Année politique Suisse 1975 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Kleine Linksparteien
Auf der äussersten Linken stand die Partei der Arbeit (PdA) einer wachsenden Konkurrenz jüngerer Gruppierungen gegenüber. In ihrer Wahlplattform berief sie sich — im Sinne eines ersten Schrittes zu einer sozialistischen Schweiz — auf die im Mai eingereichte Initiative gegen Teuerung und Inflation ; diese sah eine weitgehende Kontrolle der Privatwirtschaft und die Verstaatlichung monopolistischer Unternehmungen vor. Ihrer bisherigen Linie gemäss proklamierte sich die PdA einerseits als einzige grundsätzliche Alternative zur Politik des Grossbürgertums und betonte sie anderseits die Notwendigkeit einer Einheit der Linken. Vor allem strebte sie ein Zusammengehen mit den Sozialdemokraten an
[30]. In der deutschen Schweiz hatte sie damit freilich keinen Erfolg, weil hier die Kantonalparteien der SP zu Listenverbindungen nicht bereit waren. Die deutschschweizerischen PdA-Sektionen wiesen darauf ihrerseits entsprechende Angebote von Gruppen der Neuen Linken zurück. Dabei wandten sie sich speziell gegen die POCH (Progressive Organisationen), indem sie ihr vorwarfen, sie spalte oder konkurrenziere bestehende linksgerichtete Organisationen
[31].
Bedeutsam erscheint in diesem Konflikt, dass sich die POCH in ihren programmatischen Schriften auf die Kommunistische Weltbewegung beruft, mit der die PdA rege Beziehungen unterhält, dass sie aber den Führungsanspruch der traditionellen Trägerin des Kommunismus in der Schweiz ignoriert. Im Unterschied zur Wahlplattform der PdA legt die POCH besonderes Gewicht auf die Vereinigung der einheimischen und der ausländischen Arbeiter. Und wenn sich die PdA seit 1967 zum Mehrparteiensystem bekennt und eine Distanzierung der Schweiz von allen militärischen Blöcken befürwortet, so lehnt die POCH die Vorstellung eines « schweizerischen Sozialismus », der ohne Anschluss an das kommunistisch-antiimperialistische Bündnissystem aufgebaut werden könnte, ab
[32]. Wohl vermochte die POCH kein Nationalratsmandat zu gewinnen ; ihre auf die deutschsprachigen Kantone beschränkte Wählerzahl beträgt jedoch schon fast das Doppelte derjenigen der PdA in der deutschen Schweiz
[33]. Ausserdem nahmen einzelne POCH-Vertreter in drei weiteren Kantonsparlamenten Einsitz
[34].
Nur symbolischen Charakter hatte die Wahlaktivität der Revolutionären marxistischen Liga. Sie beteiligte sich sowohl an der Bestellung der zürcherischen Kantonsbehörden wie in zwölf Kantonen an der Kampagne für den Nationalrat. Es ging ihr aber mehr um eine Gelegenheit zur Verstärkung ihrer Agitation als um einen Mandatgewinn. Immerhin erklärte sie sich zu Listenverbindungen mit kommunistischen Parteien bereit ; mit der POCH kamen solche zustande
[35].
Den einzigen Sitz für die Neue Linke gewann der Partito socialista autonomo (PSA) im Tessin, wo sich die PdA wie 1971 zur Listenverbindung herbeiliess ; der Gewählte ermöglichte dafür seinen Wahlhelfern, die einen ihrer fünf Sitze verloren hatten, die Stärke einer Fraktion beizubehalten. Im übrigen arbeitete der PSA mit der POCH eng zusammen, wobei auch der gemeinsame Aufbau einer entsprechenden Organisation in der Westschweiz vorgesehen wurde
[36].
[30] Plattform : Vorwärts, 26, 26.6.75. Initiative : vgl. SPJ, 1974, S. 174 sowie oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[31] Listenverbindungen : POCH-Zeitung, 5, 3.7.75 ; Bresche, Nr. 52, Juli 1975: Vorwärts, 36, 4.9.75. Zu den Spannungen zwischen PdA und POCH vgl. auch Zeitdienst, 20, 23.5.75 ; 27, 11.7.75 ; NZ, 300, 27.9.75 ; 24 Heures, 236, 11.10.75.
[32] Delegiertenversanmtlung der POCH '75 17./18./19. Mai 1975 in Basel, Bericht der Geschäftsleitung, Programmatisches Dokument, Resolutionen, Zürich 1975 ; POCH — Wer sind wir? Was wollen wir? Zürich 1975. Vgl. auch « Anmerkungen zu Thesen der PdA », in Positionen, Nr. 5, Nov. 1975, S. 8 ff. Über internationale Kontakte der PdA vgl. Vorwärts, 7, 13.2.75 (Spanien) : 8, 20.2.75 (Italien) ; 18, 1.5.75 (Sowjetunion) ; 23, 5.6.75 (DDR) ; VO, 150, 3.7.75 (Bulgarien). Vgl. ferner SPJ, 1967, S. 154.
[33] POCH (ZH, BE, LU, SO, BS, BL, SH, SG, AG) : 19173. PdA (ZH, BE, BS, BL, SG) : 10 241. Das Wiederauftreten der PdA in BE, BL und SG wurde als Konkurrenzmassnahme gegen die POCH gedeutet (24 Heures, 236, 11.10.75).
[34] In BL, LU und ZH (vgl. oben, Teil I, 1e, Elections cantonales et communales).
[35] Zürich : Vgl. oben, Teil I, 1e (Elections cantonales et communales). Nationalrat : Bresche, Nr. 52, Juli 1975 ; 54, 15.9.75 ; 55, 5.10.75 ; 58, 15.11.75.
[36] Vgl, oben. Teil I, 1e (Résultat des élections au CN). Listenverbindung : Vorwärts, 36, 4.9.75 ; SPJ, 1971, S. 32. Zusammenarbeit mit POCH : POCH-Zeitung. 46, 22.5.75 ; 26, 18.12.75.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.