Année politique Suisse 1977 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit
 
Banken
Trotzdem gelang es den Banken, insbesondere den grössten unter ihnen, sich ein fettes Zinspölsterchen zuzulegen ; jedenfalls stieg der ausgewiesene Reingewinn oft wesentlich stärker an als die Bilanzen, deren Wachstum sich gegenüber dem Vorjahr leicht zurückbildete. Dass Bankbilanzen allerdings weitgehend manipulierbar sind, zeigte exemplarisch der Jahresabschluss der Schweizerischen Kreditanstalt, deren Reingewinn — dank Auflösung stiller Reserven — um 17% anstieg, obwohl dieses Institut einen Milliardenverlust zu verkraften hatte [20].
Der gute Ruf, den die Schweizer Banken normalerweise im In- und Ausland geniessen, wurde durch mehrere Bankskandale in Mitleidenschaft gezogen, deren bedeutendster und verlustreichster die «Affäre Chiasso» war. Drei Direktoren einer Tessiner Filiale der Schweizerischen Kreditanstalt hatten seit längerer Zeit und mit aggressiven Methoden italienische Fluchtgelder angeworben und in eine zweifelhafte Finanzgesellschaft mit Sitz in Liechtenstein investiert, statt sie, wie vereinbart, erstklassigen Adressen des Euromarktes zuzuleiten. Nachdem diese illegalen Transaktionen anlässlich bedeutender Liquiditätsschwierigkeiten der erwähnten Liechtensteiner Finanzgesellschaft ruchbar geworden waren, wurden die Filialdirektoren erst in ihrem Amte sistiert und bald darauf dem Untersuchungsrichter übergeben. Die Generaldirektion in Zürich bestritt zunächst, von den Geschäften der Filiale Chiasso gewusst zu haben, doch da sich dieses Dementi als falsch erwies, sah sich auch der Präsident der Generaldirektion, H. Wuffli, zum Rücktritt gezwungen [21].
Das Ausmass der Verluste wurde zuerst vorsichtig mit 250 Mio Fr. beziffert, später aber auf etwa 2 Mia Fr. geschätzt. Die Nationalbank erteilte zusammen mit zwei Grossbanken dem geschädigten Institut eine Kreditzusage in der Höhe von insgesamt 3 Mia Fr., die jedoch nicht beansprucht wurde. Da die Bekanntgabe der Verluste das Bedürfnis der Banken an flüssigen Mitteln erhöhte und zu einer Anspannung auf dem Geldmarkt führte, musste die Nationalbank dem Bankensystem kurzfristige Swapfazilitäten offerieren [22].
Schwieriger als die materiellen Einbussen sind jedoch die psychologischen und politischen Auswirkungen der «Affäre Chiasso» einzuschätzen. Auf die öffentliche und auf die veröffentliche Meinung wirkte der Skandal zunächst jedenfalls wie ein Schock, und selbst der Bundesrat sah sich veranlasst, eine Erklärung abzugeben, während im Parlament zahlreiche Vorstösse lebhafte Debatten auslösten [23]. Bald kristallisierten sich in der Diskussion zwei antagonistische Gruppen heraus, die anhand einer unterschiedlichen Interpretation des Bankskandals auch ihre gegensätzlichen politischen Motivationen zu erkennen gaben. Bank- und Wirtschaftskreise, denen sich auch die bürgerlichen Parteien und die Behörden mehrheitlich zugesellten, bezeichneten als Ursache der «Affäre Chiasso» persönliches Versagen, vor dem man sich in Zukunft mittels eines Ausbaus der internen und externen Bankkontrolle leidlich schützen könne [24]. Die in der Schweiz domizilierten Banken und die Schweizerische Bankiervereinigung einerseits sowie die Nationalbank andererseits schlossen denn auch eine Vereinbarung über die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern und über die Handhabung des Bankgeheimnisses ab, die es den Banken bei Strafe untersagt, bei illegalen Kapitaltransfers ihre Hilfe anzubieten oder Täuschungsmanövern ihrer Kunden gegenüber Behörden des In- und Auslandes aktiv Vorschub zu leisten [25]. Von eher linksstehenden Kreisen wurde jedoch dieses Gentlemen's Agreement als reine Alibiübung bezeichnet, die am Kern der Sache vorbeiziele, denn der Bankskandal könne nicht allein auf persönliches und organisatorisches Versagen zurückgeführt werden, sondern sei Ausdruck strukturell bedingter Anfälligkeiten des expandierenden Bankensystems und der profitorientierten Wirtschaft, denen letztlich nur mit einem Systemwandel beizukommen sei [26]. Die Sozialdemokraten bereiteten zu dem Zweck eine Volksinitiative vor, die den Missbrauch des Bankgeheimnisses zu stoppen, die Bankgeschäfte durchsichtiger zu machen und die Einlagen der Sparer vor Bankzusammenbrüchen besser zu sichern verlangt [27].
