Année politique Suisse 1976 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Steuern
Das finanzpolitische Hauptgeschäft der eidgenössischen Politik lag beim sog.
Finanz- und Steuerpaket. Dessen Kernstück ist die Ersetzung der Warenumsatzsteuer (Wust) durch die neue, in fast allen europäischen Staaten eingeführte Mehrwertsteuer (MWSt)
[19]. Die Ende März veröffentlichte Botschaft des Bundesrates skizzierte einleitend die Ursachen für die defizitäre Entwicklung des Bundeshaushaltes und begründete damit die Unausweichlichkeit, dem Bund neue Einnahmen zukommen zu lassen. Sodann erläuterte sie die Besteuerungstechnik der
MWSt und schliesslich die neue Verfassungsgrundlage für die
direkte Bundessteuer. Diese sollte die bisher verfassungsrechtlich immer nur provisorisch verankerte Wehrsteuer in ein Definitivum überführen. Abschliessend wurden die Vorstellungen entwickelt, wie die Steuern in Kantonen und Gemeinden zu harmonisieren wären
[20].
Gegenüber dem bisherigen Verfassungszustand sah die Vorlage des Bundesrates
folgende wichtige Neuerungen vor : Art. 41 ter zählte bisher die Steuern auf, die der Bund neben denjenigen erheben konnte, die ihm nach Art. 41 bis zukommen, d.h. die Wust, besondere Steuern auf Umsatz und Einführung von Waren (Bier, Erdöl usw.) und die direkte Bundessteuer (West). Wust und West waren bis 1982 befristet. Der neue vom Bundesrat vorgeschlagene Art. 41 ter bildet bloss die Grundlage für eine MWSt von 10 %, die noch um ein weiteres Prozent erhöht werden kann (Flexibilitätsreserve). Für die direkte Bundessteuer wird ein neuer Art. 41 quater beantragt. Darin ist vorgesehen, die Mindestgrenze für die Steuerpflicht von 9700 Fr. auf 25 000 Fr. heraufzusetzen, um die kalte Progression teilweise zu kompensieren. Zudem setzt die neue West den Maximalsatz mit 14 % um 2,5 % höher an als bisher. Schliesslich wird die Gewinnsteuer bei den juristischen Personen von 9,8 % auf 11,5 % erhöht und der Höchstsatz für die Kapitalsteuer von 0,825 % auf 0,75 % reduziert. Art. 42 quinquies regelt die Harmonisierung der direkten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden. Um die kantonale Gesetzgebungshoheit nicht zu tangieren, verzichtet der Bundesrat auf die Durchsetzung einer einheitlichen Steuerbelastung (materielle Harmonisierung) und beschränkt sich auf die Festlegung bestimmter Besteuerungsgrundsätze (formelle Harmonisierung). Entsprechend der bisherigen Regelung sollen die grundlegenden Ausführungsvorschriften (insbesondere Tarife) bis zum Erlass der erforderlichen Steuergesetze in die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung aufgenommen werden, um auf diese Weise die neue Bundessteuerordnung gleich mit der Annahme der Verfassungsänderung wirksam werden zu lassen. Die neu vorgeschlagenen Übergangsbestimmungen erhöhen u.a. die Sozialabzüge bei der West von 2500 Fr. auf 3000 Fr. für Verheiratete (dazu neu 2500 Fr. für das Einkommen der erwerbstätigen Ehefrau) sowie von 1200 Fr. auf 1500 Fr. für Kinder und unterstützungsbedürftige Personen
[21]. Exporte, Landwirte sowie Kleinunternehmen mit einem jährlichen Umsatz von weniger als 30 000 Fr. sollen von der. MWSt befreit und der Ansatz beim sog. Zwangsbedarf (insbesondere Lebensmittel, Medikamente und Druckerzeugnisse) auf 3 % reduziert werden.
