Année politique Suisse 1977 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
Zivildienst
Die Bestrebungen zur Einführung eines Zivildienstes für Dienstverweigerer erlitten eine empfindliche Niederlage. Obwohl die vorberatende Kommission des Nationalrates beantragte, für die Zulassung zum Ersatzdienst am weiter gefassten Kriterium der Gewaltlosigkeit festzuhalten, kehrte sich das Mehrheitsverhältnis in der Volkskammer um. Mit 89 zu 79 Stimmen schloss sich diese der Ständevertretung an, die mit dem Bundesrat nur religiöse und ethische Gewissensgründe anerkennen wollte. Dazu trug die Sorge bei, die Kleine Kammer könnte auf ihrem Entscheid beharren; dies hätte nach Geschäftsverkehrsgesetz dazu geführt, dass die Initiative, der 1973 beide Räte zugestimmt hatten, dem Volk überhaupt nicht unterbreitet worden wäre
[37].
Im
Abstimmungskampf wurde die Vorlage nun aber von zwei Seiten unter Beschuss genommen. Von rechts opponierten nicht nur Kreise, die grundsätzlich jeden Zivildienst ablehnen
[38], sondern auch solche, denen der Verfassungstext trotz seiner einschränkenden Formulierung zuwenig Sicherheit gegen eine Gefährdung der allgemeinen Wehrpflicht bot; zudem wurde beanstandet, dass der Ersatzdienst nicht ausdrücklich auf die Durchführung verfassungsmässiger Bundesaufgaben ausgerichtet werden sollte
[39]. Von links her wies man dagegen eine Regelung zurück, die politische Verweigerungsgründe ausschloss, da sie damit das Gewissen aufspalte
[40]. Die Befürworter machten geltend, dass die Vorlage immerhin einem Teil der Dienstverweigerer die Verurteilung erspare, während nach einer Verwerfung kaum mit einer grosszügigeren Lösung zu rechnen sei; gegenüber der Kritik von links wurde auf die Möglichkeit verwiesen, dass Gesetzgebung und Praxis das Kriterium der ethischen Begründung weiter fassen würden, als man jetzt annehme. Die Initianten aus Münchenstein zeigten sich enttäuscht und in der Stellungnahme zum Ergebnis ihres Vorstosses gespalten
[41].
Von den im Parlament repräsentierten Parteien traten nur CVP, Landesring und Evangelische Volkspartei für die Vorlage ein, die übrigen bürgerlichen Formationen plädierten für Verwerfung, SP und PdA gaben die Stimme frei. Positiv äusserten sich kirchliche und gewerkschaftliche Organisationen, negativ die Offiziers- und Unteroffiziersverbände
[42]. Wenige Wochen vor der Abstimmung lancierte eine Gruppe von Zivildienstfreunden bereits eine neue Initiative, die vom sog. Tatbeweis (freie Wahl zwischen Militär- oder länger dauerndem Zivildienst) ausgeht, bestimmte friedensfördernde Aufgaben nennt und für den Vollzug auch private Institutionen vorsieht
[43].
Am 4. Dezember
verwarfen die Stimmbürger die Einführung eines Ersatzdienstes in allen Kantonen; im Tessin, in Neuenburg und in Baselstadt allerdings knapp. Der Anteil der Befürworter betrug bloss 37,6%. Wie eine Umfrage ergab, war die Rentnergeneration der Vorlage weit ungünstiger gesinnt als die 20-40jährigen. Dementsprechend dominierten unter den Motiven der Ablehnenden ein Widerwille gegen die Sonderbehandlung einer Minderheit und die Sorge um eine starke Armee. Das Verdikt wurde in der Presse überwiegend als ein Zeichen dafür gewertet, dass die Zivildienstfrage in der Schweiz noch nicht reif sei
[44]. Parlamentarische Vorstösse regten immerhin an, das Problem durch eine grosszügigere Zuteilung zu waffenlosen Truppengattungen zu entschärfen
[45].
[37] Amtl. Bull. NR, 1977, S. 513 ff. Vgl. SPJ, 1976, S. 52.
[38] So das Komitee gegen die Einführung eines zivilen Ersatzdienstes: NZZ (sda), 239, 12.10.77; NZZ, 276, 24.11.77. Vgl. auch Ph. Gardaz, Le service civil, mythe dangereux, Lausanne 1977.
[39] NZZ. 278, 26.11.77; 279, 28.11.77; TA, 277, 26.1 1.77.
[40] So das Komitee für einen wirklichen Zivildienst: Vorwärts. 41, 13.10.77; TW. 263, 9.1 1.77. Vgl. auch NZZ (sda), 208, 6.9.77.
[41] NZZ, 259, 4.11.77; Bund, 278, 26.11.77; TA, 277, 26.11.77; BaZ, 297, 29.11.77. Ethische Begründung: LNN, 262, 9.11.77. Initianten: NZZ, 265, 11.11.77. Im Sommer warb die Schweiz. Dienstverweigererkoordination mit einer «Tour de Suisse» für die Zivildienstidee (24 Heures, 155, 6.7.77; 178, 3.8.77; Bund, 183, 8.8.77; TG, 186, 15.8.77).
[42] Vgl NZZ (sda), 282, 1.12.77; Val., 281, 1.12.77; 24 Heures, 280, 1.12.77 sowie Mitteilung des CVP-Generalsekretariats. Abweichende Kantonalparolen: FDP von AG, GE, SO und TI sowie SP von AG, FR, NE, SO, VD und VS für ein Ja; CVP von FR, GL, GR, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SZ, TG, UR und ZG sowie SP von BL, BS und GE für ein Nein. Junge CVP, Jungliberale und Junge SVP unterstützten die Vorlage.
[43] Komitee für einen echten Zivildienst (Presse vom 29.10.77).
[44] Ergebnis: BBl, 1978, I, S. 323. Umfrage: Vox, Analysen eidgenössischer Abstimmungen, 4.12.77. Deutung: Presse vom 5.12.77.
[45] Motionen der SP-Fraktion des NR und des NR Sigrist (fdp, ZH) (Verhandl.B.vers., 1977, V, S. 23 u. 43).
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