Année politique Suisse 1976 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
 
Andere Steuern
Weitere Entscheide und Massnahmen zu Steuerfragen standen ganz im Schatten des Finanz- und Steuerpaketes. Das 1974 vom Landesring eingereichte « Volksbegehren für eine gerechtere Besteuerung und die Abschaffung von Steuerprivilegien » wurde bei einer Stimmbeteiligung von 39 % mit 819 830 Nein zu 599 053 Ja verworfen [56]. Mit Ausnahme der SPS, der PdA, der POCH, der NA und der wichtigsten Arbeitnehmerorganisationen, die alle Stimmfreigabe beschlossen, hatten sich die übrigen Parteien und die Wirtschaftsverbände sowie zahlreiche Aktionskomitees gegen das Volksbegehren ausgesprochen [57]. Der Initiative wurde vor allem vorgeworfen, sie trage dem föderalistischen Aufbau des Staatswesens zuwenig Rechnung. Zudem wäre der Bundesrat bei einer Annahme gezwungen worden, das vorgesehene Paket « Mehrwertsteuer/ Wehrsteuerreform/ formale Steuerharmonie » wieder aufzuschnüren und dem Parlament bzw. den Stimmbürgern die nackte Mehrwertsteuervorlage vorzusetzen [58]. Trotz der massiven Nein-Propaganda fiel der Volksentscheid in einzelnen grösseren Kantonen der Deutschschweiz recht knapp aus. Im Kanton Basel-Stadt wurde die Initiative sogar angenommen [59]. Mit Bundesrat Chevallaz sahen viele Beobachter im relativ hohen Anteil der Ja-Stimmen denn auch eine Verpflichtung, mit der Nivellierung des allzu starken Steuergefälles in der Schweiz endlich Ernst zu machen [60].
Das neue Bundesgesetz über Massnahmen zur wirksameren Bekämpfung der Steuerhinterziehung konnte erst im Nationalrat verabschiedet werden. Darin vorgesehen sind verschärfte Strafbestimmungen, eine weiterreichende Auskunftspflicht und die Bildung eines eidgenössischen Kontrollorgans [61]. Ein Antrag, der explizit die Aufhebung des Bankgeheimnisses zum Ziele gehabt hätte, wurde abgelehnt [62]. Nach Schätzungen von Fachleuten beträgt die Gesamtsumme der heute in der Schweiz hinterzogenen Einkommens- und Vermögenswerte mindestens 40 Mia Fr. [63].
In einzelnen Kantonen aktualisierte die Auseinandersetzung um Steuerfragen die in diesem Bereich häufig beklagte Entfremdung zwischen Bürger und Staat [64]. Die Stimmbürger des Kantons Freiburg lehnten das Steuerdekret 1975 deutlich ab. Entgegen der Praxis früherer Jahre hatte die Regierung die Steuervorlage nicht dem Referendum unterstellt. Das bewog einige Bürger dazu, sich ans Bundesgericht zu wenden. Der Rekurs wurde geschützt und das Referendumsverfahren eingeleitet. Für die bereits eingezogene Kantonssteuer 1975 musste ein neues Steuerdekret mit einem um 6 % tieferen Steuerfuss ausgearbeitet werden [65]. Im Kanton Bern wurde der 1975 überraschend angenommenen Steuerinitiative des Landesrings im Nachhinein ein Gegenvorschlag gegenübergestellt. Nach Ansicht des Regierungsrates liess sich dieser Vorschlag « im Gegensatz zur Landesring-Steuervorlage organisch ins bernische Steuersystem einordnen ». Zwei staatsrechtliche Gutachten ergaben die Rechtmässigkeit des Vorgehens [66]. Unerwünschte Folgen hatte eine Steuerreform im Kanton Tessin. Die neue Steuer auf Gewinnen aus hoher Aktienbeteiligung führte zur Flucht einiger grosser Steuerzahler aus dem zu teuer gewordenen Paradies [67].
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H.P.H.
 
[56] Vgl. SPJ, 1975, S. 91 ; BBI, 1976, II, S. 663 ; NZZ, 34, 11.2.76 ; Presse vom 22.3.76.
[57] Tat, 17, 21.1.76 ; 48, 26.2.76 ; NZZ, 43, 21.2.76 ; 46, 25.2.76 ; 65, 18.3.76 ; TLM, 79, 19.3.76. Mit den Initianten (LdU) empfahlen auch die Revolutionäre Marxistische Liga sowie einige Gewerkschaftskartelle und lokale Sektionen der SP die Initiative.
[58] NZ, 68, 1.3.76 ; BZ, 51, 2.3.76 ; JdG, 56, 8.3.76 (« Pas de canton sans souveraineté fiscale ») ; NZZ, 60, 12.3.76 ; 62, 15.3.76 ; LNN, 62, 15.3.76 ; SZ, 65, 18.3.76.
[59] Bund, 69, 23.3.76 ; NZ, 93, 23.3.76.
[60] Bund, 68, 22.3.76 ; Tat, 69, 22.3.76 ; TW, 68, 22.3.76 ; 24 heures, 68, 22.3.76 ; Ww, 12, 24.3.76.
[61] H. Schmid, « Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung », in TA, 218, 18.9.76 ; NZZ, 173, 22.6.76 ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 633 ff.
[62] Amtl. Bull. NR, 1976, S. 635 f. (Antrag Carobbio, psa, TI). Überraschend angenommen wurde hingegen ein in die gleiche Richtung zielender Antrag von NR Weber (sp, TG). Allerdings wurde dieser nach dem deutlichen Nein im StR in der Differenzbereinigung fallengelassen : Amtl. Bull. NR, 1976, S. 649 f. ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 133 ff. u. 653 ff. ; NZ, 192, 22.6.76 ; Ostschw., 147, 26.6.76 ; FA, 67, 20.7.76 ; NZZ, 56, 83.77 ; 72, 26.3.77 ; 103, 4.5.77.
[63] NZ, 185, 16.6.76 ; TG, 137, 16.6.76 ; Ww, 11, 17.3.76.
[64] Vgl. SPJ, 1975, S. 86 ; ferner oben, Teil I, 1a.
[65] La Gruyère, 24, 26.2.76 ; 47, 22.4.76 ; NZZ, 59, 11.3.76 ; Lib., 138-140, 16.-18.3.76.
[66] Bund, 28, 4.2.76 ; Tat, 29, 4.2.76 ; TA, 28, 4.2.76 ; TW, 29, 5.2.76.
[67] NZZ, 221, 21.9.76 ; 229, 30.9.76 ; 302, 24.12.76 ; TA, 302, 27.12.76.