Année politique Suisse 1975 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
 
UNO
Die starken Umweltbindungen der Schweiz veranlassen die Behörden, in zahlreichen Spezialorganisationen der Vereinten Nationen (UNO) sowie in anderen internationalen Zweckverbänden, die sich mit wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Problemen befassen, mitzuwirken und manchen der dort ausgehandelten Verträge beizutreten [53]. In letzter Zeit drohen aber einige dieser Organisationen in einzelnen Fragen zu einem Machtinstrument der von Ostblock und Entwicklungsländern beherrschten UNO-Mehrheit zu werden, was namentlich im Verhalten der UNESCO gegenüber Israel zum Ausdruck kommt [54]. Der Unwille einer durch solche Politisierungstendenzen provozierten Öffentlichkeit äusserte sich in Protesten und engagierten Parlamentsdebatten, so dass Bundespräsident Graber sich veranlasst sah, vor unbedachten Reaktionen zu warnen und den Nutzen internationaler Kooperation in Erinnerung zu rufen. Die Grosse Kammer überwies eine Motion Allgöwer (ldu, BS), welche die Mitarbeit der Schweiz in den UNO-Gremien neu zu überprüfen verlangte ; der Ständerat jedoch versagte diesem Vorstoss seine Unterstützung [55].
Die zunehmende Polarisierung innerhalb internationaler Organisationen war nicht dazu angetan, einen UNO-Beitritt populärer zu machen [56]. Verschiedene Stimmen wiesen aber darauf hin, dass ein Abseitsstehen für die Schweiz auf die Dauer gefährlich werden könnte ; in der UNO kämen immer mehr Beschlüsse zustande, die von weltwirtschaftlicher Bedeutung seien und Entscheidungen der Spezialorganisationen präjudizierten [57]. Für einen baldigen UNO-Beitritt plädierte auch die 1973 eingesetzte Konsultativkommission, deren Bericht jedoch auf Verlangen einer kleinen Kommissionsminderheit vom Bundesrat zurückgewiesen würde zwecks Erarbeitung einer gemeinsamen Position. Dieser überraschende Entscheid fand in der Presse ein barsches Echo, und nur wenige Blätter zeigten Verständnis für die bundesrätliche Verzögerungstaktik im Wahljahr [58].
Die in Genf residierenden internationalen Organisationen sind mit ihren über 10 000 Funktionären und zahlreichen Konferenzen zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, dem gerade in der Rezession stabilisierende Bedeutung zukommt. Obwohl der Bund sich gemeinsam mit dem Kanton Genf bemüht, über die Immobilienstiftung FIPOI die nötigen Gebäulichkeiten zur Verfügung zu stellen, scheint in Genf ein gewisser Sättigungsgrad erreicht, und es besteht die Gefahr, dass verschiedene internationale Büros in die bald fertiggestellte UNO-City bei Wien umziehen. Genfer Behörden und Bundesrat zeigten sich besorgt, der Rhonestadt die internationalen Institutionen, namentlich die UNO-Wirtschaftskommission für Europa, zu erhalten, und die Presse schlug harte Töne gegen UNO-Generalsekretär Waldheim an, dem sie eine Begünstigung der österreichischen Konkurrenz vorwarf. Die UNO hat einen endgültigen Entscheid vorläufig zurückgestellt ; Österreich und die Schweiz zeigten sich bestrebt, eine gemeinsame Lösung des Problems vorzubereiten [59].
Neutralitätspolitisch heikle Fragen stellten sich, weil politische Organisationen, die von der Schweiz offiziell nicht anerkannt sind, eine Vertretung bei den Genfer Institutionen der UNO zu errichten wünschten ; der Bundesrat gestattete der Provisorischen Revolutionsregierung Südvietnams (GRP) und ebenso der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO), in Genf ein Büro einzurichten, gewährte ihren Vertretern aber nicht den diplomatischen, sondern nur einen Beobachterstatus [60].
 
[53] Vgl. Gesch.ber., 1975, S. 25 ff. Vgl. auch F. Pictet, « La participation de la Suisse aux organes et aux institutions spécialisées des Nations Unies », L. Wildhaber, « Die Schweiz und das Vertragswerk der Vereinten Nationen », in Handbuch..., S. 543 ff. und 569 ff.
