Année politique Suisse 1975 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Wohnungsbau
Die Wohnbaupolitik hatte einer komplexen und widersprüchlichen Lage gerecht zu werden. Während der Leerwohnungsbestand neue Rekordhöhen erreichte — Fachkreise rechneten am Jahresende mit 70 000 bis 80 000 leerstehenden Mietobjekten und mit rund 15 Mia « leerinvestierten » Franken — und sich die Lage der Bauwirtschaft weiter verschlechterte, stieg der Mietpreisindex erneut an. Dass die Wohnbauförderungsprogramme des Bundes unter diesen Voraussetzungen weiterhin hohe Aufmerksamkeit fanden, lag einerseits darin begründet, dass das soziale Postulat preisgünstiger Wohnungen angesichts der meist teuren und komfortablen Neubauten noch immer aktuell blieb. Anderseits wurden die Bundeshilfen aber auch von der Seite der Bauwirtschaft und der Hauseigentümer begrüsst. Inwiefern freilich die Anstrengungen des Bundes diesen unterschiedlichen und kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringenden Anforderungen genügten, konnte angesichts divergierender Meinungen bis zum Jahresende nicht schlüssig beantwortet werden [21].
Der Bundesrat setzte das neue Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz (WEG) im März rückwirkend auf den 1. Januar in Kraft. Als Kernstücke des vielseitigen, noch im Zeichen der Hochkonjunktur geschaffenen Gesetzeswerks galten in erster Linie die Förderung des preisgünstigen und gemeinnützigen Wohnungsbaus sowie des Erwerbs von Wohnungs- und Hauseigentum [22]. Für diese Förderungsprogramme bewilligte das Parlament in der Junisession einen Rahmenkredit von 907 Mio Franken. Davon entfielen freilich nur 201 Mio Fr. auf nicht rückzahlbare Beträge, die sich zudem auf mindestens zehn, zur Hauptsache aber auf 25 Jahre verteilten und zu 85 % den Wohnungen für Betagte, Invalide und Pflegebedürftige zugute kamen [23]. Da ein Hauptziel des WEG, der Wohnungsbau, den veränderten Wirtschaftsverhältnissen zuwenig entsprach, wurde das Gesetz noch in der gleichen Session im Rahmen der Beratungen über die Massnahmen gegen Beschäftigungseinbrüche befristet modifiziert. In den Vordergrund gestellt wurde nun die arbeitsund lohnintensive Renovation von Altwohnungen [24]. Für die Jahre 1975/76 wurden somit, neben der Verbilligung von insgesamt 10 000 Neubauwohnungen, 5000 Altwohnungssanierungen ins Auge gefasst. Ein Bauvolumen von 700 Mio Fr. sollte ausgelöst werden [25]. Die im September in Kraft gesetzten Verordnungen zu diesen Programmen stiessen jedoch auf Widerspruch. Aus Kreisen des Gewerbes und der Hauseigentümer wurden die « allzu bürokratischen Auflagen », die mit der angebotenen Hilfe verbunden waren, zurückgewiesen. Neben dem Wohnungsbewertungssystem, das sich nach Ansicht der Gegner zu stark auf die Bewohnerbedürfnisse abstützte, wurde besonders kritisiert, dass dem Bundesamt für Wohnungs wesen Einfluss auf die Mietpreisgestaltung von erneuerten Wohnungen zukam [26].
 
[21] TA, 90, 19.4.75 (H. Schoch, Ist der Sozialwohnungsbau in der Schweiz unsozial ?) ; Ww, 16, 23.4.75 ; SHZ, 17, 24.4.75 ; vgl. auch weiter unten Anm. 26. Eine umfassende Bestandesaufnahme : R. Bindella (Hrsg.), Schweizerische Wohnungswirtschaft in Gegenwart und Zukunft, Bern 1975. — Zu den Schätzungen des Leerwohnungsbestandes vgl. NZZ, 6, 9.1.76. Aufgrund der Erhebung des BIGA zählte man Ende 1975 nur 50 700 leerstehende Wohnungen (TA, 40, 18.2.76).
[22] Vgl. SPJ, 1974, S. 107 ; 1973, S. 103 ; NZZ (sda), 58, 11.3.75. Mit der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes wurde das Büro für Wohnungsbau zum Bundesamt für Wohnungswesen erhoben ; der bisherige Delegierte für Wohnungsbau, T. Guggenheim, wurde sein Direktor (vgl. NZZ, sda, 73, 29.3.75).
[23] BBl, 1975, I, Nr. 14, S. 1230 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 677 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 237 ff.
[24] BBl, 1975, I, Nr. 21, S. 1834 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 732, 749, 854, 990, 1034 ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 402, 447, 473. Vgl. oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[25] Bund, 207, 5.9.75 ; NZ, 276, 5.9.75 ; SZ, 205, 5.9.75 ; Vat., 205, 5.9.75.
[26] AS, 1975, S. 1507 ff., 1532 ff. ; NZZ, 182, 9.8.75 ; 296, 20.12.75 ; 302, 30.12.75 ; Vat., 300, 27.12.75.