Année politique Suisse 1978 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Arbeitnehmer
Auf seiten der Arbeitnehmer wurde der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) gleich zu Anfang des Jahres durch den frühen Tod seines Präsidenten Ezio Canonica betroffen. Das Ausscheiden des trotz seiner Zielstrebigkeit vor allem vermittelnd wirkenden Politikers wurde allgemein bedauert [21]. Seine Nachfolge stellte den SGB vor organisatorische, personelle und politische Probleme. Erst im Sommer beschloss das Bundeskornitee, aus finanziellen Gründen von einem Übergang zum vollamtlichen Präsidium abzusehen, und es schlug dem im Oktober tagenden Kongress den eben als Generalsekretär der PTT-Union zurückgetretenen Richard Müller, Fraktionschefder SP im Nationalrat, vor. Der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verband (SMUV) portierte dagegen seinen Vizepräsidenten A. Ghelfi [22]. Die Wahl fiel nicht auf den gemässigten SMUV-Funktionär, sondern auf den Parlamentarier, der sich als Linker profilierte und zudem als «Pensionierter» weniger beansprucht war und zugleich als «Übergangslösung» nichts präjudizierte [23]. Der neue SGB-Präsident schlug recht scharfe Töne an und stellte eine kämpferischere Politik in Aussicht. Er betonte auch die Offenheit seiner Organisation für Angehörige anderer, insbesondere linker Parteien und befürwortete die Entwicklung zur alle Richtungen verbindenden Einheitsgewerkschaft wie zur Bildung umfassender Industriegewerkschaften. Da er sich aber gleichzeitig zur Sozialpartnerschaft bekannte, war man weder in Arbeitgeberkreisen noch auf der äussersten Linken geneigt, die Wahl als Kurswechsel zu werten [24].
Eine gewisse Radikalisierung brachte der Kongress immerhin dadurch zum Ausdruck, dass er das zurückhaltende Energiekonzept des Bundeskomitees im Sinne der Atomschutzinitiative verschärfte und diese — freilich ohne das zur Parolenausgabe erforderliche Zweidrittelmehr— unterstützte. Dagegen sanktionierte er die bescheidenen Ergebnisse der Strukturreform, die infolge des Widerstandes der Branchenverbände weder horizontale Zusammenschlüsse noch eine SGB-Zeitung brachte, sondern im wesentlichen bloss eine Verstärkung des Bundessekretariats, eine wöchentliche Beilageseite zu den Verbandsblättern und eine Beschränkung des Anteils der Funktionäre an den Kongressmandaten. Erstmals wurde eine Frau in den Kreis der Vizepräsidenten gewählt [25]. Die Gewerkschaft Bau und Holz, die ihrerseits von Canonica geleitet worden war, hatte sich schon im Frühjahr einen wieder ausschliesslich der Verbandspolitik zugewandten Präsidenten gegeben [26].
Im SMUV schwelte der Konflikt zwischen der Leitung und den Kreisen um das Manifest 77 weiter. Die Funken stoben, als die Sektion Monthey (VS) im Januar ihre Beiträge an die Zentrale zurückbehielt, um die Aufhebung der im Vorjahr verhängten Sanktionen gegen oppositionelle Funktionäre zu erzwingen. Die Verbandsleitung blieb jedoch hart, und der Versuch der Rebellen, eine dissidente Organisation zu bilden, scheiterte, weil die Mitglieder die Sozialleistungen des Verbandes nicht aufs Spiel setzen wollten. Auch im Bereich des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) kam es zu Spannungen mit radikalisierten Kreisen der Westschweiz. Der Sekretär der Genfer Kantonalvereinigung liess sich in die regionale Parteileitung der PdA wählen, was mit einer Funktion in der christlichen Gewerkschaftsbewegung unvereinbar schien. Die Genfer Vereinigung wollte sich mit der Demission ihres Sekretärs aus dem Parteiamt zufrieden geben, doch die Zentrale des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbandes, welche das Sekretariat mitfinanziert, duldete kein PdA-Mitglied im Verbandsapparat, so dass es zur Spaltung der kantonalen Gewerkschaftsorganisation kam [27].
