Année politique Suisse 1975 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
 
Grund- und Mittelschulen
Im Primar- und Mittelschulwesen rückten die dominierenden Themen der vergangenen Jahre, die Schulkoordination und die Schulreform, in den Hintergrund. Konflikte und Protestaktionen an Schulen blieben fast völlig aus. Im Zentrum des Interesses standen ein sich nahezu landesweit abzeichnender Lehrerüberfluss und eine Reihe von politisch motivierten Anstellungsverweigerungen oder Wegwahlen von Lehrkräften. Die Anstrengungen, die auf der Basis des 1970 abgeschlossenen Schulkonkordates gemacht worden waren, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf gesamtschweizerischer Ebene nur geringe Fortschritte zu verzeichnen waren [2]. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) empfahl, den Beginn des Unterrichts in der zweiten Landessprache auf das 4. oder 5. Schuljahr anzusetzen ; ein einheitlicher Beginn in der ganzen Schweiz ist vorläufig nicht möglich [3]. Schwierigkeiten bei der Einführung eines neuen, von einer Koordinationskommission erarbeiteten Geschichtslehrmittels (« Weltgeschichte im Bild » ) in sieben Kantonen der Nordwestschweiz [4] bestätigten, dass die föderative Staatsstruktur für Koordinationsbestrebungen nach wie vor ein schwer zu überwindendes Hindernis darstellt. Auch die Schulreformen, die allgemein nur zäh voranschritten, fanden nicht mehr die Aufmerksamkeit der Vorjahre [5]. Lediglich im Kanton Waadt, wo seit mehreren Jahren in den Regionen Rolle und Vevey umfassende Schulversuche stattfinden, warfen ein Zwischenbericht über diese Experimente und verschiedene im Kantonsparlament beratene Reformprojekte hohe Wellen [6].
Nachdem der Lehrermangel jahrelang ein Hauptproblem dargestellt hatte, fanden nun verschiedentlich nicht mehr alle Absolventen von Lehrerseminarien eine Stelle. Prognosen stellten einen zunehmenden Lehrerüberfluss in Aussicht [7]. Die verantwortlichen Instanzen suchten der Gefahr durch eine vermehrte Information der Lehreranwärter und durch eine verstärkte Planung zu begegnen. Dem massiven Geburtenrückgang und der veränderten Lage am Arbeitsmarkt war es zuzuschreiben, dass verschiedentlich Seminarreformen durchgeführt und die Ausbildungszeit der Lehrer verlängert werden konnten [8]. Bildungs- wie beschäftigungspolitisch begründeten Forderungen nach einer Senkung der Klassenbestände, die in Genf mit einem kurzen Lehrerstreik unterstrichen wurden [9], entsprachen die Kantonsregierungen dagegen vorwiegend aus finanziellen Überlegungen nur zurückhaltend. Linksgerichtete Lehrergruppen lancierten in mehreren Kantonen Volksinitiativen, die eine Begrenzung der Schülerzahlen auf 25 pro Klasse postulierten. Diese Forderungen konnten sich auf eine Resolution des Schweizerischen Lehrervereins von 1973 stützen, die 1975 nochmals bekräftigt wurde. Die Durchschnittsgrösse der Primarschulklassen liegt zur Zeit gesamtschweizerisch betrachtet bei 29 Schülern [10]. Gleichzeitig schien sich der politische Spielraum der Lehrkräfte zu verengen. Ein « Weissbuch » gewerkschaftlicher Lehrergruppen schilderte eine Reihe von « Repressionsfällen n. Einige der Beispiele waren in der Öffentlichkeit starkumstritten [11]. In Emmen (LU) scheiterte die Wahl von vier Lehrern durch die Gemeindeschulpflege daran, dass sie sich in den Grossratswahlen für die POCH engagiert hatten [12]. Im Fall des Militärdienstgegners Froidevaux wurde der Entscheid des aargauischen Regierungsrates (Entzug der Wahlfähigkeit) vom Bundesgericht geschützt [13]. Wegen politisch begründeter Nichtanstellungen von Lehrern geriet im Kanton Zürich besonders Erziehungsdirektor Gilgen unter Beschuss. Zur Behandlung und Beurteilung von Fällen von Dienstverweigerung erarbeitete der Zürcher Erziehungsrat Grundsätze [14].
 
[2] Vgl. SPJ, 1970, S. 148 f., und Einfache Anfrage von J. Ziegler (cvp, SO) in Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1519. Über das regionale Schulabkommen in der Nordwestschweiz von 1974 vgl. oben, Teil I, 1d (Collaboration entre les cantons).
[3] Empfehlungen und Beschlüsse betr. Einführung, Reform und Koordination des Unterrichts in der zweiten Landessprache..., Sekretariat EDK, Genf 1976 ; BüZ, 27, 30.1.75 ; Ostschw., 31, 7.2.75; NZZ, 258, 6.11.75 ; 295, 19.12.75.
[4] TA, 14, 18.1.75 ; BN, 17, 21.1.75 ; Bund, 19, 24.1.75. Zu den Einführungsschwierigkeiten eines Geographie-Lehrmittels vgl. TA, 73, 29.3.75. Zur Reform des Mathematikunterrichts in der Schweiz vgl. Wissenschaftspolitik, 4/1975, S. 43 ff.
[5] BN, 78, 4.4.75 ; NZZ, 259, 7.11.75 ; LNN, 272, 22.11.75 ; Tw, 304, 30.12.75.
[6] Vgl. die waadtländische Presse vom April und Mai ; Bund, 188, 14.8.75.
[7] TA, 40, 18.2.75 ; 265, 14.11.75 ; Ww, 13, 2.4.75 ; TLM, 323, 19.11.75.
[8] LNN, 56, 8.3.75 ; Bund, 235, 8.10.75 ; 268, 16.11.75 ; SZ, 264, 14.11.75.
[9] TG, 138, 17.6.75 ; 139, 18.6.75 ; JdG, 143, 23.6.75 ; Ww, 28, 16.7.75.
[10] 24 Heures, 145, 25.6.75 ; NZZ (sda), 270, 20.11.75 ; NZ, 380, 6.12.75.
[11] Weissbuch : Repression gegen Lehrer in der Schweiz, hrsg. von der Gewerkschaft Kultur, Erziehung, Wissenschaft, Bern 1975. Vgl. NZZ, 177, 4.8.75.
[12] LNN, 67, 21.3.75 ; 72, 27.3.75 Vat., 84, 12.4.75 ; 96, 26.4.75 ; TA, 159, 12.7.75.
[13] Vgl. SPJ, 1974, S. 138 ; AZ, 142, 21.6.75 ; 162, 15.7.75 ; NZZ, 244, 21.10.75.
[14] Zürcher Student, Nr. 1, April 1975 ; Ldb, 151. 4.7.75 ; 219, 23.9.75 ; NZ, 209, 7.7.75 ; Ww, 27, 9.7.75 ; Tat, 247, 21.10.75 ; TA, 288, 11.12.75 ; Zeitdienst, 49/50, 19.12.75. Über A. Gilgen vgl. auch oben, Teil I, 1e (Elections cantonales et communales), ferner über die Praxis des Bundes Teil I, 1c (Administration).