Année politique Suisse 1974 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Radio und Fernsehen
Die immer dringlicher werdende Eingliederung von Radio und Fernsehen in die Verfassungsordnung kam 1974 nur mühsam voran. Der Bundesrat hatte 1973 einen Entwurf vorgelegt, der gegenüber der Version von 1968 wesentlich ausführlicher war und neu mehrere Grundsätze programmpolitischer Natur festhielt (z. B. Wahrung und Förderung der geistigen, sozialen, kulturellen und religiösen Werte der Bevölkerung). Die Gesetzgebung sollte ferner die Freiheit der Institutionen — öffentlichen oder privaten Rechts — in der Schaffung und Verbreitung der Programme gewährleisten
[16]. Der
Ständerat, der den Text als erste Kammer hätte beraten müssen, war nicht in der Lage, das schwierige Traktandum zu erledigen. Seine vorberatende Kommission unter dem Vorsitz von R. Broger (cvp, AI) beschloss im Februar, vor der definitiven Beratung Hearings durchzuführen
[17]. Aussprachen mit Fachleuten und ein vielbeachteter Besuch in den Zürcher Fernsehstudios, wo sich die Ratsherren umstrittene Filme vorführen liessen
[18], führten schliesslich zu einer eigenen,
gegenüber dem Entwurf des Bundesrates leicht abweichenden Fassung des Artikels 36 quater. Neu wurde die Bestimmung aufgenommen, dass der Gesetzgeber auf die Stellung und die Aufgabe anderer Informationsträger, vor allem auf die Presse, Rücksicht zu nehmen habe — ein Ansatz zu einer umfassenden Medienpolitik, der im Hinblick auf die Neufassung von Art. 55 BV (Presseartikel) begrüsst wurde und auch eine Handhabe gibt, die pressepolitisch unerwünschte Werbung im lokalen Kabelfernsehen zu verbieten. Mit dem Vorschlag der Schaffung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz wurde ein in medienpolitischen Diskussionen schon mehrfach geäussertes Begehren wieder aufgenommen. In der Fassung der Kommission werden ferner neu die ,Interessen der Kantone und die Achtung vor der Persönlichkeit erwähnt
[19]. Eine Erkrankung des Kommissionspräsidenten Broger verzögerte schliesslich die Behandlung im Rat.
Die Auseinandersetzungen um die
Gestaltung der Informationssendungen des Fernsehens verschärften sich, als sich Ende Januar eine überparteiliche Vereinigung schweizerischer Fernsehzuschauer und Radiohörer, die « Schweizerische Fernsehund Radio-Vereinigung » (SFRV) konstituierte. Die SFRV, als deren Präsident Nationalrat W. Hofer (svp, BE) gewählt wurde, will « nachgewiesene Tendenzen zur einseitigen Beeinflussung des Publikums » bekämpfen und unter anderem auch an der Ausarbeitung des Verfassungstextes und der Gesetzgebung über Radio und Fernsehen mitarbeiten. Die Gründung stiess auch im Kreise der in der SFRV vertretenen Parteien CVP, FDP und LdU vorwiegend auf Skepsis oder Ablehnung. Man äusserte Zweifel an der Möglichkeit der « unautorisierten » SFRV, ihre anspruchsvollen Ziele zu verwirklichen, und wies darauf hin, dass es in erster Linie Aufgabe der zuständigen Konzessionsbehörde — der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft — sei, eine einseitige Berichterstattung zu verhindern
[20]. Im April wandte sich eine von zahlreichen Persönlichkeiten unterstützte « Aktion Freiheit für Radio und Fernsehen » gegen « Druckversuche » im Bereich der freien Meinungsbildung
[21]. Ins Schussfeld der Kritik gelangte vor allem eine Berichterstattung zur Chile-Debatte aus dem Bundeshaus
[22]. Eine Repräsentativumfrage über allfällige politische Tendenzen der Tagesschau ergab ein Resultat, welches die Bedeutung des anhaltenden Seilziehens um das « Monopolärgernis » Fernsehen relativiert : 54 % der Befragten beurteilten die Tagesschau als politisch neutral, 10 % als eher zu rechts und 8 % als eher zu links
[23].
