Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
Aussenhandel
Die aussenwirtschaftliche Entwicklung der Schweiz stand 1978 ganz im Zeichen des massiv steigenden Frankenkurses. Da sich der Aussenwert unserer Währung, wie wir an anderer Stelle berichtet haben, weit über das im internationalen Inflationsvergleich gerechtfertigte Mass erhöhte, konnte die Schweiz in nur sehr beschränktem Umfang am Wachstum der Weltwirtschaft partizipieren. Harter Franken und hoher Ertragsbilanzüberschuss ermöglichen zwar eine wohlfeile Investition des schweizerischen Kapitals im Ausland. schwächen aber den Werkplatz Schweiz, indem sie die Ertragslage und damit die Investitionsneigung der Exportwirtschaft schmälern und die Binnenwirtschaft einer härteren Importkonkurrenz aussetzen. Um die gefährdeten Arbeitsplätze des Industriestandortes Schweiz zu erhalten, drängen sich deshalb sowohl bei der unilateralen Exportförderung als auch im bilateralen wie im multilateralen Kontakt mit dem Ausland zunehmend auch währungspolitische Massnahmen auf
[43].
Die Auslandabhängigkeit der schweizerischen Wirtschaft, die in der Rohstoffarmut und in der Begrenztheit unseres Binnenmarktes gründet und sich in den letzten Jahren noch einmal gewaltig verstärkt hat, drückt der Situation unseres Landes in zweierlei Hinsicht ihren Stempel auf: Einerseits ist es der Schweiz bei zunehmender internationaler Kapitalverflechtung gelungen. bezüglich der Auslandsinvestitionen in die 4. Stelle unter allen Ländern der Welt aufzurücken, obwohl sie bevölkerungsmässig nur den 67. Rang einnimmt. Andererseits hat der Anteil der Aussenwirtschaft an der nationalen Wertschöpfung überdurchschnittlich zugenommen (er beträgt heute über 40 Prozent), und die Rezession mit ihrem scharfen Nachfragerückgang im Inland hat deutlich werden lassen, wie sehr unser wirtschaftliches Gedeihen vom Export abhängig ist. Diese wesentlichste Konjunkturstütze. die der Schweiz seit 1976 eine teilweise Erholung aus dem wirtschaftlichen Tief ermöglicht hat, ist aber ihrerseits an die Entwicklung der Weltwirtschaft und des Welthandels gebunden
[44].
Was Handelsverkehr und Wirtschaftswachstum der westlichen Industriestaaten betrifft. so präsentierten sich 1978 die Voraussetzungen für den schweizerischen Export ähnlich günstig wie im Vorjahr. Das reale Bruttosozialprodukt aller OECD-Staaten stieg abermals um mehr als 3,5% an. und der internationale Handelsaustausch dehnte sich um über 5% aus. Bei relativ hoch bleibender Arbeitslosigkeit und regional sehr unterschiedlichem Erfolg der Inflationsbekämpfung trugen in den meisten Ländern vor allem der private Konsum, aber auch die Konjunkturbelebungsmassnahmen der öffentlichen Hand zum Wachstum bei. Demgegenüber spielten nun aber in der Schweiz diese beiden Faktoren eine nur geringe Rolle, und während 1977 die schweizerischen Exporte als wichtigste Konjunkturstütze noch doppelt so stark wie das Welthandelsvolumen hatten gesteigert werden können, hielt sich im Berichtsjahr die Ausdehnung des Exportvolumens nur gerade im Rahmen des Welthandelswachstums. Damit blieb 1978 die Zunahme des realen Bruttosozialproduktes der Schweiz mit 1,2% deutlich hinter dem Mittelwert der OECD-Staaten zurück. Dieser relative Misserfolg ist in erster Linie aufdie Entwicklung der Währungssituation zurückzuführen: Dollarzerfall und massiver Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken auch im Verhältnis zu allen anderen Währungen verunmöglichten eine Fortsetzung des Exportbooms vom Vorjahr und setzten — namentlich in der zweiten Jahreshälfte — die schweizerischen Produkte sowohl im Inland wie auf den Weltmärkten einem harten Konkurrenzdruck aus dem Ausland aus. Die verschlechterte Wettbewerbssituation schlug sich in einer prekären Ertragslage nieder und bewirkte im dritten Quartal gar einen Rückgang der schweizerischen Industrieproduktion
[45].
