Année politique Suisse 1974 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Frauen
Ein
Bericht über die Stellung der Frau in der Schweiz, welcher im Auftrag der Nationalen Schweizerischen UNESCO-Kommission vom Soziologischen Institut der Universität Zürich erstellt worden war und im Frühjahr vom Bundesrat zur Vernehmlassung unterbreitet wurde, rief heftige Kritik hervor
[32]. Diese betraf zunächst das Vorgehen bei der Veröffentlichung dieser zum grösseren Teil durch den Bund finanzierten Studie. Verschiedene Journalisten hatten bereits vor der Publikation Zugang zum Material ; zudem wurde für eine Illustrierte hoch ein spezieller « Sex-Report » erstellt. Man sprach von Eigenrezension
[33]. Die Kritik galt aber auch dem Inhalt des Berichtes. Es wurden methodische und wissenschaftliche Einwände erhoben
[34]. Besonders umstritten waren die Schlussfolgerungen
[35]. Wenn die Untersuchung zum Ergebnis kam, dass die Schweizer Frau in jeder Hinsicht diskriminiert und auf der ganzen Linie dem Manne untertan sei, so brachte sie für die einen den wissenschaftlich hieb- und stichfesten Beweis für das, was sie schon lange zu wissen glaubten
[36]. Andere fragten sich dagegen, ob die Studie tatsächlich ein echtes Bild der realen Situation wiedergebe ; dabei wurde auch die Soziologie selbst in Frage gestellt
[37]. In den bis zum Jahresende eingegangenen Vernehmlassungen überwog aber doch ein positiver Ton. Verschiedentlich wünschte man eine Weiterbehandlung der Fragen durch eine Expertenkommission
[38], so auch im Nationalrat, wo man es ablehnte, zwei Postulate aus dem Jahre 1969 abzuschreiben, in welchen ein Bericht über die Stellung der Frau sowie Vorschläge zu deren rechtlicher und tatsächlicher Verbesserung gewünscht worden waren
[39]. Die frauenrechtlichen Diskussionen standen im übrigen vorwiegend im Zeichen der umfangreichen Vorbereitungen, die auf den für 1975 vorgesehenen Frauenkongress getroffen wurden
[40].
In der Auseinandersetzung über die Frage des straflosen Schwangerschaftsabbruchs traf Ende Juni der Bundesrat seinen Entscheid. Nach langwierigen Beratungen
[41] beschloss er, den Stimmbürgern die
Ablehnung der 1971 eingereichten Initiative ohne Gegenvorschlag zu empfehlen, dafür aber auf der Ebene der Gesetzgebung eine Liberalisierung der strafrechtlichen Bestimmungen im Sinne einer erweiterten Indikation (einschliesslich sozialer Beweggründe) zu beantragen. Die Wahl der erweiterten Indikationslösung widersprach allen Erwartungen, hatte doch gerade diese Variante am wenigsten Widerhall gefunden. Bundespräsident Brugger selbst sprach von einem « Ersatz einer schlechten Lösung durch eine weniger schlechte ». Diese ging den einen wegen des Einbezugs der sozialen Indikation bereits zu weit, den anderen dagegen enthielt sie immer noch zu starke Einschränkungen der persönlichen Freiheit und barg vor allem die Gefahr von Unsicherheiten und Ungleichheiten
[42]. Der Entscheid fand aber auch im Regierungskollegium keinen ungebrochenen Rückhalt. Der Chef des zuständigen Departementes, Bundesrat Furgler, erklärte sich aus weltanschaulichen Gründen ausserstande, eine andere als die engere Indikationslösung vor dem Parlament zu verfechten. Um einer drohenden Koalitionskrise zu begegnen, erklärte sich sein Kollege Brugger bereit, die Vorlage in seiner Eigenschaft als Bundespräsident in den Räten zu vertreten. Mit Rücksicht auf die besondere ethische Natur des Problems stimmte der Bundesrat dieser Übertragung zu
[43].
Die öffentliche Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch hielt unvermindert an
[44]. Nachdem sich bereits in der Vernehmlassung die Mehrzahl der befragten politischen Gruppierungen für die Fristenlösung ausgesprochen hatte, ergab nun auch eine Meinungsumfrage eine relative Mehrheit (33 %) zugunsten dieser Lösung ; weitere 9 % der Befragten befürworteten zudem eine völlige Freigabe des Schwangerschaftsabbruches. 29 % waren für den status quo (enge Indikationslösung) und 21 % votierten für die vom Bundesrat beantragte erweiterte Indikationslösung
[45]. Neben die Vereinigung « Ja zum Leben », zu deren neuem Präsidenten alt Bundesrat Bonvin gewählt wurde, trat nun noch die Aktion « Helfen statt töten ». Diese wurde auf Initiative des Schweizerischen Weissen Kreuzes gegründet und vereinigt vor allem Ärzte, Theologen und Pädagogen, welche sich für den Schutz von Mutter und Kind vor unverantwortlichem Schwangerschaftsabbruch einsetzen wollen
[46].
