Année politique Suisse 1975 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung
In der Raumplanung verzögerte sich ein endgültiger Entscheid auf eidgenössischer Ebene. Nachdem die « Ligue vaudoise » ihr Referendum gegen das von den eidgenössischen Räten 1974 verabschiedete Raumplanungsgesetz (RPG) fristgemäss eingereicht hatte [1], konnte angesichts des mit Finanzvorlagen überladenen Abstimmungskalenders und der bevorstehenden Nationalratswahlen kein geeigneter Termin für ein Plebiszit gefunden werden. Im Einverständnis mit den Parteien und zahlreichen Vereinigungen und Verbänden musste der Bundesrat die Abstimmung für den Juni des Jahres 1976 in Aussicht nehmen [2]. Da der 1972 erlassene Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung nur bis Ende 1975 in Kraft blieb, ergab sich die Notwendigkeit einer « dringlichen » Verlängerung dieses Beschlusses [3]. In der diesbezüglichen Vorlage wurde betont, dass eine Verlängerung besonders auch von den Kantonen gewünscht worden war. Ohne den Schutz des Bundesrechtes wären sie kaum in der Lage gewesen, für den Bestand und die Weiterführung der bisher ergriffenen Massnahmen zu sorgen.
Die Verschiebung des Volksentscheids brachte es mit sich, dass in der Diskussion grundsätzliche Betrachtungen überwogen [4]. Eine Grundlagenstudie des Delegierten für Raumplanung bezifferte den Kulturlandverlust zwischen 1942 und 1967 auf rund 100 000 ha, was der Fläche des Kantons Thurgau entspricht. 40 % dieser Verluste gehen zulasten des landwirtschaftlich wertvollsten Kulturlandes im Talgebiet unter 500 Meter [5]. Eine Einzelinitiative von Nationalrat Oehen (na, BE), welche in der Frage der Kulturlanderhaltung radikale Mittel einsetzen wollte, wurde von der Grossen Kammer abgelehnt [6]. Im Vorfeld der Abstimmung von 1976 wurden bereits einzelne ablehnende Positionen bezogen, so durch das von Kreisen der Wirtschaft getragene « Redressement National », durch den Schweizerischen Hauseigentümerverband, die Liberalen des Kantons Waadt und die Schweizerische Gewerbekammer [7]. Im bäuerlichen Lager, das von der Raumplanung besonders stark betroffen wird, divergierten die Meinungen. Der Bauernverband machte seine Stellungnahme zum RPG von der Spezialgesetzgebung über einen volkswirtschaftlichen Ausgleich zugunsten der Land- und Forstwirtschaft abhängig und erwartete bis zur Abstimmung zumindest einen Entwurf dazu [8]. Unter dem Vorsitz von Marcel Regamey, dem Präsidenten der « Ligue vaudoise », wurde ein Aktionskomitee zur Bekämpfung des Raumplanungsgesetzes gegründet, dem verschiedene Nationalräte angehörten. Es kritisierte, dass gewisse Bundesinstanzen Bundesmittel zur einseitigen Propaganda verwenden würden [9].
Wie in den Vorjahren beschäftigten zahlreiche Testfälle die Öffentlichkeit. Wichtige Entscheide fielen im Kanton Zürich und in der Stadt Bern. Die kantonalzürcherischen Stimmberechtigten nahmen mit dem neuen Planungs- und Baugesetz ein umfangreiches Grundlagengesetz an, das Planung, Bautätigkeit und Nutzung des Bodens regelt. Obwohl die Vorlage vom Kantonsrat mit 130 zu 8 Stimmen gutgeheissen worden war und ausser der POCH und den Schwarzenbach-Republikanern keine Partei die Nein-Parole ausgegeben hatte, erzielte ein « Überparteiliches Komitee gegen zentralistische Planungsbürokratie » in der letzten Phase des Abstimmungskampfes mit massiver Propaganda beträchtliche Effekte. Das Gesetz wurde bei einer Stimmbeteiligung von 29 % mit 104 067 Ja gegen 79 141 Nein angenommen [10]. Deutlicher, nämlich mit 29 142 Ja gegen 6825 Nein, nahmen die Stadtberner einen Nutzungszonenplan an. Dieser soll das bestehende Nutzungsgefüge erhalten und eine sinnvolle Mischung zwischen Wohnzonen, Arbeitszonen und Freiflächen gewährleisten. Die Vorlage war lediglich vom Hauseigentümerverband abgelehnt worden [11].
