Année politique Suisse 1977 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Unternehmer
Die andauernde Rezession gab den führenden Vertretern der Unternehmerverbände von Industrie und Handel Anlass, sich über das Verhältnis ihrer Organisationen zum Staat zu äussern. L. von Planta bezeichnete den von ihm präsidierten
Vorort als Bindeglied zwischen Privatwirtschaft und Staat, ja er ordnete die Wirtschaft als einen Bestandteil in das grössere Ganze des nationalen Staates ein. Gleichzeitig betonte er jedoch das Prinzip der freien Marktwirtschaft; der Staat habe den Unternehmern nur günstige Rahmenbedingungen, namentlich für den Export, zu schaffen, wobei es vor allem den freien Waren- und Zahlungsverkehr und ein möglichst stabiles Währungssystem zu erhalten gelte. Immerhin postulierte er ausdrücklich einen starken und finanziell gesunden Staat, der die schweizerische Selbständigkeit und Freiheit zu gewährleisten vermöge; dieser müsse aber die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft anerkennen und deshalb von einer weiteren Erhöhung der Steuern und Soziallasten absehen, zumal die Gewinne der Unternehmungen ungenügend geworden seien
[8]. Legte somit der Sprecher des Handels- und Industrievereins einen besonderen Akzent auf die Zusammenarbeit mit den Behörden, so markierte sein Kollege vom Zentralverband der Arbeitgeberorganisationen, F. Halm, mehr die Distanz. Er rief nach einem Abbau des staatlichen Umverteilungsmechanismus und nach einer Konzentration der Staatstätigkeit auf das unbedingt Notwendige, verteidigte den politischen Einfluss der Verbände und warnte davor, diesen zugunsten der Macht der Verwaltung zu beschränken
[9]. Beide Organisationen unterstützten jedoch das Finanzpaket
[10].
Wach enges Verhältnis der Vorort zu den Entscheidungsgremien des Bundes beansprucht, zeigte sich bei seinem Versuch, auf den Ratifizierungsakt zum Atomsperrvertrag noch nach Abschluss des parlamentarischen Genehmigungsverfahrens einzuwirken
[11]. Ein Beispiel ungeschminkter Pressure group-Politik bot anderseits das Organ der Arbeitgeberorganisationen, als es dazu aufforderte, Massenzeitungen für unfreundliches Verhalten mit einer Inseratensperre zu bestrafen
[12]. Im übrigen waren von Unternehmerseite vermehrte Publizitätsanstrengungen zu verzeichnen
[13]. Die im Dienste der Unternehmerinteressen wirkende Aktion für freie Meinungsbildung, welche die «Trumpf Buur»-Inserate herausgibt, beging ihr 30jähriges Jubiläum, was nicht ohne pointierte Kommentierung blieb
[14].
Die Chiasso-Affäre der Schweizerischen Kreditanstalt und die von ihr ausgelösten Reaktionen schufen eine Situation, in der sich die
Bankiervereinigung zu einer gesteigerten Imagepflege gedrängt sah. So verlegte sie ihre Luzerner Jahresversammlung in den ungewohnten Raum einer reformierten Kirche, und A. E. Sarasin betonte in seiner Präsidialadresse den Respekt, den das Schweizer Bankwesen im Ausland nach wie vor geniesse, sowie seine tiefe Verwurzelung in der Bevölkerung, aus der sich die starke Betroffenheit über die Affäre erkläre. Der Sprecher des Bankgewerbes verteidigte die Entwicklung des Finanzplatzes Schweiz und plädierte für einen Dialog mit dem Staat, wogegen er vor vermehrter Staatsintervention warnte. Durch Aushandeln einer Vereinbarung über die Sorgfaltspflicht mit der Nationalbank und durch Empfehlungen an ihre Mitglieder zur Abwicklung von Treuhandgeschäften war die Vereinigung bestrebt, ihre dialogische Methode zur Behebung des moralischen und politischen Schadens zu erproben
[15].
Die radikale Oppositionsstellung gegen staatliche Machtentfaltung, die O. Fischer als Direktor des
Gewerbeverbandes durchzuhalten versuchte, stiess nun auch in den Entscheidungsgremien der Organisation auf Widerstand. So übertrug die Gewerbekammer die Parolenausgabe zum Finanzpaket ausserordentlicherweise dem Kongress, ein Verfahren, das seit 1947 nicht mehr angewandt worden war. In diesem Basisorgan verfehlte die Phalanx der Detailhandels- und Kleinbetriebsvertreter, die sich gegen die Mehrwertsteuer sträubte, trotz Unterstützung durch den Verbandspräsidenten R. Etter und seinen Direktor die erforderliche Zweidrittelmehrheit, so dass es bei einer Stimmfreigabe blieb
[16]. Dagegen sprach sich die Gewerbekammer bereits im Herbst gegen das Hochschulförderungs- und Forschungsgesetz aus. In einer Bilanz seiner 30jährigen Verbandstätigkeit wandte sich O. Fischer auch gegen kartellfeindliche Massnahmen, da sie die Konzentration förderten, und plädierte für eine gezieltere Sozialpolitik, wobei er eine Nivellierung der AHV-Renten anregte
[17].
[8] L. von Planta, «Grundsatzorientierte Wirtschaftspolitik, Präsidialansprache», in Schriftenreihe des Vororts, 12. Vgl. dazu SPJ, 1973, S. 167.
[9] F. Halm, «Die Wirtschaft braucht Vertrauen, Präsidialansprache», in SAZ, 72/1977, S. 373 ff.
[10] Schweiz. Handels- und Industrie-Verein: NZZ, 93, 22.4.77. Zentralverband schweiz. Arbeitgeber-Organisationen: SAZ, 72/1977, S. 317. Vgl. oben, Teil I, 5 (Finanzpaket).
[11] Vgl. oben, Teil I, 2 (Atomsperrvertrag).
[12] SAZ, 72/1977, S. 48 f. Vgl. NZ, 9, 10.1.77; 21, 21.1.77.
[13] Vgl. den Faltprospekt Was ist der Vorort und was tut er? oder die Broschüre Der Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen- und Metall-Industrieller stellt sich vor, Zürich 1977; ferner Schweiz. Handels- und Industrie-Verein, Jahresbericht, 107/1976-77, S. 47 f. Vgl. auch oben, Teil I, 4a (Einleitung).
[14] Aktion für freie Meinungsbildung, Mineilungsblatt, Nr. 214, Jan. 1977. Kommentar: FA, 39, 16.2.77.
[15] NZZ, 230, 1.10.77. Vgl. oben, Teil 1, 4b (Banken).
[16] Gewerbekammer: NZZ, 15, 19.I.77. Kongress: NZZ, 88, 16.4.77; Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 16, 21.4.77. Vgl. dazu SPJ, 1976, S. 181.
[17] Hochschulförderung: NZZ, 219, 19.9.77; vgl. oben, Teil I, 8a (Hautes écoles). Bilanz: O. Fischer, «Mein gewerbepolitischer Standort», in Gewerbliche Rundschau, 22/1977, S. 151 ff. O. Fischer gab seinen Rücktritt auf 1980 bekannt.
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