Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
Europa
Nicht unbestritten ist der Wert solcher internationaler Konferenzen in der Öffentlichkeit, wie sich am Beispiel des Nachfolgetreffens zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), das 1977 in Belgrad begonnen hatte, deutlich zeigte. Während in der Presse die Enttäuschung über den Konferenzverlauf klar zum Ausdruck kam und auch der schweizerische Delegationsleiter das Konferenzergebnis als unbefriedigend bezeichnete, meinte der Bundesrat in Beantwortung einer parlamentarischen Interpellation, eine rein negative Wertung wäre falsch, denn es sei für die Schweiz, die nur wenig Zugang zu internationalen Konferenzen politischen Charakters habe, wichtig, ihre Meinung darlegen zu können. Sie sei deshalb an der Fortführung der KSZE-Nachfolgekonferenzen interessiert
[14]. Auch müsse die gute Zusammenarbeit unter den Neutralen und Blockfreien hervorgehoben werden
[15]. Im Belgrad versuchte die Schweiz eine Stellung zwischen den Blöcken einzunehmen. Überzeugt davon, dass die Spannungen zwischen den Supermächten einen Konsensus nicht mehr ermöglichten, leitete die schweizerische Delegation das Konferenzende ein, indem sie vorschlug, das Treffen mit einem nüchternen Dokument zu beenden
[16]. Auch das KSZE-Expertentreffen über internationale Streitschlichtung, das im November in Montreux eröffnet wurde, endete ohne greifbaren Erfolg
[17].
War es aber bei der KSZE-Konferenz in Belgrad das Konferenzergebnis, das zu Diskussionen führte, so war es bei der Antirassismuskonferenz die schweizerische Teilnahme, insbesondere an der Schlussabstimmung, die in Presse und Parlament auf Kritik stiess. Die Schweiz beteiligte sich an dieser Konferenz, obwohl nicht nur Südafrika, sondern auch Israel und die USA ihr ferngeblieben waren. Auch nahm sie an der Schlussabstimmung teil, obwohl die EG-Staaten, Kanada, Neuseeland und Australien die Konferenz aus Protest gegen die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus schon vor dieser Abstimmung verlassen hatten. In seiner Antwort auf die Einfache Anfrage Duboule (fdp, GE) führte der Bundesrat aus, durch die Teilnahme an solchen Konferenzen sei die Schweiz imstande, ihre Werte zu verteidigen und einen nützlichen Beitrag zur Diskussion zu leisten. Um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, habe sie an der Schlussabstimmung teilgenommen und zusammen mit den übrigen drei neutralen Staaten Europas sich gegen das Dokument ausgesprochen
[18].
In der Presse fand dagegen die schweizerische Stellungnahme zur Mediendeklaration der UNESCO-Generalkonferenz in Paris Lob. Schon vor deren Beginn hatte der Bundesrat in Beantwortung einer Interpellation Hofer (svp, BE) versichert, die Schweiz würde eine allfällige Neuauflage der «totalitären und freiheitsfeindlichen» Grundsatzerklärung, die die schweizerische Auffassung von Informationsfreiheit verletze, nicht unterzeichnen. Davon ausgehend brachte der schweizerische Delegierte gegenüber der Komprornissformel trotz wesentlichen Verbesserungen Vorbehalte an
[19].
Waren es somit vorab bürgerliche Kreise, die der schweizerischen Beteiligung an internationalen Konferenzen mit gewissen Vorbehalten gegenüberstand, so kam die schweizerische Vertretung in der UNO-Kommission, die 1977 mit der Untersuchung der Tätigkeit der multinationalen Gesellschaften in der Dritten Welt betraut werden war, von links her unter Beschuss. Neben alt-Bundesrat Schaffner war Botschafter Jolles Zielscheibe der Vorwürfe, die von einem Versuch der schweizerischen Multis sprachen, die. UNO zu unterwandern, womit diese nicht nur ihren eigenen, sondern auch den Ruf der Schweiz ruinierten
[20].
In seiner Antwort auf zwei diesbezügliche parlamentarische Vorstösse wies der Bundesrat die Anschuldigungen zurück. Schaffner sei nicht offizieller Vertreter der Schweiz gewesen, sondern von UNO-Generalsekretär Waldheim in das Gremium, das sich mit der Tätigkeit der Multis befasst, berufen worden. Da Waldheim Schaffners Status gekannt habe, sei der Vorwurf der Infiltration kategorisch abzulehnen. Der erwähnte Ausschuss habe zur Aufgabe gehabt, sich ein ausgewogenes Urteil über die Rolle und die Auswirkungen der Multis zu bilden, wozu es alle Meinungen brauche. Auch die Vorwürfe gegen Jolles wies der Bundesrat zurück. Die Beamten der Handelsabteilung hätten an den Beratungen der schweizerischen multinationalen Gesellschaften teilgenommen, um die Aktivitäten von internationalen Organisationen wie der OECD zu erläutern
[21].
