Année politique Suisse 1977 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Parlament
Das eidgenössische Parlament geriet erneut in Zeitnot. Wie 1975 sah es sich veranlasst, neben den üblichen vier Sessionen eine Extratagung abzuhalten, und wiederum war es die defizitäre Finanzlage, die solche zusätzlichen Beratungen erforderte. Aber schon für 1978 drängten sich neue Sondersitzungen auf, da man mit dringenden Geschäften in Rückstand geraten war [21]. Das Milizparlament scheint hoffnungslos überlastet zu sein. Kritische Stimmen meinen freilich, die Ursache des Übels liege in der mangelnden Selbstdisziplin der Volkskammer [22]. Dass anderseits die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung weiterhin zu kurz kommt, schreibt man in Kreisen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vor allem der ungenügenden Information durch die Exekutive zu [23].
Verschiedene Vorstösse richteten sich gegen eine zu enge Verknüpfung von politischem Amt und wirtschaftlichem Einfluss. Eine Initiative Ziegler (sp, GE) verlangte, dass Nationalräten die Einsitznahme in Verwaltungsräten grösserer Firmen verboten werde. Eine Motion Jaeger (ldu, SG) strebte namentlich die Bekanntgabe aller wirtschaftlichen Bindungen durch Ratsmitglieder und Wahlkandidaten an [24]. Empfindlich wirkte sich eine kantonale Unvereinbarkeitsvorschrift aus. Nationalratspräsident H. Wyer (cvp, VS) musste im Frühjahr sein Bundesmandat aufgeben, als er sich in den Walliser Staatsrat wählen liess, da die Verfassung seines Kantons nur einem der fünf Regierungsmitglieder eine Parlamentstätigkeit in Bern gestattet. Für die übrige Zeit des Jahres wurde darauf seine Parteikollegin Elisabeth Blunschy (SZ) als erste Frau mit dem Vorsitz der Grossen Kammer betraut [25]. Der Kanton Bern tat mit der Einführung der Volkswahl der Ständeräte den erwarteten Schritt, der das Wahlrecht für die Kleine Kammer vereinheitlicht [26].
 
[21] Vgl NZZ, 96, 26.4.77 (zur Maisession 1977) und 271, 18.11.77 (zur Januarsession 1978), ferner SPJ, 1975, S. 87 sowie unten, Teil I, 5 (Finanzplanung).
[22] LNN, 230, 3.10.77; 295, 17.12.77; BaZ, 315, 17.12.77. Vgl. Badener Tagblatt, 286, 7.12.77.
[23] NZZ, 126, 1.6.77. Vgl. dazu SPJ, 1975, S. 20, ferner K. Stengel, Die Parlamentsdienste im Bund. Entstehung, Arbeitsweise und verfassungsrechtliche Grundlage, Bern 1977, und das der Schweiz gewidmete Heft 3 der Zeitschrift für Parlamentsfragen, 8/1977. Über laufende Parlamentsreformen in den Kantonen orientiert R. Blum in Ldb, 148-150, 29.6.-1.7.77; vgl. auch unten, Teil II, 1d.
[24] Initiative Ziegler: Verhandl. B.vers., 1977, III, S. 10. Motion Jaeger: Verhandl. B.vers., 1977, V, S. 34. Vgl. Zusammenstellung der Verwaltungsratssitze der Bundesparlamentarier in TG, 222, 224, 226, 228, 230, 232, 234, 236, 238, 240, 243, 246, 248, 252, 27.9.-1.11.77; ferner M. Schuppisser, Wirtschaftliche Interessenvertretung im Parlament? Das Rechtsinstitut der wirtschaftlichen Inkompatibilitäten, Zürich 1977.
[25] Amtl. Bull. NR, 1977, S. 463 ff. Vgl. NZZ (sda), 83, 9.4.77; TA, 94, 23.4.77; Ww, 17, 27.4.77; NZZ, 101, 2.5.77; Presse vom 3.5.77. Vgl. unten, Teil I, 1e (Elections des autorités cantonales, Valais).
[26] Vgl. unten, Teil Il, 1 f sowie SPJ, 1976, S. 21 f. Mit Rücksicht auf eine gelegentliche Vertretung des Südjuras wurde die Amtszeit auf 12 Jahre beschränkt (BN, 203, 31.8.77; vgl. unten, Teil II, 1e).