Année politique Suisse 1976 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Regierung
Die Ende 1975 vom Parlament bestätigte Regierung des Bundesstaates hatte ihre politischen Absichten für die neue Amtsperiode wieder in einem Bericht darzulegen. Diese dritten Richtlinien der Regierungspolitik tragen deutlich den Stempel einer wirtschaftlich und finanziell gedrückten Lage. Im Unterschied zu 1972 fehlt die Analyse der allgemeinen Entwicklung, und bewusst werden die Zielsetzungen den andrängenden Problemen untergeordnet. Dafür tritt eine schärfere Prioritätenordnung hervor ; sie ist das Ergebnis eines strengen Selektionsverfahrens in Verwaltung und Regierung. Immerhin soll der soziale Rechtsstaat weiterentwickelt werden. Aber gemäss dem 1974 erlassenen Gesetz über Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushalts sind die Richtlinien nun mit der Finanzplanung verknüpft, und alles steht unter der Voraussetzung, dass Parlament, Volk und Stände einer Finanzordnung mit Mehrwertsteuer zustimmen [4].
Das Echo in Presse und Parlament war überwiegend positiv, wenn auch nicht überall aus denselben Gründen : während bürgerliche Kreise namentlich die Beschränkung auf das finanziell Tragbare lobten, galt die etwas reserviertere Anerkennung der Sozialdemokraten eher dem Willen, trotz Finanzknappheit die anstehenden Probleme zu lösen. Die Debatte im Nationalrat war wesentlich kürzer als 1972. Die stärkere Profilierung des Berichts erleichterte es den Fraktionen, ihre Standpunkte präziser zu formulieren. Die Erklärungen der Bundesratsparteien wurden sogar als Ersatz für die gescheiterten Legislaturziele gewertet ; man stellte einen gewissen Konsens über die anzustrebenden Ziele, einschliesslich ihrer finanziellen Voraussetzungen, fest. Es fehlte freilich nicht die Klage, dass das Parlament auf das Führungsinstrument der Richtlinien keinen wirklichen Einfluss habe [5]. Bundespräsident Gnägi nahm in seiner Antwort die anerkennenden Stimmen als Unterstützung für das Regierungskonzept in Anspruch ; auf die Frage nach einer Alternative zur Mehrwertsteuer zog er nur einen Finanznotstand mit drastischen Ausgabenkürzungen, nicht zuletzt zulasten der Kantone und Gemeinden, in Betracht [6]. Einer Einzelinitiative Folge leistend, beschloss allerdings der Nationalrat noch vor Jahresende, Richtlinien und Finanzplan in rechtlicher Hinsicht besser aufeinander abzustimmen, womit er zu einer grundsätzlichen Überprüfung des parlamentarischen Einflusses auf die Regierungsplanung Gelegenheit gab [7].
Nachdem die Volkskammer im Vorjahr eine Erweiterung des Regierungskollegiums verworfen hatte, versagte sie nun auch Vorstössen für einen Verzicht auf die herkunftbezogene Wahlschranke (nur ein Mitglied aus demselben Kanton) die Unterstützung, obwohl sich der Bundesrat, im Unterschied zu 1973, diesmal befürwortend dazu äusserte [8].
 
[4] BBI, 1976, I, S. 442 ff. (vgl. Sonderausgabe Richtlinien der Regierungspolitik 1975-1979, Bern 1976, dazu Finanzplan des Bundes für die Jahre 1977 bis 1979, Bern 1976). Frühere Richtlinien : SPJ, 1968, S. 8 ff. ; 1972, S. 19. Gesetz von 1974: SPJ, 1974, S. 74 f. Zur Finanzordnung vgl. unten, Teil I, 5 (Finanz- und Steuerpaket). über die Erarbeitung der Richtlinien siehe K. Huber in Documenta, 1976, Nr. 6, S. 20 f.
[5] Presse : vgl. Presse vom 11.2.76 ; NZZ, 35, 12.2.76 ; JdG, 38, 16.2.76. Parlament : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 181 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 116 ff. Ersatz für Legislaturziele : BZ, 60, 12.3.76 ; NZZ, 67, 20.3.76 ; vgl. auch unten, Teil III a (Partis gouvernementaux). Zur Klage über mangelnden Einfluss vgl. Votum Blum (sp, BE) (Amtl. Bull. NR, 1976, S. 196 f.) und NZ, 79, 11.3.76.
[6] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 265 ff. ; vgl. auch Amtl. Bull. StR, 1976, S. 156 ff.
[7] Initiative Weber (sp, TG) : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1613 f. Zum Verhältnis zwischen Finanz- und Aufgabenplanung vgl. H. Hauser, «Plädoyer für die Trennung von Finanzplanung und Aufgabenplanung », in Wirtschaft und Recht, 28/1976, S. 366 ff. Vgl. ferner A. Meier (Hrsg.), Planung in Behörden und Verwaltung, Verfahren - Koordination - Entwicklung, Bern-Stuttgart 1976.
[8] Initiativen Breitenmoser (cvp, BS) und Schmid (sp, SG) : vgl. BBI, 1976, I, S. 1305 ff. (NR-Kommission) und 1574 ff. (BR) sowie Amtl. Bull. NR, 1976, S. 930 ff. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 17 f. ; 1975, S. 18.