Nicht bloss auf Weltebene, sondern auch im engeren Bereich des westlichen und neutralen Europas mass der Bundesrat der Intensivierung der Beziehungen grosse Bedeutung zu. Der Chef des EPD besuchte nicht nur Wien und Rom und empfing den französischen wie auch den jugoslawischen Aussenminister, sondern er vereinbarte mit Österreich, es sollten in Zukunft allmonatlich gemeinsame Treffen der höchsten Beamten :stattfinden
[22]. Auch mit Italien, zu dem das Verhältnis nicht mehr getrübt ist, wurden verstärkte Kontakte verabredet, während man mit Frankreich übereinkam, Mitte September ein Expertentreffen zur Vorberatung der Konferenz von Montreux durchzuführen und Abrüstungsfragen gemeinsam zu diskutieren
[23]. Die Koordination stand ferner bei den verschiedenen Treffen Bundesrat Furglers mit den Innenministern Osterreichs, Italiens, der Bundesrepublik und später auch Frankreichs zur Besprechung der Terrorismusbekämpfung im Vordergrund
[24].
Die schweizerische Beteiligung an den Europaratskonventionen wurde im Nationalrat einer kritischen Würdigung unterzogen. Während die meisten Redner für zustimmende Kenntnisnahme des Berichts des Bundesrates zur Motion Reiniger (sp, SH) plädierten und zusammen mit Bundesrat Aubert, dem Vorsteher des EPD, der Meinung waren, entscheidend sei nicht die Zahl der unterzeichneten Konventionen, sondern deren Bedeutung, wurde von verschiedener Seite doch die Frage aufgeworfen, ob die Schweiz mit der Unterzeichnung nicht manchmal allzu lange zuwarte
[25]. Obwohl Bundesrat Aubert vor dem Parlament betonte, die Schweiz könne wegen ihrer föderativen und direkten Demokratie nicht alles übernehmen, was in Strassburg vorgeschlagen werde, zeigte sich auch hier, dass die schweizerische Regierung entschlossen war, eine raschere Gangart einzuschlagen. So unterzeichnete die Schweiz als erstes Land die 100. Europaratskonvention, in der es um Verwaltungsangelegenheiten geht. Dieses Novum wurde in der Presse auch gebührend beachtet
[26].
Das Verhältnis der Schweiz zu den Europäischen Gemeinschaften (EG) stand 1978 vor allem unter dem Eindruck der geplanten EG-Erweiterung sowie der Schaffung eines neuen europäischen Währungssystems. Diese beiden Punkte waren die Gesprächsthemen beim Besuch von Roy Jenkins, dem ersten offiziellen Besuch eines EG-Kommissionspräsidenten in der Schweiz
[27]. In Bern befürchtet man, die Vergrösserung der Disparität zwischen der Marktgrösse der Schweiz und derjenigen der EG könnte zumindest tendenziell dazu führen, dass das Interesse der EG an einer gegenseitigen Öffnung der Märkte geringer wird. Die Gefahr einer wachsenden Abhängigkeit und einer gleichzeitig zunehmenden Isolierung ist nicht von der Hand zu weisen. So werden in Zukunft nicht weniger als 55% der Exporte in den EG-Raum ausgeführt werden und 75% der Importe aus ihm kommen. Aber auch die Rechtsvereinheitlichung schafft für die Schweiz Probleme, ebenso die Tatsache, dass die EG, von denen sich unser Land aus neutralitätspolitischen Gründen fernhält, vielfach unpolitische Vorhaben verwirklichen, an denen sich die Schweiz beteiligen würde, wären die EG nicht eine Gemeinschaft mit politischer Zielsetzung
[28].
Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde, stand das Jahr 1978 im Zeichen der Menschenrechte
[29]. Auch die Schweiz beteiligte sich an den internationalen Bestrebungen auf diesem Gebiete. Wie vor ihm schon der Nationalrat
[30] beschloss der Ständerat, an der aus dem Jahre 1971 stammenden Motion Schmid (ldu, ZH), die der Bundesrat abschreiben wollte, weiterhin festzuhalten. Die Landesregierung wurde damit aufgefordert, den Abschluss einer Anti-Folter-Konvention in die Wege zu leiten. Sie stellte daraufhin in Aussicht, diesbezüglich zuerst mit Österreich und Schweden, danach mit den Europaratstaaten und in einer dritten Phase mit Australien, Kanada, Neuseeland und den USA Kontakt aufzunehmen, warnte aber gleichzeitig vor Illusionen
[31].
