Année politique Suisse 1977 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Schweizerische Volkspartei
Mit ihrem Profil beschäftigte sich auch die Schweizerische Volkspartei (SVP), aber nicht so sehr um sich von ihren übrigen Regierungspartnern abzuheben, als um aus einer unvorteilhaften Aussenseiterposition herauszukommen und vermehrt Arbeitnehmer, Frauen und die junge Generation anzusprechen. Aufgrund der Vorschläge einer von Parteipräsident Hofmann geleiteten Arbeitsgruppe beschlossen die Delegierten im Februar eine Straffung der Organisation. Die Kantonalparteien sollen künftig vor wichtigen politischen Entscheidungen die Landesorganisation konsultieren und bis zu den Nationalratswahlen von 1979 den neuen, 1971 eingeführten Namen annehmen. Die Delegiertenversammlung wird erweitert und erhält die Aufgabe, sich jährlich an einer besonderen Tagung mit den kritischen Beobachtungen einer Programmkommission zu befassen [19]. Unter dém Vorsitz des Bündner Ständerats Schlumpf arbeitete die neue Kommission mit starker Beteiligung junger Kräfte programmatische Dokumente aus, über welche die Delegierten im Spätjahr entschieden. Ein allgemeines Grundsatzpapier erhielt besondere Akzente durch die Betonung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes sowie durch die Ablehnung schädlicher Machtkonzentrationen in der Wirtschaft. Konkretere Postulate, die nicht ohne Opposition durchgingen, brachte das Aktionsprogramm für den Rest der Legislaturperiode: Stimmrecht für 18jährige, Ombudsmann, wirksamere Bankenkontrolle, Bedürfnisklausel für Atomkraftwerke, Arbeitszeitverkürzung, Mutterschaftsversicherung und staatliche Parteiensubventionierung [20].
In der Öffentlichkeit nahm man die Aufbruchstimmung in der als konservativ geltenden Partei aufmerksam zur Kenntnis, wobei es nicht an Zweifeln fehlte, ob die Umstellung wirklich gelingen werde [21]. Immerhin waren in mehreren Kantonalparteien parallele Entwicklungen, sei es mehr in organisatorischer oder mehr in programmatischer Hinsicht, zu verzeichnen [22]. Die Berner SVP sah sich in unerwarteter Weise von der Jurafrage betroffen, als ihre — durchaus antiseparatistisch orientierte — jurassische Regionalformation etwas umgestüm einen Sitz im Regierungsrat verlangte, ohne dass einer der vier von der Partei gestellten Magistraten zum Rücktritt bereit war. Die unbefriedigte sprachliche Minderheit erhielt vom kantonalen Parteivorstand die Zusage, er werde sich bei den anderen Regierungsparteien für eine turnusmässige Berücksichtigung ihres Anspruchs einsetzen [23].
 
[19] SVP, Statuten, Vgl. dazu Presse vom 7.2.77; SVP-Bulletin, Nr. 1, März 1977. Auch eine zentrale Mitgliederkartei ist vorgesehen. Vgl. ferner SPJ, 1976, S. 176 f.
[20] Grundsätze der Schweizerischen Volkspartei; SVP, Schwerpunkte 1978/79. Vgl. Presse vom 1.11. und 5.12.77.
[21] Vgl. SP-Information, 3, 10.2.77; BaZ, 55, 26.3.77; NZZ, 287, 7.12.77; 24 Heures, 302, 28.12.77; 304, 30.12.77.
[22] Vgl. Straffung der Organisation in BE (SVP-Bulletin, Nr. 2, April 1977; Bund, 113, 16.5.77; vgl. auch SPJ. 1976, S. 177), Namenswechsel der «Demokratischen Partei» von GR (BüZ, 23, 27.1.77; 155, 4.7.77; vgl. SPJ, 1971, S. 179 f.), Tendenz zur Mitte oder nach links in BL (BaZ, 55, 26.3.77). TI (CdT, 285, 13.12.77) und VD (TLM, 59, 28.2.77; 24 Heures, 49, 28.2.77). Auch die Jugendorganisation (Junge Mitte) benannte sich um in Junge SVP (Presse vom 28.3.77).
[23] 24 Heures, 91, 20.4.77; JdG, 123, 31.5.77; BN, 256, 1.11.77; 257, 2.11.77; Bund, 258, 3.11.77; 276, 24.11.77. Dabei erklärte man sich für eine Beibehaltung der Zweiervertretung des jurassischen Landesteils, obwohl die revidierte Kantonsverfassung diesem angesichts der Abtrennung des Nordjuras nur noch einen Regierungssitz garantiert (vgl. oben, Teil I, 1d, Question jurassienne).