Schon die Vernehmlassungen hatten vermuten lassen, von wem und in welchen Punkten
Widerstände gegen die MWSt und damit gegen die gesamte Steuerreform zu erwarten seien
[22]. In den Beratungen im Nationalrat sprachen sich zwei Mitglieder der Fraktion der PdA, Muret (pda, VD) und Carobbio (psa, TI), in Nichteintretensanträgen gegen eine Vorlage aus, die den Bundeshaushalt auf dem Rücken der Finanzschwachen sanieren wolle
[23]. Auch die Vertreter der äussersten Rechten, der Zentralpräsident der NA Oehen (BE) und der Genfer Soldini (rep.), begründeten ihr Nein mit dem unsozialen Charakter der MWSt, während sich in der ablehnenden Haltung der Nationalräte Augsburger (svp, BE), Baumann (svp, AG) und Cevey (fdp, VD) deutlich die Sorge um eine zu starke Mehrbelastung bestimmter Gewerbezweige spiegelte. Kommissionspräsident Weber (cvp, AG) erklärte, dass der Bundesfinanzordnung nur dann Erfolg beschieden sei, wenn man gleichzeitig den Willen zu Sparmassnahmen unter Beweis stelle. Die genaue Kenntnis eben dieser Sparmassnahmen machten die Sozialdemokraten aber zur Bedingung, wenn sie die « Kröte Mehrwertsteuer » schlucken sollten
[24]. Verschiedene freisinnige Parlamentarier verlangten niedrigere Sätze bei der MWSt und der direkten Bundessteuer. Ein Antrag von Nationalrat Letsch (fdp, AG), die Mehrwertsteuer von 10 % auf 9 % herabzusetzen, war jedoch ebenso erfolglos, wie der Versuch des Direktors des Gewerbeverbandes Fischer (fdp, BE), der MWSt in letzter Minute eine erhöhte Wust entgegenzustellen
[25]. Nach dreitägigen zähen Verhandlungen konnte das Finanz- und Steuerpaket mit einigen Korrekturen am bundesrätlichen Vorschlag und bei Stimmenhaltung der Sozialdemokraten verabschiedet werden
[26]. Die anschliessend behandelte Reichtumssteuerinitiative der Sozialdemokraten wurde zur Ablehnung empfohlen
[27]. Bundesrat Chevallaz bemängelte den zentralistischen Charakter der Initiative sowie die auf 40 000 Fr. angesetzte Freigrenze. Schon in seiner Botschaft hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass er sein Finanz- und Steuerpaket auch als Gegenvorschlag zu dem 1974 eingereichten Volksbegehren betrachte
[28]. Nationalrat Stich (sp, SO) wandte vergeblich ein, dass dieses Paket in Anbetracht der hohen Belastung der unteren und mittleren Steuereinkommen in einer Volksabstimmung keine Chancen besitze und darum kaum als echte Alternative zur Reichtumssteuerinitiative betrachtet werden könne.
Die Aussichten der bundesrätlichen Vorlage schienen sich denn auch wesentlich zu verschlechtern, als der Ständerat auf Vorschlag seiner Finanzkommission erhebliche Differenzen zum Nationalrat schuf. Ein Nichteintretensantrag des Glarners Hefti (fdp), der ähnlich wie Gewerbedirektor O. Fischer (fdp, BE) in der Grossen Kammer den Verzicht auf die MWSt forderte, fand zwar keine Gefolgschaft. Trotz der Warnung von Ständerat Donzé (sp, GE), die SP müsse sich überlegen, ob sie überhaupt noch zum Paket stehen könne, stimmte der Rat aber einer Senkung der Ansätze bei der MWSt und der West sowie einer Kürzung der Sozialabzüge zu
[29]. Die dadurch resultierenden Mindereinnahmen von über 1 Mia Fr. gegenüber der nationalrätlichen Fassung glaubte der Ständerat trotz der Bedenken von Bundesrat Chevallaz über zusätzliche Einsparungen wettmachen zu können
[30].
