Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
 
Prinzipien der Aussenpolitik
1978 war die schweizerische Aussenpolitik durch einen Stilwechsel in Richtung einer Aktivierung der Aussenpolitik gekennzeichnet. Anfang Februar übernahm Pierre Aubert das Politische Departement. Unter ihm vollzog sich in einem für schweizerische Verhältnisse raschen Tempo eine Beschleunigung der aussenpolitischen Öffnung. Wie in verschiedenen Interviews, die Aubert freigebig gewährte, zum Ausdruck kam, war er davon überzeugt, dass die Schweiz von den Entwicklungen überrollt werde, wenn sie nicht eine aktivere Aussenpolitik führe [1]. Als seine wichtigsten politischen Ziele nannte er den UNO-Beitritt, Aktivität in den Bereichen Abrüstung und Menschenrechte sowie im Nord-Süd-Dialog. Wichtig erschien Aubert auch die Intensivierung der Kontakte mit den Vertretern anderer Staaten. So beschränkte er sich auch nicht auf die beinahe traditionellen Reisen ins benachbarte Ausland, sondern besuchte als erster schweizerischer Aussenminister mit Ungarn einen Oststaat und kündigte gleichzeitig Reisen nach Afrika, Asien und Nordamerika an [2].
Das alte Dilemma der schweizerischen Aussenpolitik, im Ausland glaubwürdig zu bleiben und gleichzeitig im Innern die Legitimation nicht zu verlieren, zeigte sich schon bald mit grosser Deutlichkeit. Nicht nur in den traditionell isolationistischen Kreisen, bei denen diese Ziele zum vornherein auf Ablehnung stiessen, rief Auberts Stil Kritik hervor. Das Unbehagen, das die «Dynamisierung» in weiten Bevölkerungskreisen auslöste, führte in der zur Aussenpolitik im allgemeinen positiv eingestellten Presse zu warnenden Kommentaren. Auberts Idealismus wirke zwar sympathisch, doch sei es wichtig, dass er auch innenpolitisch ein Echo finde, da die Wirkung sonst kontraproduktiv sein könnte [3].
Es waren insbesondere Auberts oft offenherzige Interviews und seine privaten Erklärungen, die auf Kritik stiessen. Ihren Ausdruck fand solche Kritik in einer Einfachen Anfrage Allgöwer (ldu, BS), in der der Bundesrat gefragt wurde, ob er nicht auch die Meinung vertrete, es wäre empfehlenswert, den schlichten schweizerischen Stil beizubehalten, damit die Neutralität nicht leide [4].
Nicht nur die Interviews und Erklärungen unseres Aussenministers, sondern auch ein Privatbesuch Bundesrat Furglers in den USA löste Kontroversen aus [5]. Furgler, der einerseits Vizepräsident Mondale, Justizminister Bell und UNO-Generalsekretär Waldheim Höflichkeitsbesuche abstattete und andererseits an der Bilderberg-Konferenz in Princeton (New Jersey, USA), an der sich Spitzenvertreter der NATO-Staaten treffen, teilnahm, geriet in zweierlei Hinsicht unter Beschuss. In der Presse, aber auch im Parlament, wo die SP bei der Behandlung des Geschäftsberichts des Bundesrates diesbezüglich intervenierte, wurden Stimmen laut, Furgler habe sich mit seinen Besuchen Übergriffe in den Kompetenzbereich eines anderen Departementes zuschulden kommen lassen [6]. Kritisiert wurde aber auch seine Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz. In einer Einfachen Anfrage wollte Nationalrat Braunschweig (sp, ZH) wissen, ob die Teilnahme an dieser Konferenz, deren politische Stossrichtung gegen Osteuropa gerichtet sei, nicht im Widerspruch zur schweizerischen Neutralität stehe [7].
In seiner Antwort dementierte der Bundesrat Unstimmigkeiten unter seinen Mitgliedern. Der Bundesrat sei eine Kollegialbehörde, weshalb sich jedes einzelne Mitglied mit der Gesamtpolitik beschäftigen müsse. Die Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz sei Regierungsmitgliedern aus neutralen Ländern möglich, weil keine Beschlüsse gefasst würden. Es hätten deshalb auch schon Vertreter anderer neutraler Staaten daran teilgenommen, so die Schweden Palme, Fälldin und der Osterreicher Androsch [8].
 
[1] Interviews: TA, 123, 23.5.78; Der Spiegel, 26, 26.6.78 ; Ww, 27. 5.7.78. Die Republikaner waren mit dem Spiegel-Interview nicht zufrieden, vgl. dazu JdG, 149, 29.6.78.
[2] TG. 132, 9.6.78.
[3] Bund, 125, 1.6.78; JdG, 130, 7.6.78. Vgl. auch SPJ, 1977, S. 40.
[4] Verband!. B.vers., 1978, III/IV, S. 26.
[5] Einfache Anfrage Braunschweig (sp, ZH) (Amt. Bull. NR, 1978, S. 1481).
[6] Für die SP-Intervention bei der Behandlung des Geschäftsberichts des BR vgl. Amtl. Bull. NR, 1978, S. 663 ; für die Pressekritik vgl. TG, 97, 27.4.78; Lib., 174, 28.4.78 ; für die Stellungnahme von BR Furgler vgl. BZ, 111, 13.5.78.
[7] Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1481.
[8] Amtl.Bull. NR, 1978, S. 663 und 1481. Zu beachten ist, dass 2 der 3 Vertreter neutraler Staaten, auf die der BR sich beruft, Sozialdemokraten sind.