Année politique Suisse 1978 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Landesring der Unabhängigen
Der Landesring der. Unabhängigen (LdU) betonte weiterhin seine Oppositionshaltung und seine sozial-liberale Mittelstellung. Über die Umsetzung dieser Prinzipien in praktische Politik kam es jedoch zu wachsenden Differenzen in der Partei. Eine nach links neigende, stark der Umwelterhaltung verpflichtete Gruppe um Nationalrat Franz Jaeger, die namentlich in der St. Galler Kantonalsektion verankert war, wandte sich einerseits gegen den konservativeren Flügel und anderseits gegen den schärferen Wind in der Leitung des Migros-Konzerns [34]. Die progressive Tendenz kam in verschiedenen parteioffiziellen Stellungnahmen zum Ausdruck: so in einem Energiekonzept, das die Entwicklung von Alternativenergien, die Erhebung einer Energiesteuer und die unbeschränkte Kausalhaftung der Atomkraftwerke forderte [35], oder in Abstimmungsparolen für umweltfreundliche Initiativen (Demokratie im Nationalstrassenbau; autofreie Sonntage) und gegen die Bundessicherheitspolizei. Demgegenüber verfolgte die Nationalratsfraktion einen konformistischeren Kurs; ihre Opposition richtete sich hauptsächlich gegen eine zuwenig grundsätzliche Neuordnung der Bundesfinanzen [36].
Im April übernahm mit Nationalrat Biel (ZH) wieder ein Mann der Migros das Parteipräsidium, nachdem dieses fünf Jahre lang vom Baselbieter Anwalt Alder versehen worden war. Der neue Präsident zeigte sich gegenüber den progressiven Kräften verständnisvoll, anerkannte die Unabhängigkeit des Landesrings von dem ihn finanziell unterstützenden Unternehmen und kündigte eine Aktivierung der Gemeindepolitik an, deren Vernachlässigung kurz zuvor vom Berner Politologen E. Gruner als ein Handicap für die Partei bezeichnet worden war [37]. Als sich jedoch die Migros im August anschickten, ihr engagiertes Boulevardblatt «Tat» zu disziplinieren, protestierte die St. Galler Sektion energisch und warf dem neuen Management des Konzerns Preisgabe des ideellen Erbes von Gottlieb Duttweiler vor. Die Vereinbarung einer Charta, welche die «wilde Ehe» zwischen Unternehmen und Partei legalisieren soll, liess weiter auf sich warten; eine Umfrage ergab, dass unter den Kadern der Migros das Interesse am Landesring beschränkt ist [38].
 
[34] Prinzipien: BaZ, 115, 28.4.78; Ring, 5, 15.6.78. Spannungen: TA, 188, 16.8.78; BaZ, 325, 23.12.78.
[35] Presse vom 20.3.78. Im Kanton ZH führte der LdU im Herbst eine Energiesparkampagne durch (TA, 206, 6.9.78; Ring, 10, 14.12.78).
[36] Abstimmungsparolen: Ring, 1, 15.2.78; 4, 15.5.78; NZZ (sda), 262, 10.11.78. Bundesfinanzen: Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1100 f., 1924.
[37] Vgl. BaZ, 115, 28.4.78; 205, 5.8.78; Ldb, 99, 2.5.78; Tat, 110, 16.5.78. Prof. E. Gruner betonte den Belohnungseffekt, den die Kommunal- und Kantonalpolitik den historischen Parteien mit der Besetzung von Amtern biete (NZZ, 76, 3.4.78).
[38] BaZ, 208, 9.8.78. Zur « Tat» vgl. oben, Teil I, 8b (Presse); zur Charta TA, 188, 16.8.78 sowie SPJ, 1976, S. 177; zur Umfrage NZZ, 76, 3.4.78.