Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik / Aussenwirtschaftspolitik
Durch den hohen Grad der Auslandabhängigkeit, der die Erfolgsaussichten autarker Wachstumsförderung von vornherein begrenzt, sind Industriestandort und Finanzplatz Schweiz in ihren Entwicklungsmöglichkeiten weitgehend den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgeliefert. Im Gegensatz zur Aussenpolitik im engeren Sinne, die traditionell am Unabhängigkeitsziel festgemacht ist und in ihren modernen Bestrebungen in Richtung weltweiter Solidarität und Partizipation immer wieder über neutralitätspolitische Vorbehalte und Vorurteile zu stolpern droht, hat sich aufgrund der ökonomischen Interessenlage eine aktive Teilnahme der Schweiz an der multilateralen Wirtschaftspolitik längst gegen alle isolationistischen Strömungen durchgesetzt. Rührigkeit und Effizienz der in diesem Bereich federführenden Handelsabteilung des EVD stossen indes oft auf Kritik gerade von Protagonisten einer kooperativen Aussenpolitik, für welche die schweizerische Aussenwirtschaftspolitik die Eigeninteressen unseres reichen Landes über Gebühr und auf Kosten des Solidaritätsziels der Weltgesellschaft zur Geltung bringt
[70].
Um den liberalen Welthandel trotz globaler Struktur- und Arbeitsplatzprobleme aufrechtzuerhalten, ging es — wie bereits in den vorangegangenen Jahren — namentlich darum, protektionistische Vorkehren verschiedener Regierungen zu verhindern oder rückgängig zu machen, wobei die Bekämpfung nichttarifärer Handelshindernisse und die Berücksichtigung währungspolitischer Momente vermehrt an Bedeutung gewannen. Während sich die OECD-Nationen erneut zur Verlängerung ihres Stillhalteabkommens bereit fanden, konnte die Tokio-Runde des GATT einem erfolgreichen Abschluss nähergebracht werden
[71]. Dass aussenwirtschaftliche Abkommen auch binnenwirtschaftliche Massnahmen tangieren können, mussten der Konjunkturdelegierte und das EMD erfahren: Aufgrund von Wettbewerbsbestimmungen der EFTA durfte ein österreichisches Lieferungsangebot für Militärtricots nicht ausgeschlagen werden, obwohl die Beschaffung solcher Tricots als konjunkturelle Stützungsaktion für die schweizerische Wirtschaft geplant war
[72]. Im Rahmen der europäischen Integration stellte sich insbesondere die Aufgabe, einer Diskriminierung der EFTA-Produkte auf Drittmärkten, die über Präferenzabkommen Anschluss an die EG suchen, vorzubeugen; die Bestrebungen zur Gründung einer Europäischen Währungsunion wurden von der Schweiz aufmerksam verfolgt
[73].
Angesichts der finanziellèn Verflechtung mit der Dritten Welt legten die Behörden besonderen Wert auf Abkommen zum Schutze schweizerischer Investitionen in
Entwicklungsländern
[74]. Dem Ausschuss der UNO-Generalversammlung, der die an der Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit (KIWZ) eingeleitete Diskussion der Nord-Süd-Beziehungen fortführen soll, gehört die Schweiz wiederum als Vollmitglied an. Hier wie anlässlich der Vorbereitungen auf die fünfte Session der UNCTAD kamen die Probleme einer neuen Weltwirtschaftsordnung und einer Interessenharmonisierung zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern zur Sprache
[75]. Über die entwicklungspolitischen Bemühungen des Bundes und über die umstrittene Vertretung der Schweiz in einem UNO-Gremium für transnationale Gesellschaften durch alt Bundesrat Schaffner haben wir an anderer Stelle berichtet
[76].
[70] Vgl. BaZ, 113, 26.4.78; TW, 169, 22.7.78; Bund, 181, 5.8.78; Vr, 241, 14.10.78; 253, 28.10.78; 271, 18.11.78. Vgl. auch H. Mayrzedt, «Erfahrungen mit der multilateralen Wirtschaftsdiplomatie zwischen westlichen Industriestaaten», in Aussenwirtschaft, 33/1978, S. 254 ff.
[71] Vgl. BBl, 1978, II, S. 284 ff. und 1979, I, S. 326 ff. Vgl. auch Presse vom 22.12.78.
[72] Vgl. TA, 16, 20.1.79. Vgl. auch unen, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[73] BBl, 1978, II, S. 278 ff. ; 1979, I, S. 316 ff. Vgl. auch F. Blankart in SGT, 1, 3.1.79. Vgl. ferner oben, Europa.
[74] Vgl. Gesch.ber., 1978, S. 223, TA, 24, 30.1.79. Vgl. auch P. V. Saladin / E. Roethlisberger / P. Lévy, Die Schweiz und die Nord-Süd-Beziehungen. Zürich 1978; H.-B. Peter, Export- und Import-Anteile der einzelnen Länder der Dritten Welt am schweizerischen Aussenhandel, Bern 1978 (Handelsströme Schweiz-Dritte Welt, 4).
[75] Vgl. BBI, 1978, II, S. 288 f.; 1979, I, S. 331 ff. Vgl. auch P. R. Jolles, «Der Nord-Süd-Dialog und die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der schweizerischen Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik», in Die Volkswirtschaft, 51/1978, S. 237 f., F. Kneschaurek, «Das Ringen um eine neue Weltwirtschaftsordnung», in Aussenwirtschaf, 33/1978, S. 272 ff. und U. Holtz, Europa und die Multis — Chance für die Dritte Welt?, Baden-Baden 1978 (Edition Europarat, 2) sowie Bund, 56-57, 8.-9.3.79.
[76] Vgl. oben, Entwicklungshilfe, Internationale Konferenzen.
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