Dass raumplanerische Massnahmen ihre Ziele kaum erreichen, wenn überdimensionierte Bauzonen ausgeschieden werden, wurde besonders in den Kantonen Bern und Aargau deutlich [12]. Ein vom Berner Regierungsrat verabschiedeter Bericht stellte fest, dass in den noch ungenutzten Baulandreserven von 12 000 ha bis zu einer Million zusätzliche Einwohner untergebracht werden könnten. Die neueste, revidierte Bevölkerungsprognose schätzte dagegen für die nächsten 15 bis 20 Jahre lediglich einen Zuwachs von maximal 80 000 Einwohnern. Im Kanton Aargau wurden Bauzonen für 900 000 Einwohner ausgeschieden, während das neueste Besiedlungskonzept mit 520 000 Aargauern im Jahre 2000 rechnete. Den kantonalen Planungsämtern stellte sich somit die heikle Frage nach den politischen Mitteln, mit denen der als unerwünscht erachteten Streubauweise Riegel geschoben werden können. Da die Rückzonung von Baugebieten in Kulturlandgebiete nach Ansicht von Planungsexperten untragbare politische und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen würde, verfügte der Regierungsrat des Kantons Aargau eine freilich stark umstrittene « Etappierung » der Bauzonen. Andere Kantone verboten generell neue Einzonungen von Bauland, während der Kanton Bern Neueinzonungen von grösseren Baugebieten nur in besonders ausgewiesenen Fällen gestatten wollte. — Der Bundesrat hiess Beschwerden des Schweizerischen Bundes für Naturschutz gut und erklärte die umstrittenen Gebiete von Vorderdettigen (Gemeinde Wohlen, BE) und Buchillon (Gemeinde Chanivaz, VD) zu provisorischen Schutzgebieten. Die zuständigen Kantonsregierungen hatten Siedlungsprojekte befürwortet [13]. Die Wohlener Bürger müssen nun freilich hohe, in die Millionen gehende Entschädigungsansprüche von seiten des am Bauen verhinderten Konsortiums befürchten.
Zu den im Leitbild CK-73 festgehaltenen raumplanerischen Ideen des Bundes nahmen verschiedene Kantone in zum Teil gemeinsam verfassten Antworten Stellung [14]. Während sich diese Berichte im Prinzip mit den Zielen des Bundes einverstanden erklärten, meldeten sich aus Zürich und Genf kritische Stimmen, welche unter dem Hinweis auf das veränderte Wirtschaftsklima die vom Leitbild vorgeschlagene Dezentralisation ablehnten [15].
 
[1] Vgl. SPJ, 1974, S. 103 f. ; GdL, 7, 10.1.75 ; NZ, 11, 11.1.75 ; NZZ, 13, 17.1.75.
[2] BBI, 1975, I, Nr. 16, S. 1389 ff. ; NZZ, 34, 11.2.75 ; TA, 39, 17.2.75.
[3] Amtl. Bull. NR, S. 633 ff. ; Amtl. Bull. StR, S. 377 ff. ; NZZ, 90, 19.4.75.
[4] Bund, 21, 27.1.75 ; 22, 28.1.75 (R. Rohr) ; 86, 15.4.75 ; TA, 44, 22.2.75 (W. Geissberger) ; 191, 20.8.75 ; NZZ, 70, 25.3.75 ; 158, 11.7.75 ; 273, 24.11.75 ; Vat., 290, 13.12.75 (M. Baschung). Vgl. ferner die zahlreichen wichtigen Beiträge in den Publikationen des Instituts für Orts-, Regional- und Landesplanung der ETH-Zürich, den Zeitschriften Raumplanung Schweiz, Raumplanung und Umweltschutz im Kanton Zürich und Plan, insbesondere : C. Fingerhut, « Gesetzgebung im Bereich der Raumplanung, Zusammenhänge zwischen der Gesetzgebung in der Raumplanung, Investitionshilfe, dem Gewässerschutz, der Wohnbau- und Eigentumsförderung », in Plan, 32/1975, Heft 10.
[5] Raumplanung Schweiz, Nr. 2, August 1975 ; NZ, 260, 22.8.75 ; TLM, 238, 26.8.75.
[6] BBl, 1975, II, Nr. 36, S. 1060 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1148 ff. ; TA, 112, 17.5.75 ; TLM, 245, 2.9.75.
[7] NZZ, 25, 31.1.75 ; 102, 5.5.75 ; GdL, 174, 28.7.75 ; SGZ, 48, 27.12.75.
[8] Vgl. SPJ, 1974, S. 104 ; 24 Heures, 38, 15.2.75 ; NZZ (sda), 63, 17.3.75 ; AZ, 79, 7.4.75 ; TA, 186, 14.8.75.
[9] NZZ (sda), 27, 3.2.75 ; Ldb, 287, 11.12.75 ; Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1512.
[10] NZZ, 198, 28.8.75 ; 201, 1.9.75 ; Tat, 209, 5.9.75 ; Presse vom 8.9.75. Vgl. unten, Teil II, 4d.
[11] Bund, 124, 1.6.75 ; 126, 3.6.75 ; LNN, 125, 3.6.75 ; Presse vom 9.6.75.
[12] AZ, 186, 12.8.75 ; LNN, 194, 23.8.75 ; Bund, 201, 29.8.75 ; 202, 31.8.75 ; NZZ, 201, 1.9.75.
[13] Vgl. SPJ, 1974, S. 102 ; TA, 88, 17.4.75 ; Ldb, 88, 18.4.75 ; TLM, 112. 22.4.75 : 125. 5.5.75.
[14] Vgl. SPJ, 1974, S. 104 ; Vat., 230, 4.10.75 ; NZ, 311, 6.10.75 ; Ostschw., 261, 8.11.75 ; Raumplanung Schweiz, Nr. 3/4, Dezember 1975.
[15] NZZ, 37, 15.4.75 ; 115, 22.5.75 ; TG, 262, 10.11.75.