Année politique Suisse 1976 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
Aussenwirtschaftspolitik
Angesichts der wechselkursbedingten Schwierigkeiten und der verschärften Konkurrenz auf den Weltmärkten verlangten interessierte Kreise, sekundiert von parlamentarischen Vorstössen, geeignete staatliche Massnahmen, um den schweizerischen Exportunternehmen die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten
[92]. Die Behörden machten deutlich, dass sie der Wirtschaft weder Verantwortung noch Initiative abnehmen könnten, wohl aber bereit seien, die privaten Anstrengungen zur
Exportförderung mit systemkonformen Mitteln zu unterstützen. Entschieden lehnten sie es ab, den Kursanstieg des Frankens mit einer Währungspolitik zu bekämpfen, die auf eine Devisenbewirtschaftung, auf die Spaltung des Devisenmarktes oder auf die Einführung von Importabgaben und Exportzuschüssen hinauslaufe, da solch ordnungswidrige Eingriffe nicht nur den Wettbewerb verzerren und die notwendige Strukturbereinigung verhindern müssten, sondern auch das mühsam errichtete Gebäude der liberalen Weltwirtschaft gefährden könnten. Zwar versuche man den Aufwertungsdruck zu mildern, viel wichtiger sei indessen eine konsequente Geldmengenpolitik, die über niedrige Inflationsrate und tiefes Zinsniveau auch der Exportwirtschaft zugute komme
[93].
Im internationalen Konkurrenzkampf spielen neben Qualität und Preis immer mehr auch die Kreditbedingungen, die der Exporteur anbieten kann, eine ausschlaggebende Rolle
[94]. Die Nationalbank verlängerte die Vereinbarungen zur Erleichterung der Exportfinanzierung, die sie 1975 mit den Banken abgeschlossen hatte. Neu ist nun auch eine zinsstabile « Durchfinanzierung » mittel- und langfristiger Exportkredite ab 10 Mio Fr. gesichert. Die Nationalbank erklärte sich zudem bereit, mit Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie wie auch der Uhrenindustrie Devisentermingeschäfte zu Vorzugsbedingungen abzuschliessen
[95].
Die im Vorjahr ausgebaute
Exportrisikogarantie des Bundes wurde 1976 stark beansprucht, da sich die schweizerische Wirtschaft gezwungen sah, vermehrt auch Geschäfte in risikoreicheren Ländern zu tätigen oder in unsicherer Währung anzubieten. Die Garantieverpflichtungen stiegen dadurch um 4,2 Mia Fr. auf 12,7 Mia Fr. an ; dieser gewaltigen Summe stehen Rückstellungen von lediglich 356 Mio Fr. gegenüber, welche die Verbindlichkeiten des Bundes nur zu 2,8 % decken. Für Schäden und Kursverluste mussten 67 Mio Fr. aufgewendet werden. Die Investitionsrisikogarantie dagegen wurde bloss in bescheidenem Umfang in Anspruch genommen
[96].
Neben den internen Vorkehren zur Finanzierung und Versicherung von Exportgeschäften trafen die Behörden direkte Massnahmen, welche die Exporteure bei ihren Verkaufsanstrengungen an Ort und Stelle unterstützen sollen. Sensibilisiert auf ökonomische Bedürfnisse, baute das EPD die diplomatischen Vertretungen namentlich in den OPEC-Staaten aus und nahm zur Pflege dieser Märkte Exportfachleute aus der Privatwirtschaft als residierende Handelsräte in seinen Dienst
[97]. Dem Ziel, die marktstrategischen Positionen zu verbessern, dienten auch die Zusammenarbeit in gemischten Kommissionen mit Regierungen des Mittleren Ostens und der Staatshandelsländer, gezielte Goodwill-Missionen hoher Funktionäre und eine verstärkte Image-Werbung ; in Kairo fand eine bedeutende Industrieausstellung statt, die von der Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung (SZH) organisiert und von Bundesrat Brugger eröffnet wurde
[98]. Um die Exportfirmen besser zu beraten, wurden die öffentlichen und privaten Informationsdienste erweitert
[99]. Grosses Gewicht mass man auch der Koordination sowie der Planung wirtschaftlicher und politischer Anstrengungen auf dem Gebiet des Aussenhandels bei ; Erwähnung verdient diesbezüglich die vom EVD auf Anfang 1976 eingesetzte Arbeitsgruppe Exportförderung und Aussenwirtschaftsmassnahmen, in welcher alle betroffenen Bundesstellen wie auch die hauptsächlich interessierten Wirtschaftskreise vertreten sind
[100].
