Année politique Suisse 1976 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
 
Rüstung
Auf dem Gebiet der Rüstung war die Verstärkung des Raumschutzes durch den Ankauf von 72 Kampfflugzeugen vom Typ « Tiger » die gewichtigste Investition seit dem Erwerb der Mirage in den 60er Jahren. Nachdem der Ständerat im Dezember 1975 der Vorlage zugestimmt hatte, liess der Widerstand gegen die Typenwahl nach ; dafür meldeten sich Bedenken wegen der aus anderen Staaten bekannten Geschäftspraktiken der Herstellerfirma Northrop und wegen der nur zögernden Bereitschaft der amerikanischen Partner zur Realisierung der in Aussicht gestellten Gegengeschäfte für die schweizerische Industrie [20]. Der Bundesrat hatte zwar 1975 abklären lassen, ob Anhaltspunkte für eine Bestechung schweizerischer Beamter im Zusammenhang mit der Flugzeugbeschaffung vorlägen ; da aber die Ermittlungen negativ ausgingen, sah er von der Einleitung einer amtlichen Untersuchung ab. Eine solche wünschte namentlich die sozialdemokratische Fraktion des Nationalrats, doch drang sie damit nicht durch. Ihre Mehrheit unterstützte die « Tiger »-Vorlage. Die Volkskammer schloss sich im März dem Beschluss der Ständeherren an und verzichtete auf zusätzliche Bedingungen zur Forcierung der Kompensationsgeschäfte [21]. Die Lieferung der Flugzeuge ist für die Zeit von Ende 1978 bis Frühjahr 1981 vorgesehen [22].
Dem Raumschutz kommt nicht nur der Erwerb eines neuen Kampfflugzeugs zugute, sondern auch eine Verbesserung der Fliegerabwehr durch Bestellung eines zeitgemässen elektronischen Feuerleitgerätes. Als solches bot sich der von der Firma Contraves in Zürich-Oerlikon entwickelte « Skyguard » an, der seit 1972 in Truppenversuchen erprobt und nahezu auf Beschaffungsreife gebracht worden war. Dieses Feuerleitgerät hatte in der militärischen Finanzplanung für 1976 keinen Platz mehr gefunden ; es wurde nun aber in das konjunkturpolitisch bedingte allgemeine Investitionsprogramm 1976 einbezogen. Verschiedene Stimmen nahmen daran Anstoss, dass dadurch Arbeitsbeschaffungsmittel einem Industriekonzern zugeleitet wurden, der sich nicht gerade über einen Beschäftigungseinbruch zu beklagen hatte. Von welscher Seite wurde auch betont, dass die aus dem « Skyguard »-Auftrag Nutzen ziehenden Zulieferbetriebe überwiegend in den Kantonen Zürich und Aargau lägen. Im Nationalrat stellten Vertreter der äussersten Linken wie der äussersten Rechten Streichungsanträge gegen den angefochtenen Posten, vermochten aber nur wenige Stimmen zu gewinnen. Beide Kammern bewilligten den beantragten Verpflichtungskredit von 310 Mio Fr. bereits im März [23],
Weniger erfolgreich waren die Militärbehörden im Bereich der Panzerabwehr, die im Armeeleitbild dieselbe vorrangige Bedeutung erhält wie die Luftverteidigung. Als tragbare Einmannwaffe für die Kompaniestufe mit einer Reichweite bis zu 500 m hatten die bundeseigenen Rüstungsbetriebe ein Raketenrohr 75 mit der zweistufigen Munition « Nora » entwickelt, deren neuartiger Antrieb die Flugzeit vermindern und den Rückstoss beseitigen sollte. Der Bundesrat ersuchte dafür, von den Bedürfnissen der Armee wie von der Beschäftigungslage gedrängt, das Parlament bereits im Februar um einen Kredit von 129 Mio Fr., obwohl das Modell von der Truppe noch nicht erprobt worden war. Bevor jedoch die Militärkommission des Ständerates auf die Vorlage eintreten konnte, erklärte das EMD, das Projekt sei nicht beschaffungsreif. Truppenversuche hatten namentlich eine zu grosse Windempfindlichkeit der Munition ergeben. Gegen Ende des Jahres verzichtete das EMD vollends auf eine Weiterentwicklung, um die dringliche Verbesserung der Panzerabwehr durch ein ausländisches Produkt zu ermöglichen. Die Panne gab Anlass zu Kritik an Organisation und Praxis der Gruppe für Rüstungsdienste [24].
 
[20] Typenwahl : JdG, 13, 17.1.76 ; NZ, 17, 17.1.76 ; Vat. (sda), 48, 27.2.76. Geschäftspraktiken : NZ, 48, 13.2.76 ; 24 heures, 40, 18.2.76. Gegengeschäfte : BüZ, 63, 15.3.76 ; TA, 62, 15.3.76. Vgl. SPJ, 1975, S. 58 f.
[21] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 269 ff. Zu den Abklärungen vgl. Amtl. Bull. NR, 1975, S. 1512 f.
[22] Presse vom 10.11.76.
[23] Vorlage : BBI, 1976, I, S. 678 ff. Kritik : NZ, 45, 10.2.76 ; TA, 33, 10.2.76 ; TW, 37, 14.2.76 ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 26 f. (Reverdin, lib., GE) ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 135 f. (Uchtenhagen, sp, ZH), 147 f. (Gautier, lib., GE). Debatten : Amtl. Bull. StR, 1976, S. 38 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 163 ff. Streichung beantragten Oehen (na, BE) und Carobbio (psa, TI).
[24] Vorlage : BBl, 1976, I, S. 836 ff. Parlamentarische Behandlung : Amtl. Bull. StR, 1976, S. 310 ff. u. 687 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1663 f. ; vgl. Presse vom 7.5.76 sowie NZZ, 285, 4.12.76. Verzicht : Presse vom 23.12.76 und TA, 31, 7.2.77. Vgl. auch Interpellation Oehler (cvp, SG) zur Stellung des Rüstungschefs (Verhandl. B.vers., 1976, 1I, S. 34).