Als grenzüberschreitendes Medium hatte sich das Westschweizer Fernsehen mit französischer Kritik zu befassen
[24]. Die Tessiner Fernsehleute erhielten die umstrittene Anweisung, keine Sendungen zum italienischen Ehescheidungsreferendum auszustrahlen
[25]. Das Projekt eines Privatsenders im Fürstentum Liechtenstein, in welches der Zürcher Verlag Jean Frey AG auch die elf Gemeinden des Fürstentums als Teilhaber einbeziehen wollte, warf die Frage nach der Konzessionshoheit auf. Diese wurde bisher von der Schweiz ausgeübt, wird aber gegenwärtig neu geregelt. Dem weiteren Gang der Verhandlungen war zu entnehmen, dass die liechtensteinische Regierung der schweizerischen Forderung nach einem Verzicht auf Radiowerbung Verständnis entgegenbrachte
[26]. Das im Verband der Angestellten des Schweizer Fernsehens organisierte Fernsehpersonal beschloss, sich unter neuem Namen (Syndikat schweizerischer Medienschaffender, SSM) dem SGB anzuschliessen. Ziel des SSM ist es, sich zu einer umfassenden Mediengewerkschaft auszuweiten. Die Schweizerische Journalisten-Union zeigte sich an einer Fusion interessiert
[27].
[16] Vgl. SPJ, 1968, S. 130 ; 1973, S. 138 ; BBl, 1973, II, Nr. 51, S. 1231 ff. und 1314 ff.
[17] LNN, 36, 13.2.74 ; NZZ (sda), 72, 13.2.74 ; Bund, 39, 17.2.74.
[18] NZ (ddp), 122, 20.4.74 ; NZZ, 183, 22.4.74 ; TA, 96, 26.4.74 ; vgl. auch Schweizer Illustrierte, 17, 22.4.74.
[19] LNN, 257, 6.11.74 ; TLM, 310, 6.11.74 ; TG, 259, 6.11.74 ; NZZ, 493, 16./17.11.74 ; 500, 25.11.74 ; Vat., 284, 7.12.74 ; Bund, 287, 8.12.74.
[20] TA (ddp), 25, 31.1.74 ; 109, 13.5.74 ; NBZ, 35, 2.2.74 ; NZ, 36, 2.2.74 ; Ww, 6, 6.2.74 ; Ldb, 31, 7.2.74 ; NZZ (sda), 65, 8.2.74 ; Tw, 131, 10.6.74 ; 292, 14./15.12.74. Eine Replik von Prof. W. Hofer in Ww, 7, 13.2.74.
[21] JdG, 103, 4./5.5.74 ; LNN, 103, 4.5.74 ; NZ, 141, 7.5.74.
[22] Vat. (sda), 69, 23.3.74 ; 71, 26.3.74 ; NZZ (sda), 141, 25.3.74 ; 159, 4.4.74 ; TG, 73, 28.3.74 ; NZ (ddp), 105, 3.4.74 ; Ww, 14, 3.4.74. Vgl. oben, Teil 1, 2 (hospitalité).
[24] GdL, 62, 15.3.74 ; 63, 16./17.3.74 ; TA, 63, 16.3.74.
[25] Vgl. oben, Teil I, 2 ; NZZ, 92, 25.2.74 ; 102, 2.3.74 ; Bund, 50, 1.3.74 ; 134, 12.6.74. Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1974, S. 689 und 1105 f.
[26] TG, 103, 4./5.5.74 ; NZZ, 205, 5.5.74 ; Ww, 19, 8.5.74 ; NZ, 191, 22.6.74.
[27] NZZ, 236, 24.5.74 ; Tw, 144, 25.6.74 ; VO, 207, 9.9.74 ; TA, 232, 7.10.74.
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