Année politique Suisse 1977 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Öffentliche Ordnung
print
Polizei
Als polizeiliches Hauptinstrument zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit wie der rechtsstaatlichen Ordnung soll die neue Bundespolizeitruppe dienen, die den kantonalen Beständen entnommen, vom Bund ausgebildet und ausgerüstet und von der Landesregierung eingesetzt würde. In seiner Botschaft an die eidgenössischen Räte trug der Bundesrat kantonalen Bedenken Rechnung, indem er den Ständen für Aufgebot und Einsatz ein Anhörungsrecht einräumte, für das Kommando in der Regel einen kantonalen Beamten vorsah und die Kantone an der Ausbildung — allerdings auch an der Finanzierung — beteiligte [28]. Im Ständerat, wo die Vorlage im Herbst zur Behandlung kam, wurden weitere föderalistische Anliegen geltend gemacht, jedoch ohne wesentlichen Erfolg. Die Volkskammer, die das Geschäft im Dezember vornahm, debattierte hauptsächlich über die Kritik von links, die unter den Ständeherren wenig Echo gefunden hatte. Diese richtete sich dagegen, dass der neuen Polizeitruppe — übrigens auf Verlangen der Kantone — ausdrücklich auch die Wahrung der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 16 BV zugedacht wurde; mehrere Votanten äusserten die Befürchtung, dass dadurch die Demonstrationsfreiheit beeinträchtigt würde. Da die Verfassung dem Bund wohl die Aufgabe überträgt, für Sicherheit, Ruhe und Ordnung zu sorgen, ihm aber dafür kein anderes Instrument als die Armee ausdrücklich zuerkennt, zog man auf der Linken auch die Verfassungsmässigkeit der neuen Institution in Zweifel. Der Rat lehnte es freilich ab, den Auftrag zur Ordnungswahrung, der auch von einzelnen Sozialdemokraten bejaht wurde, fallenzulassen [29]. Noch vor der Bereinigung der geringfügigen Differenzen zwischen den beiden Kammern bildeten verschiedene Organisationen, die an einer möglichst unbeschränkten Demonstrationsfreiheit interessiert sind, ein Referendumskomitee [30]. Eine engere Zusammenarbeit von Bund und Kantonen zeichnete sich auch auf dem Gebiet der polizeilichen Fahndung ab: im November stimmten die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren einem zentralen elektronischen Informationssystem zu [31].
 
[28] BBI, 1977, 11, S. 1279 ff. Vgl. SPJ, 1976, S. 18.
[29] Amtl. Bull. S1R, 1977, S. 580 ff.; Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1690 ff.
[30] JdG, 295, 17.12.77; NZZ (sda), 296, 17.12.77. Dem Komitee gehören die PdA, die POCH, die RML, das Rassemblement jurassien, das Demokratische Manifest, Soldatenkomitees, der Schweiz. Typographenbund, Kernkraftwerkgegner und die Frauenbefreiungsbewegung an. An einer gleichzeitig in Bem durchgeführten Demonstration, bei der es zu kleineren Zwischenfällen kam, nahm das Komitee nicht teil (NZZ. sda, 297, 19.12.77). Vgl. auch Focus, Nr. 89, Okt. 1977. S. 10 ff.; Zeitdienst, 46. 18.1 1.77.
[31] Ww, 46, 16.11.77; NZZ (sda), 305, 29.12.77. Vgl. SPJ, 1974, S. 15. — Eine klassenkämpferische Deutung der offiziellen Sicherheitspolitik geben R. Thut / C. Bislin, Aufrüstung gegen das Volk. Staat und Staatsschutz in der Schweiz. Zur Entwicklung der «inneren Sicherheit». Zürich 1977.