So mündete denn die Auseinandersetzung um die «Affäre Chiasso» in eine Grundsatzdiskussion über den Finanzplatz Schweiz, dessen Dimension und dessen Wachstum in ein immer prekäreres Verhältnis zu den Bedingungen und Möglichkeiten eines Kleinstaates zu geraten scheinen. Während kritische Stimmen den tendenziellen Widerspruch zwischen Werkplatz Schweiz und Finanzplatz Schweiz betonten und vor Risiken warnten, die auch angesichts der gravierenden Schwierigkeiten im internationalen Zahlungsverkehr mit einer wachsenden Finanzverflechtung verbunden sind [28], bekannten sich Bank- und Wirtschaftskreise sowie die bürgerlichen Parteien und der Bundesrat zum kräftig expandierenden Bankensystem als einer tragenden Säule unserer Volkswirtschaft, dessen Bedeutung als Arbeitgeber, Steuerzahler und Financier auf keinen Fall unterschätzt werden dürfe [29]. Auch der Direktionspräsident der Notenbank, F. Leutwiler, bescheinigte dem Finanzplatz eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle und nützliche Funktion, gab indes zu bedenken, dass ein starkes Auseinanderklaffen der Wachstumsraten verschiedener Wirtschaftssektoren einer harmonischen Entwicklung nicht unbedingt zuträglich sei; Abkehr vom überbetonten Wachstumsdenken und vermehrte Berücksichtigung qualitativer Aspekte seien deshalb nicht zuletzt auch für die Schweizer Banken bedenkenswerte Ziele [30].
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P.H.
 
[20] Vgl. Bund, 52, 3.3.78 ; wf, Dok., 9, 27.2.78 ; 10, 6.3.78 ; gk, 11, 9.3.78. Vgl. auch SNB, Geschäftsbericht, 70/ 1977, S. 37 ff.; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 12, S. 33 f.; SBG, Wirtschafts-Notizen, April 1978, S. 10 f.
[21] Vgl, die Presse ab Mitte April 1977, Vgl, auch M. Mabillard / R. de Weck, Scandale au Crédit Suisse, Genève 1977.
[22] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 35; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 7, S. 13 ff.; 84/1978, Nr. 1/2, S. 8 ff.; Nr. 3, S. 17 ff.; Nr.4, S. 11 ff. Vgl auch Bund, 106, 7.5.77; 154, 5.7.77; TA, 259, 5.11.77; Presse vom 11.11.77; Focus, 91, Dezember 1977, S. 18 ff.; 92, Januar 1978, S. 8 f.
[23] Vgl. Amtl. Bull. NR,1977, S. 504 (Erklärung BR und Diskussion), S. 790 ff. und 835 f. (Interpellation Auer, fdp, BL; Motion und Interpellation Carobbio, psa, TI; Interpellation SP-Fraktion; Interpellation FDP-Fraktion; Interpellation SVP-Fraktion; Interpellation CVP-Fraktion; Interpellation LdU-Fraktion; Motion SP-Fraktion; Motion Ziegler, sp, GE; Postulat König, Idu, ZH; Postulat Müller, na, ZH); Amtl. Bull. StR, 1977, S. 201 f. (Erklärung BR), S. 440 ff. (Interpellation FDP-Fraktion).
[24] Vgl. Schweiz. Bankiervereinigung, Jahresbericht, 65/1976-77, S. 57 ff.; W. Linder in Schweizer Monatshefte, 57/1977, S. 169 ff.; wf, Dok., 19, 9.5.77 ; 45, 7.11.77 ; Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1977, Nr. 9, S. 8 ff. Presse vom 1.10.77 (Bankiertag). Vgl. auch unten, Teil III b (Bankiervereinigung).
[25] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 59 und Presse vom 3.6.77.
[26] Vgl. gk, 17, 5.5.77 ; 22, 23.6.77 ; 26, 4.8.77 ; VO, 98, 7.5.77 ; SP-Information, 10, 19.5.77 ; 17, 6.10.77 ; 18, 20.10.77 ; Zeitdienst, 18, 6.5.77 ; 20, 20.5.77 ; 46, 18.11.77.
[27] Vgl. SP-Information, 13, 30.6.77; 22, 22.12.77; Vr, 289, 10.12.77. Vgl. auch J. Tanner, «Materialien zur Bankeninitiative», in Infrarot, Nr. 32, Jan./Febr. 1978, S. 4 ff.
[28] Vgl. J.-M. Laya, L’argent secret et les banques suisses, Lausanne 1977 ; Ww, 1,5.1.77 ; TA, 37, 14.2.77 ; 218, 19.9.77; LNN, 71, 25.3.77; SP-Information, 9, 5.5.77; 15, 1.9.77; gk, 19, 26.5.77; 44, 15.12.77; BaZ, 190, 13.8.77; 296, 28.11.77; TW, 192, 18.8.77; 296, 17.12.77; TAM, 49, 10.12.77.
[29] Vgl. Gesch.ber., 1977, S. 174; H. J. Mast, Das schweizerische Bankwesen, Zürich 1977; ders., »Redimensionierung des Finanzplatzes Schweiz?», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 113/ 1977, S. 115 f ; C. Lutz in Schweizer Monatshefte, 57/1977, S. 686; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 4, S. 8 ff. ; SBG, Wirtschafts-Notizen, August/September 1977, S. 3 ff.; Schweiz. Bankverein, Der Monat, Nr. 9, S. 5 ff.
[30] Vgl. F. Leutwiler, Die Schweiz als internationaler Finanzplatz — Wachstum in Grenzen, Zürich 1977 (Schriftenreihe des Vororts, 12).