Année politique Suisse 1977 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Christlichdemokratische Volkspartei
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) sollte 1977 — zum Abschluss eines siebenjährigen Reformprozesses — ein neues Grundsatzprogramm erhalten, das als «geistiger Unterbau» für die Wahlplattformen gedacht ist. Ein vom früheren Generalsekretär U. Reinhardt ausgearbeiteter Vorentwurf begegnete jedoch im Vernehmlassungsverfahren vielfältiger Kritik. Den einen erschien er zu wenig griffig und praxisnah, anderen, namentlich dem christlichsozialen Flügel und der Jungen CVP, fehlte die grosse Zukunftsperspektive. Auch der Stellenwert des sogenannten «C», insbesondere der katholischen Soziallehre, war nicht allen hoch genug eingestuft. So sah sich die Parteileitung genötigt, eine Überarbeitung vornehmen zu lassen
[30].
Die Hauptexponenten der Landespartei waren bestrebt, am Kurs einer innovationsfreudigen «
dynamischen Mitte» festzuhalten und sich von einer Bürgerblockpolitik zu distanzieren. Sie äusserten sich gegen einen «Marschhalt» in der Sozialpolitik und für einen Ausbau des Bildungswesens; als Voraussetzungen dazu wurden ausreichende Staatsfinanzen und ein wirtschaftliches Wachstum für erforderlich gehalten
[31]. Wenn auch das Parteikader im Kampf um das Finanzpaket ziemlich geschlossen wirkte, so konnte es nicht hindern, dass die Stimmbürger der CVP-Stammlande die Vorlage zum Teil massiv verwarfen. Nach dem 12. Juni bekundete die Parteiführung denn auch eine stärkere Neigung zur Sparpolitik
[32]. Zu einer breiten Fronde unter den Kantonalparteien kam es beim Volksentscheid über den Zivildienst, wo die CVP als einziger Koalitionspartner der Regierungsvorlage die Treue zu halten versuchte
[33]. In zwei Kantonen beeinträchtigten Skandale das Image der Partei. Im Wallis hatte es die mehrheitlich christlichdemokratische Regierung geschehen lassen, dass die mit Parteigrössen liierte Baufirma Savro den Staat betrog. Zwar forderte man auch von CVP-Seite eine parlamentarische Untersuchung, doch war die Affäre geeignet, bestehende Spannungen zwischen Ober- und Unterwalliser Christlichdemokraten zu akzentuieren
[34]. Im Tessin sah die CVP einen ihrer Magistraten, Regierungspräsident Vassalli, in den Chiasso-Skandal der Schweizerischen Kreditanstalt verwickelt, so dass eine Ablösung erfolgen musste
[35].
[30] LNN, 82, 7.4.77; Vat. (sda), 133, 11.6.77; Vat.. 200, 29.8.77. Vgl. SPJ, 1970, S. 186 f.; 1976, S. 175. Christlichsoziale Parteigruppe: Vat., 54, 5.3.77. Die Junge CVP wurde von der Mutterpartei als unabhängige, aber für die Parteientwicklung notwendige Bewegung anerkannt (Val., 266, 14.11.77; vgl. auch NZZ, 267, 14.11.77). Zum «C» vgl. P. Biderbost, «Rund um das 'C'», in Civitas, 32/1976-77, S. 523 W. Eine Erhebung ergab, dass die Sozialstruktur der CVP noch weit überwiegend katholisch ist (U. Altermatt, «Christlichdemokratische Volkspartei und Reformierte», in Civitas, 32/1976-77, S. 686 ff.).
[31] BaZ, 13, 12.2.77; Vat., 37, 14.2.77; 266, 14.11.77; LNN, 82, 7.4.77; TA, 109, 11.5.77.
[32] Finanzpaket: vgl. oben, Teil I, 5 (Finanzpaket), ferner Karte in BaZ, 169, 23.7.77. Sparpolitik: Vat., 138, 17.6.77; NZZ (sda), 154, 4.7.77.
[33] Vgl oben, Teil I, 3 (Zivildienst).
[34] TLM, 197, 16.7.77; 254, 11.9.77; 260, 17.9.77; 267, 24.9.77; 278, 5.10.77; 315, 11.11.77; 332, 28.11.77; NZZ, 238, 11.10.77. Im Oberwallis liessen nicht nur die Christlichsozialen, sondern gerade auch die mit ihnen rivalisierenden Christlichdemokraten oppositionelle Neigungen erkennen.
[35] CdT, 139, 20.6.77; 141, 22.6.77; TA. 143, 22.6.77. Vgl. oben, I, 4b (Banken).
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