Im Sinne der Exportförderung, aber auch der Erhaltung von Wehrbereitschaft und Arbeitsplätzen forderte die Grosse Kammer den Bundesrat auf, die Ausfuhr von Kriegsmaterial nicht durch eine restriktive Handhabung der geltenden Vorschriften zu erschweren
[101]. Die politische Linke wandte dagegen ein, das Arbeitsplatzargument werde missbraucht, um eine fragwürdige Bewilligungspraxis zu rechtfertigen. Der Waffenexport, der 1975 vor allem wegen erhöhter Lieferungen in die potentiellen Krisenherde Spanien und Iran um 55 % auf 370 Mio Fr. angestiegen sei, setze die Glaubwürdigkeit unserer Politik leichtfertig aufs Spiel
[102].
Die ausgesprochen liberal konzipierte schweizerische Aussenwirtschaftspolitik zielt in erster Linie darauf ab, die Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft möglichst günstig zu gestalten, ihr insbesondere den Zugang zu den Weltmärkten offenzuhalten und die Rohstoffzufuhr sicherzustellen. Da einerseits Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalexporte unserer Volkswirtschaft an Bedeutung noch gewinnen, andererseits das Weltwirtschaftssystem zunehmend von protektionistischen Strömungen bedroht erscheint, setzten die Behörden alles daran, den erreichten Stand der internationalen Liberalisierung mindestens zu wahren
[103]. Multilaterale Verhandlungen, namentlich im Rahmen des GATT und der OECD, dienten diesem Zweck, während finanzielle Stützungsaktionen die verschuldeten Länder von protektionistischen Vorkehren abzuhalten und einen Zusammenbruch des internationalen Zahlungsverkehrs zu verhindern suchten
[104].
Das Weltwirtschaftssystem ist in tiefgreifender Strukturwandlung begriffen und wird zunehmend durch
die Nord-Süd-Problematik beherrscht. Der Umbruch im Gefolge von wachsenden Zahlungsbilanzschwierigkeiten, Erdölpreissteigerung und weltweiter Rezession hat die gegenseitige Abhängigkeit von Industriestaaten und Entwicklungsländern augenfällig werden lassen
[105]. Gerade die Schweiz ist aus handelspolitischen Gründen an der Erhaltung der Zahlungs- und Importfähigkeit der Dritten Welt besonders stark interessiert, zumal sich der Wachstumsrhythmus und damit das Marktpotential der alten Industrieländer des Westens zusehends verlangsamt. 1976 haben die Exporte nach Entwicklungsländern noch einmal stark zugenommen ; sie erreichten mit fast 8 Mia Fr. mehr als ein Fünftel der gesamten Güterausfuhr der Schweiz
[106]. Da sich allerdings auch der Aktivsaldo aus dem Handel mit Entwicklungsländern laufend vergrössert — er stieg 1976 auf über 4 Mia Fr. an —, erging aus entwicklungspolitisch engagierten Kreisen der Vorschlag, eine Importförderungszentrale einzurichten, die dazu beitragen soll, dass unser Wirtschaftsverkehr mit der Dritten Welt auch jener wirklich zum Vorteil gereicht. Wirtschaftsliberale Stimmen lehnten solch ein ordnungswidriges Ansinnen ab, da es gegen die Handelsfreiheit verstosse
[107].
In der Tat verwies dieser Vorstoss auf ein fundamentales Dilemma unserer liberalen Aussenwirtschaftspolitik, die einerseits die Rahmenbedingungen für private Unternehmen im marktwirtschaftlichen Sinne verbessern will, sich andererseits aber die teilweise arg verschuldeten Entwicklungsländer als Partner erhalten möchte, ohne ihnen eine angemessene Entwicklungshilfe bieten zu können. Gesamthaft betrachtet, wirkten sich unsere diesbezüglichen öffentlichen Leistungen gleichsam bloss als 3 % iges Skonto auf die privaten Verkäufe aus
[108].
