Année politique Suisse 1977 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei
Die Tendenz der Sozialdemokratischen Partei (SP), sich stärker zu profilieren, kam nicht nur in Abstimmungsparolen zum Ausdruck. Die am Parteitag von 1976 beschlossene Aufstellung eines neuen Programms, mit der vorerst eine Arbeitsgruppe betraut wurde, trat freilich noch nicht in den Vordergrund [10]. Rezession und Umweltgefährdung legten die Beschäftigung mit begrenzteren Problembereichen nahe. So wurde mit der Ausarbeitung eines Wirtschaftskonzepts begonnen, an der sich die Parteimitglieder in einem breit angelegten Vernehmlassungsverfahren beteiligen sollen [11]. Konzepte zur Verkehrs- und Energiepolitik wurden bereits vorgelegt; das zweite war Gegenstand einer parteiinternen Tagung [12]. Besonderen Nachdruck legte man aber auf eine Neuordnung der Bankengesetzgebung, wozu die Chiasso-Affäre der Schweizerischen Kreditanstalt einen höchst aktuellen Anlass bot. Keine drei Wochen nach Bekanntwerden des Skandals kündigte die Parteileitung schon ihre Absicht an, ein Volksbegehren mit systemverändernder Tendenz zu lancieren. Gegen Jahresende lag zwar erst ein Expertenentwurf vor, doch rückte die Bankeninitiative in die vorderste Linie der Aktivität, während man die 1975 vom Parteitag beschlossene Bodenrechtsinitiative, für welche die Unterschriftensammlung nur mühsam vorankam, aufzugeben gedachte [13].
Für die seit 1970 angestrebte Strukturreform war im Vorjahr ein neuer Anlauf genommen worden. Es lag ein Projekt vor, welches wie das 1973 zurückgewiesene auf eine Straffung der Organe zielte. Darin erscheinen nicht mehr die örtlichen Sektionen als die eigentlichen Träger der Landesorganisation, sondern die Regional- oder Kantonalformationen, die sowohl für die Abordnung der Delegierten wie für die Einreichung der Anträge an den Parteitag zuständig werden. Der Parteivorstand ist dagegen vermehrt als Delegierten-, denn als Funktionärsgremium konzipiert; die Geschäftsleitung gliedert sich in Ressortvertreter. In den Vernehmlassungen der Kantonalparteien meldete sich Opposition, die das Modell als zu hierarchisch verwarf [14]. Eine Verstärkung erfuhr die zentrale Informationstätigkeit; ein Sorgenkind blieb jedoch die sozialdemokratische Tagespresse [15].
Die Landespartei trat gegen aussen wieder geschlossener auf; der Parteitag von Brig, der erste im Wallis, unterstützte das Finanzpaket mit mehr als drei Vierteln der Stimmen [16]. In bezug auf das Verhältnis zur extremen Linken bestätigte die Geschäftsleitung die bisherige Distanz, anerkannte aber die Möglichkeit eines Zusammengehens in Sachfragen. Damit deckte sie praktisch die in Genf und in der Waadt üblichen Wahlallianzen mit der PdA oder eine Initiativgemeinschaft, wie sie die Basler Linksparteien für eine Änderung der Finanzgrundsätze in der öffentlichen Versorgung eingingen [17]. Im Kanton Zürich; wo die SP keine ernsthafte kommunistische Konkurrenz findet, traten erneut starke innerparteiliche Spannungen zutage, namentlich zwischen dem linken und dem gewerkschaftlichen Flügel [18].
 
[10] SP-Information, 13, 30.6.77. Vgl. dazu die Kontroverse um marxistische Theorie und sozialdemokratische Tradition in Profil, 1977, S. 273 ff. (T. Biedermann) und 337 ff. (B. Bürcher), femer F. Masnata und B. Bürcher in Infrarot, Nr. 31, Aug./Sept. 1977, S. 16 ff.
[11] NZZ (sda), 106, 7.5.77. Vgl. oben, Teil I, 4a (Einleitung). Ein entsprechender Antrag war am Parteitag von 1976 gutgeheissen worden (SPS, Parteitag 76, Beschlussprotokoll, S. 56 f., 60).
[12] Verkehrskonzept: vgl. oben, Teil I, 6b (Conception globale suisse des transports). Energiekonzept: TW, 219, 19.9.77; 279, 28.11.77; vgl. auch oben, Teil I, 6a (Centrales nucléaires).
[13] Bankeninitiative: vgl. oben, Teil I, 4b (Banken), ferner TA (ddp), 285, 6.12.77; 290, 12.12.77. Bodenrechtsinitiative: TW, 299, 21.12.77; vgl. oben, Teil I, 6c (Bodenrecht) sowie SPJ, 1975, S. 116.
[14] SP-Information, 13, 30.6.77; TW, 179, 3.8.77; P. Gartmann in Profil, 1977, S. 305 ff. Opposition: Vr, 228, 30.9.77 (ZH und VD). Vgl. dazu SPJ, 1973, S. 163.
[15] Vgl. Vat., 39, 16.2.77 sowie oben, Teil I, 8c (Presse).
[16] Vgl. SPS, Beschlussprotokoll des ausserordentlichen Parteitags 77, femer Presse vom 18.4.77. Der Parteivorstand unterlag freilich mit seiner Ablehnung des Referendums gegen das Gesetz über die politischen Rechte (vgl. oben, Teil I, 1c, Volksrechte).
[17] Presse vom 12.2.77. Wahlallianzen: vgl. oben, Teil I, 1e (Elections des autorités cantonales, Genève; Elections communales, Lausanne). Basel: BaZ, 11, 10.2.77, femer oben, Teil II, 4a sowie SPJ, 1976, S. 173. Die Genfer SP ging allerdings weiter und profilierte sich mit einem beachteten Wahlprogramm, das eine Zusammenarbeit der Linksparteien zur Errichtung einer sozialistischen Demokratie forderte. (Jalons 77, Manifeste du Parti socialiste genevois; vgl. auch 24 Heures, 209, 8.9.77; JdG, 234, 7.10.77).
[18] In den neuen Parteistatuten wurde gegen den Widerstand gewerkschaftlicher Kreise die Öffentlichkeit der Fraktionssitzungen eingeführt (TA, 135, 13.6.77). Bei der Nominierung der Kandidaten für die Wahlen zur Zürcher Stadtexekutive im Februar 1978 zog die Delegiertenversammlung auf gewerkschaftlichen Druck die Aufstellung eines Vertreters der Parteilinken anstelle des Bisherigen E. Frech zurück (NZZ, 272, 19.11.77; 274, 22.11.77; Vr, 271, 19.11.77; TA, 278, 28.11.77).