Diese nun deutlich spürbare Abhängigkeit vom internationalen Währungsgeschehen, dem eine kleine, offene Volkswirtschaft weitgehend ausgeliefert ist, prägte die Entwicklung des schweizerischen Aussenhandels. Während die
Exporte volumenmässig um 4,9% gesteigert werden konnten, wuchs der Wert der Ausfuhren nur noch um 1,1 % auf 41 780 Mio Fr. an. Trotz nur schwach erhöhter Gesamtnachfrage nahm das Importvolumen infolge der durch den Wechselkurs bedingten Verbilligung der Einfuhrgüter erheblich zu (+ 9,8%); wegen der Preissenkungen resultierte aber ein geringfügiger Rückgang des Werts der Importe um 1,6% auf 42 300 Mio Fr. Insgesamt schloss die Handelsbilanz mit einem auf 520 Mio Fr. reduzierten Defizit ab, das als aussergewöhnlich tief bezeichnet werden kann, nachdem der Einfuhrüberschuss des Vorjahres (ohne Industriegold) 1675 Mio Fr. betragen hatte. Diese vor allem aus der Veränderung des Wechselkurses erklärbare Entwicklung liess zusammen mit dem nochmaligen Anstieg der Kapitalerträge aus Auslandsinvestitionen den Positivsaldo der Ertragsbilanz auf ungefähr 9 Mia Fr. anwachsen
[46].
Bei den
Importen erfuhren lediglich die Investitionsgüter auch eine wertmässige Zunahme, was aber in hohem Masse mit nicht-konjunkturellen Sonderfaktoren (Kernkraftwerk Gösgen, Tiger-Kampfflugzeuge) zusammenhing. Bei den Exporten führten die Wechselkursprobleme je nach Nachfragebedingungen zu unterschiedlichen Reaktionen : Branchen wie die chemische Industrie oder die Textil- und Bekleidungsindustrie, die im internationalen Vergleich eher homogene Produkte herstellen, waren gezwungen, ihre Preise in Schweizerfranken spürbar zu senken und daraus resultierende Verluste über eine Steigerung des Exportvolumens wettzumachen. Die Maschinen- und Apparateindustrie, die meist spezialisierte Produkte anbietet, musste demgegenüber ihre Preise weniger stark zurücknehmen. Die steigenden Aussenhandelsmittelwerte bei der Uhrenindustrie, die nach der Erholung von 1977 wiederum einen Exportrückgang erlitt, zeugen indes von strukturellen Änderungen, welche die Ausfuhr qualitativ höherwertiger und damit teurerer Produkte möglich machten. Der reale Export von Dienstleistungen verzeichnete ein verlangsamtes Wachstum, was auf den wechselkurs- und witterungsbedingten Rückgang der Übernachtungen ausländischer Gäste zurückzuführen ist. Regional betrachtet, setzte sich 1978 die im Vorjahr feststellbare Tendenz zur Exportverlagerung in Wirtschaftsräume ausserhalb der westlichen Industriestaaten nicht mehr fort; die vordem starke Ausweitung des Handels mit den OPEC-Ländern wurde nunmehr von einem Rückgang abgelöst, und das bescheidene Exportwachstum beruhte ausschliesslich auf Mehrlieferungen nach den OECD-Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland blieb bei weitem der wichtigste Handelspartner der Schweiz: Die Einfuhren aus der BRD betrugen 29% des Gesamtimports, während sich die Ausfuhren in dieses Land auf 18% des schweizerischen Exports erhöhten
[47].
