Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Landesverteidigung
Organisation der Armee
Die im Armeeleitbild 80 vorgezeichnete Umgestaltung der Organisation der Armee trat in ihre dritte Phase, in der es hauptsächlich um die Verbesserung der Panzerabwehr in der Infanterie geht, wobei zugleich eine Kräfteverschiebung vom Gebirgsarmeekorps zu den Feldarmeekorps stattfindet. Vor allem in den Füsilierbataillonen der letzteren sollen Panzerabwehrlenkwaffen-Kompanien aufgestellt und mit dem durch die Rüstungsprogramme 1977 und 1978 beschafften Modell Dragon ausgestattet werden. Ausserdem ist eine Verstärkung der den Kommandanten der Feldarmeekorps direkt unterstellten Mittel durch neue Infanterieformationen vorgesehen. Diese Neubildungen erfordern die Heranziehung von Truppen aus anderen Verbänden. Dass dadurch das Gebirgsarmeekorps betroffen wird, hatte schon in den Vorjahren zu Auseinandersetzungen des EMD mit den Alpenkantonen geführt ; es trug auch wesentlich zum bereits erwähnten Rücktritt Korpskornmandant Reichlins bei. Eine entsprechende Revision der Truppenordnung warf jedoch in politischen Kreisen keine grossen Wellen mehr. Der Ständerat, der die Vorlage als erster behandelte, begnügte sich im Dezember damit, den gleichfalls vorgeschlagenen Abbau der Trainformationen auf die Feldarmeekorps zu beschränken
[23].
Unter dem Eindruck wachsender Schwierigkeiten, für alle Armeefunktionen genügend Personal zu finden, gewinnt der
Einsatz von Frauen erhöhtes Interesse. Deren gestärkte gesellschaftliche Position stellt aber eine blosse Hilfsdienstrolle mehr und mehr in Frage. Vertreterinnen des Frauenhilfsdienstes fordern deshalb ein eigenes Statut für die weiblichen Armeeangehörigen. Generalstabschef H. Senn zeigte für das Anliegen Verständnis und zog auch eine Unterstellung von Männern unter weibliches Kommando in Betracht
[24]. Von feministischer Seite wurde demgegenüber für die Frau eine pazifistische Rolle beansprucht
[25].
Fragen der
militärischen Ausbildung wurden vermehrt öffentlich diskutiert. Von Offiziersseite hörte man scharfe Kritik an der liberaleren Praxis; verschiedene Stimmen forderten — in mehr oder weniger deutlicher Distanzierung von den Reformen der 70er Jahre — eine über das Technische hinausgehende soldatische Erziehung, die eine straffere Führung und mehr formale Disziplin voraussetze. Der Schweizerische Unteroffiziersverband sprach sich gar für die Wiedereinführung der Achtungsstellung aus
[26]. Der neue Ausbildungschef H. Wildbolz, der eine ausgesprochene Neigung zur Öffentlichkeitsarbeit an den Tag legte, bekannte sich demgegenüber zu einem humanen Führungsstil. Er trat zugleich für eine realistischere Gefechtsausbildung und eine Verlängerung der Unteroffiziersschulen ein; im Blick auf das Armeeleitbild der 90er Jahre kündigte er ein Gesamtkonzept für die Ausbildung an
[27]. Vorstösse für die Einführung der Fünftagewoche in den Wiederholungskursen fanden im EMD kein günstiges Echo
[28].
Die neuen gesetzlichen Grundlagen für die innere Ordnung der Armee wurden von den eidgenössischen Räten gutgeheissen. Weder am Entwurf für das Militärstrafgesetz noch an demjenigen für die zugehörige Gerichtsordnung nahm das Parlament wesentliche Änderungen vor. Sozialdemokratische Anträge, die Militärgerichte abzuschaffen und die Todesstrafe auch für Kriegszeiten aufzuheben, drangen nicht durch, ebensowenig ein breiter abgestützter Vorschlag, die Dienstverweigerung zivilen Gerichten zu überlassen. Dagegen eröffnete der Nationalrat auch Unteroffizieren und Soldaten den Zugang zu Militärgerichtsschreiberfunktionen. Als Verteidiger werden aber künftig nur noch Rechtsanwälte anerkannt
[29]. Mit den Gesetzesrevisionen wird namentlich den Erfordernissen der Europäischen Menschenrechtskonvention Genüge getan. Ständerat Munz (fdp, TG) wusste freilich zu berichten, dass es bereits ein Armeeformular für Strafverfügungen gebe, mit dem man Delinquenten zum Verzicht auf ihr Beschwerderecht veranlassen wolle, statt sie über ihre Rechtsmittel aufzuklären
[30].
[23] Truppenordnung: BBI, 1978, II, S. 1245 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 696 ff. Vgl. dazu SPJ, 1977, S. 51 sowie oben, Planung bzw. Rüstung. Über Opposition in der Zürichseegegend vgl. TA, 108, 12.5.78 ; NZZ, 153, 4.7.78.
[24] Vgl. «Die Frau in der Schweizer Armee», Beilage zu ASMZ, 144/1978, Nr. 6; ferner 24 Heures, 170, 24.7.78.
[25] BaZ, 85, 29.3.78; vgl. auch BaZ, 95, 99, 102, 109, und 113, 8.-26.4.78.
[26] Kritik: NZZ. 12, 16.1.78 (F. Seethaler). Erziehung: R. Binder in NZZ, 47, 25.2.78; G. Däniker, «Die Schweizer Armee der 90er Jahre», Beilage zu ASMZ, 144/1978, Nr. 11. Achtungsstellung: Vat., 100, 1.5.78.
[27] Vgl. Interviews in LNN, 31, 7.2.78; Bund, 34, 10.2.78; TA. 57, 9.3.78; ferner Zofinger Tagblatt, 53, 4.3.78; LNN. 60, 13.3.78; TA, 96, 26.4.78; Bund, 289, 9.12.78. Vgl. SPJ, 1977, S. 51.
[28] BaZ, 298, 22.11.78. Vgl. Postulat F. Meier (na, ZH) in Verhandl. B.vers., 1978, VII, S. 43.
[29] Amtl. Bull. NR, 1978,S. 96 ff., 6141. u. 1567 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 124 ff, 479 ff u. 661. Vgl. SPJ, 1977, S. 52.
[30] Amtl. Bu!!. StR. 1978, S. 130 f. BR Gnägi sicherte eine Rechtsmittelbelehrung zu.
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