Zum Schluss sei noch die Bildung zweier neuer Formationen erwähnt, die nicht zuletzt als Ausdruck einer Intensivierung des sozialen Bewusstseins der Frauen erscheint. Die drei führenden Verbände der Krankenpflege vereinigten sich zum Schweizerischen Berufsverband der Krankenschwestern und Krankenpfleger; dieser wendet sich dagegen, dass die Sparmassnahmen im Gesundheitswesen auf Kosten des Pflegepersonals durchgeführt werden, und beansprucht auch mehr Mitbestimmung in der Berufsbildung [28]. Anderseits wurde in Zürich ein Verband Hausarbeit und Erziehung gegründet, der die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage der Hausfrau verbessern will [29].
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P.G.
 
[21] Presse vom 6. u. 7.1.78 ; Ww, 2, 11.1.78. Vgl. K. Aeschbach / D. Robbiani, Ezio Canonica, der Mensch und Gewerkschafter, (Bern) 1979.
[22] Kein Vollamt: NZZ (sda), .148, 29.6.78; BaZ, 175, 1.7.78. Vorschlag des Bundeskomitees: Presse vom 31.8.78; vgl. dazu SPJ, 1977, S. 181. SMUV: TA, 239, 14.10.78.
[23] Müller erhielt 149, Ghelfi 71 Stimmen (Presse vom 30.10.78).
[24] Vgl. Interviews in BaZ, 278, 30.10.78; LNN, 252, 30.10.78 ; TA, 252, 30.10.78; 24 Heures, 255, 2.11.78 und Focus, Nr. 102, Nov. 1978, S. 12 f. Von den Kommentaren vgl. SAZ, 73/1978, S. 775 ; VO, 247, 4.11.78 (« Un virage, plus qu'un tournant »).
[25] Energiekonzept: NZZ, 251, 28.10.78; TA, 251, 28.10.78; gk 37, 30.10.78; vgl. oben, Teil I, 6a (Conception globale de l'énergie). Strukturreform: BaZ, 277, 28.10.78; NZZ, 251, 28.10.78; vgl. dazu Gewerkschaftliche Rundschau 70/1978, S. 129 ff.; gk, 18, 11.5.78 ; Bund, 114, 19.5.78 ; TA, 133, 12.6.78 ; 156, 8.7.78; TW, 162, 14.7.78; NZZ, 242, 18.10.78; ferner SPJ, 1975, S. 182. Zum Zeitungsprojekt vgl. Gewerkschaftliche Rundschau, 70/1978, S. 194ff.; TA, 178, 4.8.78; TW, 181, 5.8.78. Neue Vizepräsidentin wurde Helga Kohler (TW, 254, 30.10.78).
[26] Max Zuberbühler; vgl. Presse vom 29.5.78.
[27] SMUV : TLM, 39, 8.2.78 ; 73,14.3.78 ; 94, 4.4.78 ; SMUV-Zeitung, l0, 8.3.78 ; Bund 57, 9.3.78 ; NZZ, 59, 11.3.78 ; BaZ, 75,17.3.78 ; vgl. auch oben, Teil IIIa (Sozialdemokratische Partei) sowie SPJ, 1977, S. 180 f. CNG : 24 Heures, 84,12.4.78 ; 89, 18.4.78 ; 137, 15.6.78 ; NZZ, 86, 14.4.78 ; 296, 20.12.78 ; Aktiv, 14,11.7.78 ; JdG, 294, 16.12.78. Vgl. ferner TG, 63, 64, 69, 73, 16.-30.3.78.
[28] NZZ, 100, 2.5.78 ; BaZ, 159, 15.6.78.
[29] TA, 131, 9.6.78; 132, 10.6.78.