Eine Lösung begann sich erst abzuzeichnen, nachdem die Regierungsparteien in gemeinsamen Verhandlungen dem kaum mehr für möglich gehaltenen Konsens deutlich näher gekommen waren
[31]. Die nationalrätliche Kommission beseitigte von den 19 geschaffenen Differenzen deren 14 durch Zustimmung zu den Beschlüssen des Ständerates
[32]. Der Nationalrat schloss sich zudem einer im September vom Ständerat erheblich erklärten Sparmotion an, worin der Bundesrat beauftragt wurde, den Finanzplan für die Jahre 1978-1980 neu zu gestalten. Im Bestreben, die Abstimmungschancen des Finanzpaketes zu verbessern, verlangt die Motion die Herbeiführung eines ausgeglichenen Finanzhaushalts bis 1980, was dadurch geschehen soll, dass der Gesamtbetrag der gesetzlich nicht abschliessend festgelegten Ausgaben auf dem Niveau des Budgets von 1976 stabilisiert und die gesetzliche Grundlage für verschiedene gebundene Ausgaben revidiert wird
[33].
In der Dezembersession gelang es, die restlichen grundsätzlichen Differenzen zu beheben und die
neue Bundesfinanzordnung in beiden Räten zu verabschieden
[34]. Das Finanz- und Steuerpaket des Parlamentes weicht in einigen Punkten von den Vorschlägen des Bundesrates ab. So wurden die Kantonsanteile am Ertrag der direkten Bundessteuern von 30 auf 33,3 % erhöht. Diese Konzession hatte der Nationalrat allerdings mit der Verpflichtung verbunden, dass die Kantone entgegen dem bundesrätlichen Antrag zu einer minimalen materiellen Steuerharmonisierung Hand bieten würden. Der Ständerat schwenkte aber erst ein, nachdem neben den grundsätzlichen Befürwortern aus den Fraktionen der SP und des Landesrings auch Vertreter der CVP betont hatten, dass die Einführung der minimalen materiellen Steuerharmonisierung eine Voraussetzung für die Annahme des Paketes in der Volksabstimmung sei
[35]. Nach einem im Juni in der Grossen Kammer gutgeheissenen « Antrag Biel » (Idu, ZH), wurde Art. 42 ter schliesslich durch folgenden neuen Absatz ergänzt : « Durch die Bundesgesetzgebung sind die Leistungen an die Kantone für den Finanzausgleich von einer genügenden Ausschöpfung der Steuerquellen abhängig zu machen »
[36]. Bei den Steueransätzen der natürlichen Personen wurden sowohl die Mindestgrenze für die Steuerpflicht wie auch der Maximalsatz in der Progression mit 18 000 Fr. bzw. 13 % tiefer angesetzt als in der bundesrätlichen Vorlage. Dafür erhöhte man die vorgeschlagenen Sozialabzüge auf je 4000 Fr. für Verheiratete und für das Erwerbseinkommen der Ehefrau sowie auf je 2000 Fr. für Kinder und unterstützungsbedürftige Personen. Das eigentliche Kernstück der Vorlage, die MWSt, fand in der ursprünglichen Form, d.h. mit einer Belastung von 10 %, schliesslich auch die Gefolgschaft des Ständerates. Doch wurde die steuerfreie Grenze für Kleinunternehmen von 30 000 auf 50 000 Fr. heraufgesetzt und der Steuersatz für das Gastgewerbe auf 6 % gesenkt. In einer Gesamtbilanz kann man feststellen, dass der vom Bundesrat erwartete Mehrertrag von 3,1 Mia Fr. ab 1979 durch das Parlament um rund 530 Mio Fr. beschnitten wurde
[37]. Trotz dieser Einbussen wurde der Entscheid der Räte angesichts des bestehenden Steuerklimas als Optimum betrachtet. Beobachter vertraten die Meinung, dass das neue Finanz- und Steuerpaket, zusammen mit dem zu erwartenden neuen Finanzplan, auf alle Fälle einer Notlösung vorzuziehen sei, wie sie nach einem eventuellen negativen Volksverdikt, unter erschwerten Umständen und unter Zeitdruck, gefunden werden müsste
[38].
[19] Für die erforderlichen steuertechnischen Neuerungen vgl. SPJ, 1975, S. 90 f. sowie den Bericht der Fachkommission Mehrwertsteuer, Vorschläge zur Gestaltung einer schweizerischen Umsatzsteuer nach dem Mehrwertsystem (Mehrwertsteuer), 1974.