Rohstofffragen und Verschuldungsproblem standen im Zentrum sowohl der
UNCTAD-Konferenz in Nairobi als auch der Konferenz über die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit (KIWZ) in Paris, wo der Nord-Süd-Dialog eine Intensivierung und Konkretisierung erfuhr, ohne indessen bereits wirklich befriedigende Ergebnisse zu zeitigen. Während die Entwicklungsländer für Rohstoffe, die starken Marktschwankungen ausgeliefert sind, ein integriertes Programm forderten, um über gesicherte und gewinnbringende Preise ihrer Exportprodukte eine eigenständige Industrialisierung zu ermöglichen, plädierten die Industrienationen für marktgerechtere Lösungen, erklärten sich aber zu weiteren Verhandlungen über einen gemeinsamen Fonds bereit, welcher die Rohstoffpreise stabilisieren soll. Dem Vorschlag eines allgemeinen Schuldenmoratoriums, das sämtlichen Entwicklungsländern zugute käme, mochten die industrialisierten Länder nicht zustimmen ; sie wünschten die Zahlungsprobleme eher über individuelle Entschuldungsabkommen zu regeln. Verglichen mit früheren Jahren harter Konfrontation, liess die 1975 und 1976 zumindest verbal bekundete Kompromissbereitschaft beider Seiten den Nord-Süd-Dialog jedoch nicht als völlig hoffnungslos erscheinen
[109].
[92] Vgl. Schweiz. Handels-Zeitung, 13, 25.3.76 ; 38, 16.9.76 ; Schweiz. Finanz-Zeitung, 37, 15.9.76 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 141 ff. (Diskussionsvotum Aubert, lib., NE) ; 607 ff. (Postulat Rüttimann, cvp, AG) ; 833 f. (Postulat Jelmini, cvp, TI) ; 1220 f. (Postulat Schatz, fdp, SG) ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 110 ff. (Postulat Bächtold, fdp, SH).
[93] Vgl. BR Brugger in Amtl. Bull. NR, 1976, S. 160 ff. ; 1053 ff. ; Amtl. Bull. SIR, 1976, S. 104 ff. ; 111 f. ; 462 ff. ; Documenta, 1976, Nr. 1, S. 3 ff. ; Nr. 2, S. 22 ff. Vgl. auch H. Hofer, Exportförderung aus der Sicht der Bundesbehörden, Bern (EVD) 1976 ; Ww, 46, 17.11.76. Vgl. ferner unten, Teil I, 4b (Geldmengenpolitik).
[94] Vgl. R. Holzach, Exportförderung — Exportfinanzierung, Zürich (SBG) 1976 ; Handbuch der Exportfinanzierung, Zürich (SKA) 1976 ; H. Spörndli, « Finanzierungserleichterungen der Grossbanken bei Exportkrediten » und J. Boiler, « Exportförderungsmassnahmen — die Beiträge der Grossbanken », in Politische Rundschau, 55/1976, S. 168 ff. und 171 ff. ; « Exportindustrie und Exportfinanzierung », in SKA, Bulletin, 82/1976, Nr. 10, S. 11 ff.
[95] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 69/1976, S. 65 ff. Vgl. auch SPJ, 1975, S. 75 und 81 sowie unten, Teil I, 4b (Geld- und Kapitalmarkt).
[96] Vgl. Gesch.ber., 1976, S. 232. Vgl. auch H. Hofer, Einsatzmöglichkeiten der Exportrisikogarantie, Bern (EVD) 1976. Vgl. ferner SPJ, 1975, S. 81.
[97] Vgl. Gesch.ber., 1976, S. 221 ; NZZ, 260, 5.11.76 ; BN, 263, 10.11.76. Vgl. auch A. Weitnauer, « Aussenpolitik und Aussenwirtschaft : Ausblick auf ein gemeinsames Ziel », in Documenta, 1977, Nr. 1, S. 15 ff. Vgl. ferner oben, Présence de la Suisse à l'étranger.
[98] Vgl. BBl, 1976, II, S. 1484 ff. ; 1977, I, S. 592 ff. ; P. R. Jolles, « Stand und Entwicklungsperspektiven der schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen mit den OPEC-Staaten », in SKA, Bulletin, 82/1976, Nr. 7, S. 7 ff. ; Ww, 9, 3.3.76. Schweiz. Handels-Zeitung, 13, 25.3.76 ; Europa, 44/1977, Nr. 1-2. Vgl. auch Presse vom 26. und 27.10.76 (europäisch-arabisches Industriesymposium in Montreux). Kairo : vgl. NZZ, 274-279, 22.-27.11.76 ; Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1977, Nr. 1, S. 20 f. SZH : vgl. NZZ, 58, 10.3.76 ; NZ, 353, 12.11.76 ; vgl. auch M. Ludwig, « Exportmärkte nicht nur für die Grossen », in Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1976, Nr. 5, S. 6 ff.
