Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
 
Entwicklungshilfe
Es ist bekannt, dass die Schweiz, gemessen an den Summen, die sie für staatliche Entwicklungshilfe aufwendet, unter den entwickelten Ländern einen hinteren Rang einnimmt. Umstritten ist aber — nicht erst seit der Verwerfung des IDA-Kredites durch das Volk im Jahre 1976 — welche Schlussfolgerungen aus diesem Faktum zu ziehen seien. Eindeutige Abstimmungsergebnisse im Parlament lassen noch keinen direkten Rückschluss auf die Meinung in der Bevölkerung zu.
Im Wissen um diese Diskrepanz wurde in den parlamentarischen Beratungen über den 735 Mio-Rahmenkredit, mit dem der Bundesrat bis 1981 den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe von 0,19 auf 0,25% des Bruttosozialproduktes anheben will und der als solcher in den Räten unbestritten war, immer wieder betont, eine bessere Information des Volkes sei unbedingt notwendig [39]. Kritik an der schweizerischen Entwicklungspolitik übten nicht nur die Vertreter der Rechten, sondern auch die Sozialdemokraten. Deren Sprecher erklärte, nicht das EPD, sondern die Handelsabteilung bestimme die Richtung dieser Politik. Die schweizerische Glaubwürdigkeit sei nicht zuletzt deshalb ins Zwielicht geraten, weil die Schweiz mit den Entwicklungsländern so gute Geschäfte mache. Von bürgerlicher Seite wurde im Gegenzug der SP vorgeworfen, sie spreche sich einerseits gegen Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer, andererseits aber auch gegen Exporte dorthin aus. Bundesrat Aubert seinerseits dementierte jede Uneinigkeit zwischen dem EPD und der Handelsabteilung. Den Grund für das mangelnde Verständnis des Volkes für Entwicklungspolitik sah er darin, dass die Schweizer sich nur ungenügend dafür interessierten, was sich ausserhalb ihrer Grenzen abspiele [40].
Auf stärkeren Widerstand stiess die Vorlage eines 200 Mio-Rahmenkredites für Verpflichtungen im wirtschafts- und handelspolitischen Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Während die NA und die Republikaner, wie zu erwarten war, im Nationalrat für Nichteintreten stimmten, verlangte die PdA Rückweisung an den Bundesrat. Die SP war zwar für Eintreten, forderte jedoch die Streichung der 50 Mio Fr., die für die Stützung der Zahlungsbilanzen verwendet werden sollten. Dies wurde aber von der Mehrheit des Rates abgelehnt. Sowohl die bürgerlichen Parteien als auch die Sozialdemokraten hielten es für legitim, mit dieser Vorlage zugleich Exportförderung zu betreiben [41]. Die Vorlage wurde von beiden Kammern genehmigt.
Im September legte der Bundesrat den Räten für die Weiterführung der humanitären Hilfe ein Kreditbegehren in der Höhe von 270 Mio Fr. vor, das wie die beiden oben erwähnten Vorlagen auf dem Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe von 1976 beruht. Mit diesem Kredit sollten einerseits die Beiträge an schweizerische oder internationale Hilfswerke, dann aber auch die Nothilfe finanziert werden. Im Ständerat passierte der Kredit oppositionslos [42].
 
[39] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 114 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 893 ff. Starke grundsätzliche Kritik an der Absicht der Regierung, die schweizerische Entwicklungshilfe auf die Höhe von 1 %des Bruttosozialproduktes zu bringen, übte J. Schwarzenbach (rep., ZH) in Ww, 11, 15.3.78.
[40] Amtl. Bull. NR, 1978, S. 915 ff.
[41] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 602 ff.; Amtl Bull. NR. 1978, S. 1343 ff.
[42] Botschaft in BBl, 1978, II, S. 42 ; Amtl Bull. StR, 1978, S. 704 ff.