Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
 
UNO
Die Frage eines UNO-Beitritts bildete erneut einen Hauptakzent der weltpolitischen Aktivität der Schweiz. Noch vor Bundesrat Grabers Ausscheiden im Januar setzte sich der Ständerat mit dem UNO-Bericht des Bundesrates auseinander. Mit 20:15 Stimmen nahm er zustimmend Kenntnis von diesem Bericht und beschloss mit dem gleichen Stimmenverhältnis im Sinne des Bundesrates, die Abstimmung über den UNO-Beitritt sei in «nicht allzu ferner Zukunft» vorzunehmen [9]. Der Ständerat zeigte sich damit deutlich skeptischer als der Nationalrat, der die Abstimmung auf «den nächstmöglichen Zeitpunkt» festgelegt haben wollte [10].
Als zentraler Punkt in der Diskussion des UNO-Beitritts erweist sich immer wieder der Neutralitätsbegriff. Neutralität wird, wie sich zeigte, häufig isolationistisch verstanden, als ein Sich-Fernhalten von fremden Händeln [11]. Obwohl dieses Neutralitätsverständnis noch weit verbreitet ist, dringt die Überzeugung, die Schweiz könne wichtige Konflikte wie denjenigen zwischen Nord und Süd nicht einfach unter Berufung auf die Neutralität umgehen, immer weiter vor. Unter dem Eindruck der wachsenden weltweiten Interdependenz ändert sich in der Schweiz langsam die Einstellung der Bürger zum UNO-Beitritt. In einer Umfrage sprachen sich 49% der Befragten dafür und 34% dagegen aus. Es zeigte sich allerdings, dass in der Einschätzung der Dringlichkeit eines Beitritts zwischen der Mehrheit des Volkes einerseits und Regierung und Parlament anderseits die Meinungen noch stark auseinandergehen [12].
Wie schwierig die Stellung der Schweiz, die als einziges Land der UNO freiwillig ferngeblieben ist, bei dieser Organisation mittlerweile geworden ist, zeigt sich nicht nur daran, dass sie mit Gruppen wie der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO) den Beobachter-Status teilt, sondern auch, dass sie in Fragen, an denen sie grosses Interesse hat, nicht selber das Wort ergreifen darf. So konnte die Schweiz in der Abrüstungsdebatte nur auf dem Umweg über befreundete Staaten ihre Stellungnahme der UNO-Vollversammlung bekanntmachen. In dem von Finnland, Jugoslawien, Österreich und Schweden ausgeteilten Dokument legte die schweizerische Regierung Wert auf die Feststellung, es sei nicht an den Kleinstaaten, ihre Defensivkraft zu reduzieren, vielmehr sollten die Supermächte ihre Offensivkraft abbauen. Die Schweiz lege grosses Gewicht auf die regionalen Abrüstungsbemühungen und bedaure die Stagnation der Truppenabbaugespräche in Wien [13].
 
[9] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 19 ff.
[10] Vgl. SPJ, 1977, S. 40. Als Kommentar zur konservativeren Haltung des StR vgl. R. Müller in TW, 18.1.78; anders wertet Ldb, 14, 18.1.78.
[11] Vgl. Interview mit Prof. W. Hofer in LNN, 23, 28.1.78 und Ansprache Prof. Bonjours bei der Preisverleihung der Stiftung Landis und Gyr in LNN, 88, 17.4.78. Für den isolationistischen Standpunkt vgl. NR O. Fischer (fdp, BE) in Volk +Heimat, 13, 14.7.78. Vgl. auch SPJ, 1977, S. 36 f.
[12] Vgl. Umfrage, die vom 19.6. bis zum 3.7. von Isopublic im Auftrag der «Weltwoche» durchgeführt wurde, in Ww, 40, 4.10.78. Nur 27% der Befragten massen dem schweizerischen UNO-Beitritt grosse Dringlichkeit zu, während 68% dieses Problem als wenig oder gar nicht dringend ansahen.
[13] Vgl. Vortrag der Stellvertretenden Chefin der Sektion Vereinte Nationen im EPD in TA, 34, 10.2.78 ; NZZ, 38, 15.2.78. Zur Abrüstungskonferenz vgl. Tagespresse vom 25.5.78.