[54] Vgl. SPJ, 1974, S. 41 Übernahme einer von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Resolution über die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus durch eine Experten-Konferenz der UNESCO : TG, 296, 19.12.75 ; Bund, 300, 23.12.75 ; Tat, 301, 23.12.75 ; SZ, 298, 24.12.75.
[55] Proteste : TG, 94, 24.4.75 ; vgl. auch die Presse vom 16.-18.11.75 (UNO-Zionismus-Resolution) und NZZ (sda), 281, 3.12.75. Stellungnahme der Nationalen UNESCO-Kommission : NZZ (sda), 21, 27.1.75 ; Vat., 38, 15.2.75 ; 55, 7.3.75 ; 67, 21.3.75. Vorstösse im Parlament : Amtl. Bull. NR, 1975, S. 832 ff. (Interpellation Gut, fdp, ZH, Einfache Anfrage Bräm, rep., ZH, Einfache Anfrage J. Meier, cvp, LU) ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 837 ff. und Amtl. Bull. StR, 1975, S. 788 (Motion Allgöwer). Vgl. auch die Presse vom 17.6.75.
[56] Eine Repräsentativumfrage von Ende 1974 ergab 22 % Befürworter, 19 % Gegner, 59 % Unentschlossene ; innert Jahresfrist hat sich der Anteil der Befürworter um 6 % verringert (Ostschw., ddp, 23, 29.1.75 ; NZZ, sda, 30.1.75) ; vgl. auch BüZ, 32, 4.2.75. Vgl. ferner M. Sieber, Meinungen zu einem Beitritt der Schweiz zur UNO. Bericht über eine Umfrage innerhalb zweier Betriebe, Zürich 1975 (Kleine Studien..., 40-42).
[57] E. Zellweger in NZZ, 165; 19.7.75 ; L. Wildhaber in Ww, 33, 20.8.75 ; Schweiz. Gesellschaft für die Vereinten Nationen (JdG, ats, 226, 29.9.75 ; NZZ, sda, 225, 29.9.75 ; TA, ddp, 248, 25.10.75). Vgl. auch JdG, 103, 5.5.75 ; NZ, 292, 19.9.75 ; BüZ, 266, 9.10.75 ; TA, 248, 25.10.75. Vgl. ferner H. Haug, « Das Problem der vollen Mitgliedschaft der Schweiz in den Vereinten Nationen », in Handbuch..., S. 591 ff.
[58] Vgl. NZ, 170, 3.6.75 ; 248, 11.8.75 ; TG, 130, 7.6.75 ; 146, 19.6.75 ; TLM, 160, 9.6.75 ; JdG, 133, 11.6.75 ; Tw, 135, 13.6.75 ; 24 Heures, 143, 23.6.75 ; NZZ, 150, 2.7.75 ; 210, 11.9.75 BN, 211, 11.9.75 und die Presse vom 5.9.75. Vgl. auch Gesch.ber., 1975, S. 13. Vgl. ferner SPJ, 1973, S. 38 ; 1974, S. 41.
[59] 24 Heures, 167, 21.7.75 ; 211, 11.9.75 ; 279, 1.12.75 ; 287, 10.12.75 ; 295, . 19.12.75 ; NZZ, 179, 6.8.75 ; 191, 20.8.75 ; 287, 10.12.75 ; 291, 13.12.75 ; 293, 17.12.75 ; JdG, 183, 8.8.75 ; 286-293, 9.-16.12.75 ; TG, 220-221, 22.-23.9.75 ; 277-291, 27.11.-13.12.75 ; BN, 231, 4.10.75 ; Bund, 303, 29.12.75. Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1918 f. (Einfache Anfrage Ziegler, sp, GE). Zusatzdarlehen an die Immobilienstiftung für internationale Organisationen (FIPOI) : BBI, 1974, II, 441 ff. ; 1975, I. Nr. 11, S. 916 f. ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1743 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 158 f. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 44. Vgl. ferner F. Pictet, « Les institutions des Nations Unies établies en Suisse », in Handbuch..., S. 575 ff.
[60] GRP-Büro : Presse vom 16.1.75. PLO-Büro : TA, 13-15, 17.-20.1.75 ; 159, 12.7.75 ; NZZ, 17, 22.1.75. Vgl. auch Gesch.ber., 1975, S. 35 f.