Année politique Suisse 1977 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Strafrecht
Der Terrorismus überschattete weiterhin die Entwicklung des Strafrechts und wirkte humanitären Reformbestrebungen entgegen. Nationalrat Oehen (na, BE) reichte eine parlamentarische Initiative ein, die der Wiedereinführung der Todesstrafe dadurch den Weg bahnen sollte, dass Mord und Geiselnahme in Art. 65 BV als nichtpolitische Vergehen erklärt würden [32]. Meinungsumfragen über das höchste Strafmass zeitigten widersprüchliche Ergebnisse. Bundespräsident Furgler sprach sich wiederholt gegen die Todesstrafe aus [33]. Von verschiedener Seite drängte man aber auf eine Verschärfung der Strafen für Erpressung und Freiheitsberaubung [34]. Der Bundesrat stellte hierauf eine entsprechende Vorlage für Ende 1979 in Aussicht [35]. Polizeikreise aus Biel nahmen Anstoss an relativ milden Gerichtsurteilen über Gewaltverbrechen und organisierten eine Massenpetition an das EJPD [36].
Trotzdem wurde die Humanisierung des Strafvollzugs weiterverfolgt [37]. Bundespräsident Furgler nahm ein Postulat für eine Vereinheitlichung des Mindestlohns der Strafge fangenen positiv auf und beantwortete Petitionen von Anstaltsinsassen [38]. Die Eröffnung eines schweizerischen Ausbildungszentrums für Strafvollzugspersonal verzögerte sich jedoch, da bis zum Jahresende kein geeigneter Leiter gefunden wurde [39].
Nachdem der Bundesrat 1976 den ehemaligen SS-Angehörigen Menten an seinen Heimatstaat Holland ausgeliefert hatte, obwohl die ihm zur Last gelegten Verbrechen nach schweizerischem Recht verjährt waren, fügte er seinem Antrag zu einem allgemeinen Rechtshilfegesetz eine Ergänzung bei, die aus dem Fall die Konsequenzen zog. Da es sich gezeigt habe, «dass die politischen Realitäten gelegentlich stärker sind als das positive Recht, das diesen nicht Rechnung trägt», wünschte er die Aufhebung der Verjährung für Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und mit diesen vergleichbare Terrorakte. Der Ständerat hiess diese Ergänzung ohne Gegenstimmen gut, fasste aber in anderen Bereichen die Bedingungen für die Rechtshilfe enger; Steuerhinterziehung und Verletzung wirtschaftspolitischer Massnahmen schloss er ohne Einschränkung aus [40]. Dass konkurrierende einzelstaatliche Ansprüche auf Verfolgung von Akteuren des internationalen Untergrunds zu grotesken Situationen führen können, zeigte der Fall der Deutsch-Italienerin Petra Krause. Diese wurde nach mehr als zwei Jahren Untersuchungshaft von den zürcherischeri Behörden aus gesundheitlichen Gründen entlassen, aufgrund eines hängigen italienischen Gesuches aber sogleich wieder festgenommen und nach Italien überstellt, wo man sie nach kurzer Zeit wegen ihres angegriffenen Zustandes erneut in Freiheit setzte [41].
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P.G.
 
[32] Verhandl. B.Vers., 1977, V, S. 12. Art. 65 BV schliesst politische Vergehen von der Todesstrafe aus.
[33] Meinungsumfragen: NZZ (sda), 239. 12.10.77; TA (ddp). 281. 1.12.77. BR Furgler: LNN, 213, 13.9.77; NZZ (sda), 238, 11.10.77. Auch führende Exponenten aller Regierungsparteien lehnten die Todesstrafe ab (NZZ, sda. 18, 22.1.77). Vgl. ferner NZZ (sda). 211, 9.9.77.
[34] Motion der NR-Kommission für die Behandlung des Übereinkommens über die Sicherheit der Zivilluftfahrt: Amtl. Bull. NR, 1977, S. 541 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1977. S. 318 f.; vgl. unten, Teil I, 6b, Anm. 53. Initiative G. Girard-Montet (fdp. VD) für Zuchthausandrohung bei indirekter Druckausübung auf Behörden: Verhandl. B.Vers., 1977. V, S. 12; vgl. TLM, 365, 31.12.77.
[35] Amtl. Bull. NR, 1977. S. 943 f. (Einfache Anfrage Barchi, fdp, TI).
[36] LNN, 124. 31.5.77; NZZ (sda), 293. 14.12.77; TLM (ats), 348, 14.12.77. Die Petition erhielt gegen 106 000 Unterschriften.
[37] Vgl. Ww, 8, 23.2.77; NZZ, 78. 2.4.77; 200, 27.8.77; Tw, 168, 21.7.77; CdT, 171, 174. 176, 179, 182, 185, 187, 190, 192, 28.7.-24.8.77; JdG, 180. 181. 183. 185. 5:11.8.77.
[38] Mindestlohn: Amtl. Bull NR, 1977, S. 395; Amt. Bull StR, 1977, S. 147 f.; vgl. SPJ, 1976, S. 18 f., Anm. 32. Antworten: NZZ (sda), 171, 23.7.77; (sda), 271, 18.11.77. Vgl. auch BaZ, 171, 25.7.77; Zeitdienst, 30, 29.7.77.
[39] TA, 35, 10.2.77; 2, 4.1.78; NZZ, 103, 4.5.77. Vgl. SPJ, 1976, S. 18 f.
[40] BBI, 1977, 11, S. 12478. (Zitat: S. 1259); Amtl. Bull. StR, 1977, S. 612 ff. Vgl. TA, 83, 9.4.77; 280, 30.11.77; 24 Heures, 156, 7.7.77; ferner SPJ, 1976, S. 19 u. 45.
[41] Presse vom 4.-6., 13. u. 16.8.77; Ww, 32, 10.8.77; TA, 197, 25.8.77. Die Auslieferung erfolgte gegen die Zusage, dass die Angeklagte für einen Prozess in Winterthur wieder zurückgeschafft werde. Vgl. SPJ, 1975, S. 15; 1976, S. 18.