[32] T. Held und R. Levy, Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft, Eine soziologische Analyse am Beispiel der Schweiz, Frauenfeld 1974, sowie die Kurzfassung, Untersuchung über die Stellung der Frau in der Schweiz, Im Auftrag der Nationalen Schweizerischen UNESCO-Kommission, Bern 1974. Vgl. auch SPl, 1969, S. 128 ; TA, 96, 26.4.74; NZZ, 217, 12.5.74.
[33] NZZ, 199, 1.5.74 ; 217, 12.5.74 ; 225, 16.5.74 ; Ww, 20, 15.5.74.
[34] BZ, 159, 11.7.74 ; Bund, 176, 31.7.74.
[35] TA-Magazin, 17, 27.4.74 ; Ww, 18, 1.5.74; Bund, 106, 8.5.74 ; LNN, 114, 17.5.74 ; 115, 18.5.74; Konzept, 5, 20.5.74; 6, 20.6.74; Vat., 130, 7.6.74. Vgl. auch Entgegnungen der Autoren (LNN, 154, 6.7.74 ; TA-Magazin, 33, 17.8.74).
[36] NZ, 148, 133.74 ; Ww, 20, 15.5.74.
[37] Vat., 117, 21.5.74; Bund, 140, 19.6.74; 141, 20.6.74 ; 175, 30.7.74; NZZ, 338, 24.7.74 ; 377, 16.8.74 ; 428, 15.9.74.
[38] Ldb, 252, 31.10.74 (FDP) ; Vat., 259, 8.11.74 (CVP) ; Tw (sda), 294, 17.12.74 (SPS) ; NZ, 355, 13.11.74 (Basel-Land) ; NZZ (sda), 490, 13.11.74 (Thurgau) ; 520, 18.12.74 (Glarus) ; Vat., 296, 21.12.74 (Obwalden) ; NZZ (sda), 524, 23.12.74 (BSF) ; Ostschw., 288, 10.12.74 (Staatsbürgerlicher Verband kath. Schweizerinnen).
[39] Gesch. ber., 1973, S. 43 f. ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 710 ff. Vgl. auch SPJ, 1969, S. 128.
[40] NZ, 148, 13.5.74 ; TLM, 130, 11.5.74; NZZ (spk), 424, 12.9.74. Vgl. überdies zur Rechtsstellung der Frau : M. Haller-Zimmermann, Die UNO-Menschenrechtskonventionen und die rechtliche Stellung der Frau in der Schweiz, Zürich 1973 ; TA-Magazin, 3, 19.1.74.
[41] TA, 100, 2.5.74 ; Ww, 19, 8.5.74 ; NZZ, 273, 16.6.74. Vgl. auch ein Votum Allgöwer (]du, BS) bei der Behandlung des Geschäftsberichtes (Amtl. Bull. NR, 1974, S. 718, 722).
[42] BBI, 1974, II, Nr. 40, S. 703 ff. Vgl. Presse vom 25.-26.6.74 und vom 2.-3.10.74 ; ferner als Zusammenfassungen : Vat., 150, 2.7.74 ; 266, 16.11.74 ; Ww, 27, 3.7.74 ; 41, 9.10.74 ; LNN, 154, 6.7.74. BR Brugger : NZZ, 454, 2.10.74. Vgl. ferner Stellungnahmen : JdG, 146, 26.6.74 (Schweiz. Bischofskonferenz) ; 230, 3.10.74 (Pro Veritate) ; Vat., 145, 26.6.74 (CVP) ; 264, 9.10.74 (Vereinigung kath. Laien) ; NZZ (sda), 307, 5.7.74 (SGB) ; TA, 155, 8.7.74 (SP Frauengruppe) ; VO, 249, 28.10.74 (Schweiz. Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch).
[43] Ostschw., 146, 26.6.74 ; NZZ, 292, 27.6.74.
[44] Vgl. u.a. : Profil, 53/1974, S. 12 ff., 198 ff., 324 ff. ; Vat., 120, 25.5.74 ; 126, 1.6.74 ; 154, 6.7.74 ; 260, 9.11.74 ; Bund, 154, 5.7.74 ; 291, 12.12.74 ; ferner : H. Ringeling und H. Ruh (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch. Theologische und kirchliche Stellungnahmen, Basel 1974 ; H. Stamm, Probleme des legalen Aborts in der Schweiz, Liestal 1974. Die Schweiz. Gesellschaft für Familienplanung führte eine Arbeitstagung zu diesem Thema durch (NZZ, 96, 27.2.74 ; BN, 58, 9.3.74). Vgl. auch SPJ, 1971, S. 132 f. ; 1972, S. 121 f. ; 1973, S. 119 f.
[45] Vernehmlassung : SPJ, 1973, S. 119 f. Meinungsumfrage : Ww, 28, 10.7.74 ; Vat., 172, 27.7.74.
[46] NZZ, 300, 2.7.74 ; (sda), 458, 7.10.74 ; (sda), 489, 12.11.74 (Bonvin).
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