Année politique Suisse 1975 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
Umweltpolitik
Über den Widerstand, auf welchen der
Vorentwurf für ein Bundesgesetz über den Umweltschutz stiess, haben wir bereits 1974 ausführlich berichtet
[1]. Der weitere Verlauf des Vernehmlassungsverfahrens und der im Juli gefasste Entschluss des EDI, die gesamte Materie neu bearbeiten zu lassen, zeugten davon, dass sich die Chancen für die Verwirklichung eines umfassenden Umweltschutzes angesichts der gewandelten wirtschaftlichen Lage weiter verschlechtert hatten.
Zum erwähnten Vorentwurf gingen schliesslich rund 140 Stellungnahmen ein, in welchen meist
Skepsis und Ablehnung zum Ausdruck gebracht wurde. So erklärten sich beispielsweise die kantonalen Baudirektoren vom Entwurf « in keiner Weise befriedigt ». Positiv äusserten sich lediglich die Umweltschutz-Organisationen und der Christlichnationale Gewerkschaftsbund
[2]. Prof. Leo Schürmann wies als Vorsitzender der für den Entwurf verantwortlichen Expertenkommission vor allem darauf hin, dass es gegolten habe, dem umfassenden, 1971 vom Volk mit überwältigender Mehrheit erteilten Verfassungsauftrag nachzukommen. Eine Verfassung sei kein Parteiprogramm ; es komme ihr normative Kraft zu
[3]. Demgegenüber ging das Eidgenössische Amt für Umweltschutz, das vom EDI beauftragt wurde, den gesamten Fragenkomplex neu zu bearbeiten, nicht mehr vom Verfassungsauftrag, sondern von den einzelnen konkreten Problemkreisen aus. Zwölf Arbeitsgruppen befassten sich mit verschiedenen Teilbereichen. Bisher unbeantwortet blieb die Frage, ob einem Gesamtgesetz oder einer Teilgesetzlösung der Vorzug zu geben sei
[4]. Diese Frage liess auch ein umfangreiches Gutachten von Prof. Thomas Fleiner offen, welches die Verfassungsmässigkeit des Vorentwurfs abklärte. Die Expertise hielt fest, dass dessen generelle Anlage der Verfassung entspreche, und entkräftete damit den mehrfach erhobenen Einwand, dass der Vorentwurf weitgehend losgelöst von verfassungsrechtlichen Überlegungen ausgearbeitet worden sei
[5].
Eine Arbeitsgruppe der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Umweltforschung (SAGUF) schloss mit einem dreibändigen Bericht eine gesamtschweizerische
Erhebung über Umweltforschung ab, die vom EDI 1973 in Auftrag gegeben worden war
[6]. Der Bestandeskatalog ergab, dass im Zeitraum von 1970 bis 1973 559 Institutionen und etwa 2200 Akademiker 1551 Umweltschutzprojekte abgeschlossen, durchgeführt oder geplant hatten. 814 davon entfielen auf Hochschulen, 273 auf öffentliche Stellen, die Industrie bearbeitete 252 und weitere Institutionen wie Spitäler, Schulen oder internationale Organisationen 212 Projekte. Der geschätzte finanzielle Aufwand lag zwischen 210 und 340 Mio Fr. Ein Fragenkatalog, der sich ebenfalls auf eine Umfrage abstützen konnte, versuchte Forschungslücken aufzudecken und Unterlagen für die Prioritätensetzung zu liefern. Die Arbeitsgruppe gelangte zu Empfehlungen, die den Ausbau von fünf Umweltforschungsbereichen anregten (Sozial- und .Geisteswissenschaften, Energie, Recycling und Abfallbewirtschaftung, Landbau und Bergwirtschaft und Belastungsgrenzwerte). Die Sozial- und Geisteswissenschaften sollten sich nach Ansicht der Arbeitsgruppe besonders der Frage widmen, wie die gesellschaftspolitischen Konsequenzen, die aus den Erkenntnissen der Umweltforschung gezogen werden müssen, soziologisch, psychologisch und politisch durchgesetzt werden können.
[1] Vgl. SPJ, 1974, S. 109. Umfassende Darstellung bei H: U. Müller-Stahel, « Weichenstellung für den Umweltschutz », in SHZ, 31, 31.7.75.
[2] Vgl. SPJ, 1974, S. 109 ; NZZ (sda), 13, 17.1.75 (Baudirektoren) ; NZZ (sda), 63, 17.3.75 (CNG).
[4] TA, 164, 18.7.75 ; NZZ, 212, 13.9.75.
[5] Wirtschaft und Recht, 27/1975, Heft 3 ; NZZ, 181, 8.8.75.
[6] Umweltforschung in der Schweiz, 3 Bände, Bern 1974/75 ; NZZ, 106, 10.5.75 ; 24 Heures, 139, 17.6.75. Vgl. auch SPJ, 1972, S. 108.
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