[20] BBl, 1976, I, Nr. 17, S. 1384 ff. ; Bund, 77, 1.4.76 (« Erste Stimmen zu den Finanz- und Steuervorlagen des Bundes »).
[21] Bei den juristischen Personen hielt der Bundesrat am Dreistufenprinzip, d.h. an der proportionalen Grundsteuer und zwei renditenunabhängigen Zuschlägen, fest.
[22] Vgl. dazu SPJ, 1975, S. 90/91.
[23] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 651 ff. ; NZZ, 143, 144, 145, 22.6.-24.6.76 ; TW, 143, 144, 145, 22.-24.6.76 ; TLM, 176, 24.6.76 ; VO, 140, 22.6.76 ; 142, 24.6.76.
[24] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 663 f. (Hubacher, sp, BS) ; S. 682 f. (Gerwig, sp, BS) ; NZ, 193, 23.6.76.
[25] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 677 f. (Rüegg, fdp, ZH) ; S. 701 f. (Sigrist, fdp, ZH) ; S. 699 (Letsch) ; S. 744 f. (Fischer). Vgl. auch das Referat von NR Letsch am Schweizerischen Gewerbekongress über « öffentliche Finanzen und Wirtschaft » in Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 20, 20.5.76 sowie H. Letsch, Chance und Grenzen des 'sozialen Rechtsstaates', Aarau 1976.
[26] Für eine politische Gesamtbeurteilung vgl. NZZ, 150, 30.6.76 (« Was steht noch in diesem Staat ») ; Tat, 148, 25.6.76 (« Verschlechterte Finanzlage ») ; BN, 146, 26.6.76 (« Die Fronten sind klar erkenntlich ») ; TW, 147, 26.6.76 (« Fischer - ein klassischer Subversiver ? »).
[27] Vgl. SPJ, 1972, S. 76 ; 1974, S. 78 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 765 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 457 ff. ; Presse vom 24.6.76 und vom 1.10.76.
[28] BBI, 1976, I, Nr. 17, S. 1503.
[29] Über die Beratungen der Kommission des StR vgl. NZZ, 218, 17.9.76. Zu den Beratungen und Beschlüssen des Rates : Amtl. Bull. StR, 1976, S. 420 ff.; NZZ, 228-230, 29.9.-1.10.76 ; 24 heures, 228, 30.9.76.
[30] Amtl. Bull. StR, S. 421 f. ; Vat., 228, 30.9.76 ; Ldb, 227, 30.9.76 ; LNN, 228, 30.9.76.
[31] NZZ, 212, 10.9.76 ; TA, 253, 29.10.76 ; JdG, 253, 29.10.76 ; Vat., 253, 29.10.76 ; TW, 255, 30.10.76 ; vgl. auch unten, Teil IIIa (Partis gouvernementaux).
[32] NZZ, 255, 30.10.76 ; 24 heures, 254, 30.10.76 ; Bund, 142, 30.10.76.
[33] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1339 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 447 ff. ; NZZ, 218, 17.9.76 ; 229, 1.10.76 ; 282, 1.12.76 ; BN, 229, 1.10.76 ; Tat, 230, 30.9.76 ; Vat., 281, 1.12.76 ; TA, 281, 1.12.76.
[34] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1321 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 625 ff. ; NZZ, 296, 17.12.76 ; TLM, 352, 17.12.76 ; Bund, 297, 18.12.76 ; TW, 298, 20.12.76 ; Vat., 297, 20.12.76 ; NZ, 397, 20.12.76.
[35] Vgl. z.B. Amtl. Bull. NR, 1976, S. 1334 (Rüttimann, cvp, AG).
[36] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 728 f. ; NZZ, 145, 24.6.76 ; Tat, 149, 24.6.76.
[37] NZ, 397, 20.12.76 (H. Stranner) ; Finanzplan des Bundes für die Jahre 1978 bis 1980, mit Perspektiven des Bundeshaushalts für das Jahr 1981, Bern 1977, S. 10 u. 32.
[38] NZ, 397, 20.12.76 ; Vat., 297, 20.12.76.
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