Année politique Suisse 1974 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kulturpolitik
Es kann angesichts der Finanzlage der öffentlichen Hand nicht überraschen, dass im Bereich der Kulturpolitik die Rückschläge die Fortschritte überwogen. Der umfassende Kulturbericht, an welchem die 1969 eingesetzte Kommission Clottu arbeitete und der bereits 1972 als im wesentlichen abgeschlossen bezeichnet wurde, erschien noch immer nicht. Einzelheiten über interne Differenzen und angeblich von « Kulturbeamten » zusammengestrichene kritische Abschnitte gelangten über verärgerte Mitarbeiter in die Presse und führten unter anderem zu einer Kleinen Anfrage Rasser (ldu, AG). Der Bundesrat betonte in seiner Antwort, dass eidgenössische Beamte gegenüber den Enquêteuren und Redaktoren des Berichts keinerlei Kompetenzen hätten [1].
Der Kanton Luzern kam dem Bund zuvor und veröffentlichte einen « Bericht Kultur » [2]. Der Sparwille von Volk und Regierung äusserte sich in zahlreichen Massnahmen [3]. Im Zuge einer eigentlichen Sparwut fielen auch eher fragwürdige Entscheidungen. Die Stimmberechtigten des Kantons Zürich entschieden sich gegen eine Vorlage, welche die Fusion der zwei Zürcher Musikinstitute vorsah und neben der wünschenswerten Rationalisierung des Musikunterrichtes nur unbeträchtliche Mehrkosten gebracht hätte [4]. Erst unter dem Druck der Öffentlichkeit widerrief der Luzerner Stadtrat einen Beschluss, der die Aufhebung des Ehrengrabes von Carl Spitteler vorsah [5]. Die Reizschwelle schien nicht nur in Finanzfragen, sondern auch in den Auseinandersetzungen um pornografische Filme und um in « sex shops » angebotene Produkte zu sinken. Nachdem bereits 1973 in Genf eine mit 11 574 Unterschriften versehene Petition « Halte à la pollution morale » eingereicht worden war, wurden ähnliche Unternehmen im Kanton Waadt gestartet und in der Stadt Thun abgeschlossen [6]. Im Kanton Tessin ergriff eine « Bewegung für Menschenwürde » erfolgreich das Referendum gegen die vom Grossen Rat beschlossene Abschaffung der Filmzensur [7]. Das Divine-Light-Zentrum, eine « geistig-kulturelle Gemeinschaft » um den Inder Swami Omkarananda hatte die Winterthurer Öffentlichkeit schon seit Jahren beschäftigt. Mit dem Erwerb zahlreicher Grundstücke verunsicherte es besonders die Bewohner des Brühlbergquartiers. Die Verfügung einer Ausweisung gegen den Inder und eine Flut von Prozessen, die das Bezirksgericht überforderten und schliesslich lahmlegten, führten gegen Ende 1974 zu einer gespannten Lage [8].
 
[1] Vgl. SPJ, 1969, S. 141 ; 1972, S. 137 ; TA, 291, 14.12.73 ; 58, 11.3.74 ; JdG, 109, 11./12.5.74 ; NZZ, 270, 14.6.74 ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1106 f.
[2] LNN, 166, 20.7.74 ; NZZ, 348, 30.7.74 ; Vat., 184, 10.8.74 ; 207, 7.9.74.
[3] BN, 93, 22.4.74 ; 141, 20.6.74 ; TA, 125, 1.6.74 ; Tat, 249, 25.10.74 ; JdG, 262, 9./10.11.74 ; NZZ, 511, 7./8.12.74 ; 513, 10.12.74 ; NZ, 393, 16.12.74.
[4] TA, 280, 2.12.74 ; 281, 3.12.74 ; 286, 9.12.74 ; NZZ, 510, 6.12.74.
[5] TA, 303, 31.12.74 ; Bund, 3, 6.1.75 ; LNN, 10, 14.1.75.
[6] GdL, 12, 16.1.74 ; TLM, 16, 16.1.74 ; TG, 90, 19.4.74 ; Bund, 107, 9.5.74.
[7] Vgl. unten, Teil II, 6; TA, 78, 3.4.74 ; NZ, 164, 28.5.74 ; NZZ, 252, 4.6.74; 265, 11.6.74.
[8] Ww, 13, 27.3.74 ; 48, 27.11.74 ; Ldb, 268, 19.11.74 ; 269, 20.11.74 ; NZZ, 502, 27.11.74.