[99] Vgl. Gesch.ber., 1976, S. 221. Vgl. auch K. Höting/G. A. Schmoll, Arbeitshandbuch Export, Zürich 1976 ; Pratiques de l'exportation, Lausanne 1976 ; SAZ, 71/1976, S. 323 f. ; Schweiz. Handels-Zeitung, 27, 1.7.76.
[100] Vgl. BBI, 1976, II, S. 1500 ; G. Winterberger, Die Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft bei der Exportförderung, Zürich 1976. Vgl. auch wf, Dok., 14, 5.4.76 ; 38, 20.9.76 ; NZZ, 294, 15.12.76.
[101] Vgl. Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1096 f. (Postulat Sigrist, fdp, ZH). Vgl. auch J. A. Iselin, Schweizerische Waffenausfuhr — Problematik und Praxis, Bern (EPD) 1976.
[102] Vgl. Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1209 ff. (vom Rat abgelehnte Motion Blum, sp, BE, die das Kriegsmaterialgesetz so abzuändern verlangte, dass bei einem allfälligen Embargo die Arbeitsplätze gesichert blieben). Vgl. auch NZ, 312, 7.10.76 und Verhandl. B.vers., 1976, III, S. 27 (Interpellation Carobbio, psa, TI). Zur Glaubwürdigkeit der schweizerischen Politik angesichts der Wirtschaftsverbindungen mit den Apartheid-Staaten vgl. oben, Nations Unies.
[103] Vgl. BBI, 1976, II, S. 1432 ff. ; 1977, I, S. 563 ff. Vgl. auch NZ, 60, 23.2.76 ; 118, 14.4.76 ; 153, 17.5.76 ; wf, Artikeldienst, 22, 31.5.76 ; wf, Dok., 28-29, 12.7.76 ; 39, 27.9.76.
[104] Vgl. Gesch.ber., 1976, S. 196 und 227 ff. ; Tat, 145, 22.6.76 ; BN, 143, 23.6.76 ; Presse vom 14. und 15.10.76 (Zollsenkungsvorschlag der Schweiz im Rahmen des GATT) ; wf, Dok., 42, 18.10.76 ; 47, 22.11.76 ; JdG, 253, 29.10.76. Vgl. auch unten, Teil I, 4b (Währungspolitik).
[105] Vgl. P. R. Jolles, « Die Schweiz in den Nord-Süd-Beziehungen », in Documenta, 1976, Nr. 5, S. 17 ff.; K. Jacobi, « Die Schweiz im Spannungsfeld der Nord-Süd- und West-OstBeziehungen », in Documenta, 1976, Nr. 6, S. 30 ff. Vgl. ferner R. Jonas / M. Tietzel (Hrsg.), Die Neuordnung der Weltwirtschaft, Bonn 1976.
[106] Vgl. Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 244 ; LNN, 16, 20.1.77. Vgl. auch R. Gerster, « Schweizerisches Volkseinkommen und Dritte Welt », in Aussenwirtschaft, 31/1976, S. 33 ff.
[107] Vgl. R. H. Strahm, Entwicklungsorientierte Handelsförderung im Dilemma, Bern 1975 ; TA, 32, 9.2.76 ; Bund, 43, 22.2.76 ; NZ, 200, 29.6.76.
[108] Vgl. oben, Aide au développement. Vgl. auch G. Musy, « Entwicklungsländer — Verschuldung ohne Ende? », in Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1976, Nr. 9, S. 2 ff.; gk, 44, 23.12.76. Zu einer Anregung von seiten der Handelsabteilung, eine gemischte Finanzierungsgesellschaft für Entwicklungshilfe zu schaffen, vgl. die Presse vom 15.10.76. Vgl. ferner P. V. Saladin, « Bedeutung der multilateralen Entwicklungsfinanzierungsinstitute für die schweizerische Wirtschaft », in Aussenwirtschaft, 31/1976, S. 301 ff.
[109] Vgl. BBI, 1976, II, S. 1465 ff. ; 1977, I, S. 584 ff. ; Dokumentation : Ergebnisse von UNCTAD IV, Adliswil 1976. Vgl. auch R. Senti, « Die internationale Rohprodukteordnung », in Aussenwirtschaft, 31/1976, S. 357 ff. ; H. Kruse, « Die Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit (KIWZ) », in Europa-Archiv, 31/1976, S. 147 ff. und H. Friedrichs, « Nairobi und die Folgen », in Europa-Archiv, 31/1976, S. 517 ff.
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