Diese wachsende Abhängigkeit vom Deutschlandmarkt ist deshalb nicht völlig unproblematisch, weil sich die Wettbewerbssituation der schweizerischen Insdustrie nicht nur gegenüber dem Dollarraum verschlechterte; auch die D-Mark verlor relativ zum Schweizer Franken an Wert, was unserem Nachbarland als dem bedeutendsten Lieferanten und Abnehmer der Schweiz und als einem wichtigen Konkurrenten auf Drittmärkten Wettbewerbsvorteile eintrug. Da die beiden Aufwertungsschübe unserer Währung von Ende 1977/Anfang 1978 und vom dritten Quartal des Berichtsjahres durch kleine Inflationsrate, Verbilligung der importierten Vorprodukte sowie geringe Kapitalkosten nicht kompensiert werden konnten, schlugen sich die Nachteile des Industriestandortes Schweiz in gedrückten Gewinnen oder gar Verlusten nieder und führten dort, wo Preiszugeständnisse nicht mehr möglich waren, zu einer Schrumpfung der Auftragseingänge. Diese Misserfolge und unerfreulichen Zukunftsaussichten signalisieren auch eine stärkere Gefährdung des Werkplatzes Schweiz: Investitionen werden kaum mehr zur Erweiterung, sondern nur noch zur Rationalisierung der Produktion getätigt, sofern die Industriebetriebe nicht gar ihre Tore schliessen und die Produktion ins kostengünstigere Ausland verlagern
[48]. Den wohl spektakulärsten Fall einer Betriebsschliessung bildete die Stillegung der Pneufabrik Firestone in Pratteln (BL), die zu einem Verlust von über 600 Arbeitsplätzen führte. Weder die Bereitschaft der Arbeitnehmer, Lohnreduktionen in Kauf zu nehmen, noch die Verhandlungen mit Vertretern des Bundes und der Kantonsregierung vermochten die amerikanische Konzernleitung dieses multinationalen Unternehmens von ihrem Entscheid abzubringen, die schweizerische Produktionsstätte zugunsten einer millionenschweren Expansion im preisgünstigen Thailand aufzugeben. Dass das Führungsgremium in Akron (USA) dem lokalen schweizerischen Management wenig Spielraum liess und mit seiner profitorientierten Entscheidung die vitalen Interessen einer ganzen Region verletzte, wurde mit Empörung zur Kenntnis genommen
[49]. Dem liess sich allerdings entgegenhalten, dass die schweizerischen Multis bei ihren Investitionsentscheiden genau so verfahren
[50]. Im Falle der Firestone wie auch bei anderen Betriebsschliessungen wurde betont, der hohe Aussenwert des Schweizer Frankens trage nicht die alleinige Schuld; neben struktur- und branchenspezifischen Problemen seien oft auch mangelnde Planung und echte Führungsschwächen für die unternehmerischen Misserfolge verantwortlich, und die Währungslage diene manchmal nur als Vorwand
[51].
[43] Vgl. P. R. Jolles, «Die schweizerische Aussenwirtschaft vor neuen Weltwirtschaftsproblemen» und « Die Aussenwirtschaftsbeziehungen der Schweiz in der heutigen Weltwirtschaftslage». in Documenta, 1978, Nr. 1, S. 7 ff. bzw. Nr. 2, S. 19 ff. sowie BR Honegger, «Probleme der Wirtschaft », in Documenta, 1978, Nr. 6, S. 15 ff. Vgl. auch BBl, 1978, II, S. 273 ff. und 1979, I, S. 310 ff. (11. und 12. Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik) sowie Gesch.ber., 1978. S. 211 ff. und 218 ff. Vgl. ferner oben, Teil I, 4b (Währungspolitik).
[44] P. Berwert. Export und Wirtschaftswachstum. Der Fall der Schweiz, Bern 1977 und ders. / H. Kleinewerfers, Empirische Untersuchungen über die schweizerische Wettbewerbsfähigkeit und Aussenhandelsstruktur 1967 bis 1977, Bern 1977. Vgl. auch A. Rutz. «Der schweizerische Aussenhandel nach der Wechselkursfreigabe», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 114/1978. S. 147 ff.; ferner SHZ, 5. 1.2.79.
[45] Vgl. Mitteilung der Kommission für Konjunkturfragen (in der Folge zitiert : Mitteilung/Konjunkturfragen), Nr. 256, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 52/1979, Heft 2 und SNB, Geschäftsbericht, 71/1978, S. 5 f. und 14 f.
[46] Vgl. Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 256 und SNB, Geschäftsbericht, 71/1978, S. 23 f: Die Zahlen verstehen sich — entsprechend der neuen Aussenhandelsstatistik und im Gegensatz zu den in SPJ, 1977, S. 71 verwendeten Werten — ohne Industriegold; vgl. auch TA, 22, 27.1.78; 21, 26.1.79.
[47] Vgl. wf, Dok., 8, 19.2.79; 9, 26.2.79; 14, 2.4.79; BaZ, 68, 21.3.79.
[48] Vgl. G. Winterberger, Die Schweiz im internationalen Wettbewerb. Zürich 1978 (Schriftenreihe des Vororts, 13) und H. Hartung, Die Schweiz im Zeichen des harten Frankens, Zürich 1978 (SKA). Vgl. auch Ldb, 272, 23.11.78; 286, 9.12.78; wf, Artikeldienst, 4, 22.1.79; TA, 31, 7.2.79; Bund, 45, 23.2.79; 61, 14.3.79.
[49] Vgl. Presse vom 23.3., 12.-14.4. und 10.5.78 sowie NZZ, 90, 19.4.78. Vgl. auch Amtl. Bull. NR 1978, S. 248 f. (Interpellation Muret, pda, VD) und 981 ff. (Postulat der SP-Fraktion). Vgl. ferner unten Teil I, 7a (Conflits du travail).
[50] Vgl. TA, 75, 1.4.78.
[51] Vgl SHZ, 2, 11.1.79.
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