In der Menschrechtsfrage liess die Politik des Bundesrates Schwankungen erkennen. Als im Sommer in der Sowjetunion verschiedenen Dissidenten der Prozess gemacht wurde, zitierte man nicht nur den sowjetischen Botschafter ins Bundeshaus, um der Besorgnis des Schweizervolkes Ausdruck zu verleihen, sondern bot den betroffenen Dissidenten gleichzeitig noch Asyl an, ein in der schweizerischen Aussenpolitik einmaliger Schritt
[32].
Diese eher spektakuläre Geste schien zusammen mit der Art, wie der Vorsteher des EPD in seinen Erklärungen die Bedeutung der Menschenrechte betonte, darauf hinzudeuten, dass der Bundesrat in der Menschenrechtsfrage eine aktivere Rolle spielen wollte. Doch mit seiner Antwort auf die von Ständerat Guntern (cvp, VS) eingereichte Motion, in der die Schaffung einer nationalen Instanz nach amerikanischem Vorbild («Commission on security and cooperation in Europe») gefordert wurde, die die Einhaltung der Menschenrechtsvereinbarungen von Helsinki verfolgen und die Öffentlichkeit über Verstösse informieren sollte, zeigte der Bundesrat, dass er nicht gewillt war, von seiner traditionell zurückhaltenden Politik abzuweichen. Mit deutlichem Seitenhieb auf die Menschenrechtspolitik des amerikanischen Präsidenten Carter erklärte der Chef des EPD, mit nuancierten Demarchen sei oft mehr zu erreichen als mit offiziellen Stellungnahmen
[33]. Diese Ausführungen stiessen nicht nur beim Motionär, sondern auch in der Presse auf Kritik. Man fand dort, es wäre der Schweiz nicht schlecht angestanden, sich engagierter für die Menschenrechte einzusetzen
[34].
[14] Vgl. Interpellation Waldvogel (fdp, SH) in Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1914 ff. sowie Interview mit BR Aubert in TA, 58, 10.3.,78. Dass man im EPD nicht völlig einig war in der Bewertung des Konferenzergebnisses, zeigt die Stellungnahme des schweizerischen Delegationsleiters in Belgrad, Bindschedler, und die Reaktion des EPD darauf (BaZ, 68, 10.3.78). Für die Reaktion der Presse vgl. Tagespresse vom 9.3.78.
[15] Die Schweiz nahm 1978 zum 2. Mal an der Tagung der Blockfreien teil; vgl. Presse vom 1.8.78.
[17] 24 Heures, 289, 12.12.78; NZZ, 203, 30.12.78.
[18] Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1933 (Einfache Anfrage Duboule); vgl. ferner NZZ, 198, 28.8.78; TA, 199, 29.8.78. Für die Kritik an der schweizerischen Haltung vgl. JdG, 196, 23.8.78.
[19] Presse vom 23.11.78.
[20] Vgl. Tat, 125, 2.6.78 ; TW, 126, 2.6.78 ; Vr, 126, 2.6.78 ; sowie W. Däpp in BaZ, 146, 2.6.78 und LNN, 125, 2.6.78. Ferner Einfache Anfrage Ziegler (sp, GE) in Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1469 ff. wie auch Interpellation Jaeger (Idu, SG) in Verhandl. B.vers., 1978, III/IV, S. 37. Für die Antworten der Angeschuldigten vgl. LNN, 126, 3.6.78.
[21] Antwort des BR in Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1469 ff. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 70 f.
[22] NZZ, 122, 30.5.78; TA, 123, 31.5.78; 125, 2.6.78. Presse vom 12.7.78; vgl. auch NZZ, 207, 7.9.78.
[23] JdG, 193, 19.8.78. Es waren insbesondere der Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens sowie die Regelung der Grenzgängerbesteuerung, die zur Verbesserung des Verhältnisses zu Italien beitrugen. Vgl. Botschaft in BBI, 1978, I, S. 1454 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 568 ff.; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1910 ff. sowie SPJ, 1976, S. 40.
[24] TA, 82, 10.4.78; NZZ, 112, 18.5.78.
[25] Amtl. Bull. NR, 1978, S. 356 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 413 ff.
[27] Presse vom 15.11.78. Vgl. zu diesem Problem auch : Einfache Anfrage von NR Cavelty (cvp, GR) in Verhandl. B.vers., 1978, V/VI, S. 34 f.
[28] Vgl. Presse vom 27.11.78 (Jahreskongress der Europa-Union) sowie unten, Multilaterale Wirtschaftspolitik.
[29] Vgl. oben, Teil I, 1b (Menschenrechte).
[31] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 15 ff.
[32] LNN, 163, 17.7.78; NZZ, 164, 18.7.78.
[33] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 625 ff.
[34] Presse vom 1.12.78, insbes. Interview mit StR Guntem in TA, 280, 1.12.78.
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