenen Teil der Vorlage wie vorgesehen auf Anfang 1976 in Kraft treten lassen könnte [23].
Parallel zu diesem Gesetzgebungsprozess wurde die Verwirklichung der 2. Säule auf freiwilliger Basis fortgesetzt, wozu Banken und Versicherungen die notwendigen Anlageeinrichtungen schufen [24]. Bankkreise schlugen auch vor, man solle Vorsorgegelder vermehrt von der Steuerpflicht befreien [25].
 
[16] TA, 97, 27.4.74 ; Bund, 122, 28.5.74 ; VO, 126, 5.6.74. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 124; 1973, S. 121 f.
[17] BBI, 1974, II, Nr. 34, S. 454 ; gk, 7, 21.2.74; BN, 42, 19.2.74; NZZ, 84, 20.2.74 ; (sda), 377, 16.8.74 ; VO, 42, 20.2.74; GdL (sda), 48, 27.2.74. Vgl. auch SPJ, 1970, S. 140; 1973, S. 121 f.
[18] TA, 119, 25.5.74.
[19] NZZ, 220, 14.5.74. Vgl. auch Antwort auf Kleine Anfrage Meizoz (sp, VD) in Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1110 f.
[20] TA, 127, 5.6.74; 166, 20.7.74 ; Ldb, 156, 10.7.74 ; Bund, 161, 14.7.74 ; NZZ, 333, 21.7.74 ; VO, 169, 25.7.74 ; 170, 26.7.74 ; 192, 21.8.74 ; 194, 28.8.74.
[21] TA, 152, 4.7.74; NZZ, 321, 14.7.74 ; 392, 25.8.74 ; 415, 7.9.74 ; 419, 10.9.74 ; AZ, 178, 2.8.74.
[22] Vgl. u.a.: NZZ (sda), 413, 6.9.74 (FDP) ; 472, 23.10.74 (SVP) ; (sda), 482, 4.11.74 (Gewerbe) ; Vat., 249, 26.10.74 (CNG) ; 273, 25.11.74 (CVP) ; Tw, 253, 30.10.74 (SP, SBG) Der Ring, 18, 11.11.74 (LdU) ; ferner als Zusammenfassung : NZZ, 519, 17.12.74. Vgl. zu Einzelproblemen : NZZ, 392, 25.8.74 ; 405, 2.9.74 und 444, 25.9.74 (Pool): 454, 2.10.74 (Steuerausfall) ; 456, 4.10.74 (Finanzierungsart) ; 465, 15.10.74 (Auswirkung auf Kapitalmarkt) Bund, 218, 18.9.74 (Freizügigkeit) ; NBZ, 292, 23.9.74 und 350, 8.11.74 (wirtschaftliche Tragbarkeit).
[23] TA, 267, 16.11.74 ; Tw, 270, 19.11.74.
[24] NZZ (sda), 77, 15.2.74 ; BZ, 109, 11.5.74 ; Vat., 109, 11.5.74 ; TG, 113, 16.5.74; Die Volkswirtschaft, 47/1974, S. 366, 562 ff. ; Vat. (spk), 207, 7.9.74.
[25] Bund, 158, 10.7.74; NZZ (sda), 383, 20.8.74. Vgl. ferner einen Vorschlag zum Wohnungseigentum über die 2. Säule (SHZ, 49, 5.13.74).