Année politique Suisse 1976 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
 
Organisation
Als Hilfsmittel für die Organisation der Armee liess der Bundesrat ein elektronisches Personalinformationssystem (PISA) erproben, wobei die Bestände der Mechanisierten und Leichten Truppen sowie diejenigen des Kantons Bern aufgenommen wurden. Besorgnisse über eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes wies Bundespräsident Gnägi als unbegründet zurück, vermochte aber damit nicht alle Zweifel zu beheben. Die Automatisierung soll die Verwaltung und die Einheitskommandanten von Routinearbeit entlasten [28].
Eine organisatorische Änderung wurde für den Frauenhilfsdienst (FHD) getroffen, nachdem zwischen dessen Leitung und der Abteilung für Adjutantur, welcher der FHD unterstellt ist, jahrelang Spannungen geherrscht hatten. Andrée Weitzel gab nach mehr als zwanzigjähriger Chef-Tätigkeit auf Jahresende ihren Rücktritt, worauf das EMD, dem Antrag einer 1970 gebildeten Expertengruppe folgend, eine Trennung von Kommando und administrativer Leitung vornahm. Das erste wurde nur noch nebenamtlich und für eine beschränkte Zeit besetzt, analog zur Regelung für die Dienststelle Heer und Haus [29].
Die in den Richtlinien des Bundesrates angekündigte Reform der Rechtsgrundlagen für die innere Ordnung der Armee schien Anlass zu bieten, 1976 als « Jahr des Wehrmannes » zu proklamieren [30]. Durch den sog. « Oswald-Bericht » angeregt, ist man im EMD 1972 an die Revision des Dienstreglements gegangen. Diese soll die eingeführten Neuerungen im wesentlichen bestätigen und eine unpathetische, auf das Grundlegende beschränkte « Charta des Soldaten » schaffen, in der auch die politischen Rechte des Dienstpflichtigen enthalten sind. Das revidierte Reglement wird nicht mehr als Erlass des EMD, sondern als Verordnung des Bundesrates konzipiert. Dass man es nicht gleich auf Gesetzesstufe heben wollte und zudem die Konsultation interessierter Kreise sehr einschränkte, löste freilich kritische Kommentare aus [31].
Das neue Dienstreglement kann aber erst verabschiedet werden, wenn die gleichfalls im Gang befindliche Neugestaltung des Militärstrafgesetzes abgeschlossen ist. Diese verzögerte sich jedoch infolge einer unerwarteten Auswirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Als der Bundesrat dem Parlament seinerzeit deren Unterzeichnung beantragte, stützte er sich auf einen Beschluss der Europäischen Kommission für Menschenrechte von 1961, der die Anwendbarkeit der Konvention auf das Disziplinarstrafrecht verneinte. Nun aber entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 8. Juni 1976 auf eine Beschwerde aus den Niederlanden, dass auch der scharfe militärische Arrest unter die Konvention falle und deshalb ein gerichtliches Urteil voraussetze. Der Bundesrat erklärte darauf zunächst, dass der Strassburger Entscheid nur die Niederlande, nicht die Schweiz direkt betreffe, und das EMD gab Weisung, an der bisherigen Praxis festzuhalten. Bereits aber hatte sich auch ein schweizerischer Soldat wegen einer Arreststrafe in Strassburg beschwert und zugleich den Bundesrat um ein Strafverfahren gegen den Oberauditor, der den Arrest gutgeheissen hatte, ersucht. Als ein solches verweigert wurde, wandte sich der Beschwerdeführer ans Bundesgericht. Dieses billigte zwar dem Oberauditor den guten Glauben zu, sein Referent sprach sich jedoch für die unmittelbare Anwendbarkeit der Konvention auf die militärische Disziplinarpraxis aus. Das bewog die Behörden, der Anpassung der Militärstrafrechtsvorlage an die Konvention vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken [32].
Schwierigkeiten ergaben sich für die Militärjustiz auch in personeller Hinsicht. Auf Jahresende wurde das Amt des Oberauditors frei ; da aber aus dem Kreis der Justizoffiziere kein Bewerber geeignet erschien, betraute der Bundesrat trotz einem parlamentarischen Protest einen Truppenkommandanten mit der dornenvollen Aufgabe [33].
 
[28] Vgl. Interpellation Riesen (sp, FR) (Amtl. Bull. NR, 1976, S. 385 ff.; SPJ, 1974, S. 49, Anm. 25) sowie Presse vom 5.11.76.
[29] Rücktritt : Presse vom 25.3.76. Reorganisation : Presse vom 10.7.76. Nachfolge im Kommando : Presse vom 8.9.76.
[30] So Korpskommandant Senn (TA, 26, 2.2.76) und Bundespräsident Gnägi (TA, 135, 14.6.76). Vgl. oben, Richtlinien der Regierungspolitik.
[31] « Oswald-Bericht » : vgl. SPJ, 1970, S. 54 ; 1973, S. 51. Revision : NZZ, 104, 5.5.76 ; 136, 14.6.76 ; NZ, 328, 21.10.76. Kritik : BüZ, 182, 5.5.76 ; NZ, 328, 21.10.76 ; Allgemeine schweiz. Militärzeitschrift, 142/1976, Nr. 10, SOG und Sektionen.
[32] Zusammenfassende Darstellung in BBI, 1977, I, S. 1132 ff. Ursprüngliche Interpretation des BR : BBl, 1968, II, S. 1093 f. Reaktion des BR auf den Strassburger Entscheid : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 887. Weisung des EMD : Presse vom 28.7.76 ; TA, 181, 6.8.76. Bundesgericht : TA, 266, 13.11.76 ; NZ, 358, 16.11.76 ; BN, 270, 18.11.76. Vgl. ferner SPJ, 1974, S. 13 (Menschenrechtskonvention) ; 1975, S. 57 (Militärstrafrecht).
[33] Ww, 47, 24.11.76 ; NZZ (sda), 289, 9.12.76. Protest : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1295 ; NZ (sda), 360, 18.11.76. Dem gesetzlichen Erfordernis wurde durch vorübergehende Versetzung zur Militärjustiz entsprochen.