Année politique Suisse 1976 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Strukturpolitik
Mit der anhaltenden Rezession akzentuierten sich ebenfalls die strukturellen Schwierigkeiten der schweizerischen Wirtschaft. Die Anhänger der marktwirtschaftlichen Ordnung warnten aber vor einer vermehrten staatlichen Strukturpolitik, und auch der Bundesrat betonte in den Richtlinien der Regierungspolitik seine Skepsis gegenüber jeglicher Strukturpolitik, die über das Setzen von günstigen Rahmenbedingungen (Infrastrukturen, Berufsbildung usw.) hinausgeht
[41].
Bei den Bemühungen um bessere Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Entleerungsräume mittels des Investitionshilfegesetzes für
Berggebiete konnten weitere Fortschritte erzielt werden : zwanzig Regionen legten das verlangte Entwicklungskonzept vor ; davon wurden bis Ende 1976 sieben bewilligt, was den entsprechenden Regionen Anrecht auf staatliche Unterstützung ihrer Infrastrukturvorhaben gibt
[42]. Als flankierende Massnahme dazu stimmte nun auch der Nationalrat dem Bundesgesetz über die Förderung der Bürgschaftsgewährung in Berggebieten zu
[43]. Dass durch diese Vorkehrungen die benachteiligten Zonen für die erhofften privaten Investitionen genügend attraktiv gemacht werden können, wurde allerdings vom Freiburger Volkswirtschafter Prof. W. Wittmann bestritten. Er propagierte deshalb eine Lenkung der privaten Investitionen über fiskalische Massnahmen, um der gerade in den letzten Jahren merklich stärker gewordenen Tendenz zu einer immer grösseren Diskrepanz zwischen den Volkseinkommen der reichen und der armen Kantone entgegenzusteuern
[44]. Da sich die Westschweiz durch die Krise besonders geschädigt und bei der regionalen Aufteilung der Arbeitsbeschaffungskredite benachteiligt fühlte, fand eine Untersuchung grosses Interesse, welche belegte, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in diesem Landesteil ziemlich genau dem schweizerischen Durchschnitt entspricht, wobei aber auch hier grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen bestehen
[45].
Bei der sektoralen Strukturpolitik zeigten sich die Behörden bedeutend zurückhaltender als bei der regionalen. Wohl profitierte die Bauwirtschaft nach wie vor von den durch die Arbeitsbeschaffungsprogramme ausgelösten Aufträgen der öffentlichen Hand ; zu irgendwelchen Erklärungen über Besitzstandgarantien, wie diese bereits 1975 vom Baugewerbe postuliert worden waren, liess sich die Regierung nicht bewegen. Im Gegenteil bekannte sie sich eher zu der von Wissenschaftern und Spitzenvertretern der Wirtschaft geäusserten Ansicht, dass die gegenwärtigen Strukturkrisen voll durchzustehen seien, da sonst die Probleme der gefährdeten Branchen nur auf einen späteren Zeitpunkt verschoben würden
[46]. Mehr als von der Stützung gefährdeter Betriebe versprachen sich die Behörden von Massnahmen zur Linderung sozialer Härten einerseits, von der Förderung von Diversifikationsund Forschungsbestrebungen andererseits. Bereits konnten Grundzüge eines
Konzepts für die Gesundung der Uhrenindustrie von einer unter der Leitung des BIGA-Direktors J. P. Bonny stehenden Arbeitsgruppe der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Der ausgearbeitete Plan sieht insbesondere die Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft zur Koordination und Unterstützung von Selbsthilfeaktionen vor ; in diesem Zusammenhang beklagte sich allerdings Bundesrat Brugger, dass gerade in der Uhrenbranche ein bedauerliches Manko an Willen zu überbetrieblicher Zusammenarbeit festzustellen sei. Im Rahmen der zweiten Arbeitsbeschaffungsaktion hatte der Bund bereits einen Beitrag von 2 Mio Fr. für die praxisorientierte Forschung der Uhrenindustrie bewilligt, der in der Folge vom Kanton Neuenburg noch verdoppelt worden war
[47].
[41] BBl, 1976, I, S. 484 ff. (Richtlinien) ; SAZ, 71/1976, S. 499 ; E. Tuchtfeldt, « Investitionslenkung », in Wirtschaftspolitische Mitteilungen, 32/1976, Nr. 1, S. 5 f. und 12 ff.
[42] Gesch.ber., 1976, S. 239. Zum Investitionshilfsgesetz vgl. SPJ, 1974, S. 55 f. sowie F. Mühlemann, « Aufbau und Stand der regionalen Wirtschaftsförderung in der Schweiz », in Gewerkschaftliche Rundschau, 88/1976, S. 337 ff.
[43] SPJ, 1975, S. 68 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 331 ff. ; AS, 1976, S. 2825 ff.
[44] W. Wittmann, Die zweigeteilte Schweiz, Bern 1976. Verschärfung der regionalen Einkommensunterschiede : Mitteilungsblatt, 32/1976, S. 4 ff.
[45] Kritik der Genfer Regierung am Konjunkturprogramm : TG, 288, 9.12.76 ; vgl. auch Amtl. Bull. StR, 1976, S. 26 f. und 38 f. Untersuchung : M. Stepczynski, « Die Westschweiz », in SKA, Bulletin, 82/1976, Nr. 5/6, S. 32 ff.
[46] SPJ, 1975, S. 66 ; NZ, 61, 24.2.76 (Bauwirtschaft) ; BR Brugger in Documenta, 1976, Nr. 1, S. 6 ; Gesch.ber., 1976, S. 220. G. Winterberger, Die Erhaltung der Wettbewerbskraft der schweizerischen Wirtschaft, Zürich 1976, S. 9 und O. Fischer, « Das Gewerbe vor einem wirtschaftlichen und politischen Umbruch », in Gewerbliche Rundschau, 21/1976, S. 138 ff.
[47] Soziale Härten : unten, Teil I, 7c (Assurance-chômage). Konzept für Uhrenindustrie : J. P. Bonny in Documenta, 1976, Nr. 6, S. 25 ff.; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1247 f. ; NZZ, 270, 17.11.76. Kooperationsbereitschaft: Amtl. Bull. StR, 1976, S. 36. Forschungskredit : Botschaft des Bundesrates... zum Voranschlag... für das Jahr 1976, S. 65 ; TG, 52, 3.3.76 ; JdG (ats), 203, 31.8.76.
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