Année politique Suisse 1978 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Wirtschaftsordnung
Die Auseinandersetzung über die beste Art und Weise staatlicher Wirtschaftspolitik fand auch im Berichtsjahr ihre Fortsetzung. Die Linke vertrat die Ansicht, die Hauptgefahr für die schweizerische Wirtschaft gehe von den Banken aus. Durch ihre bedeutende Rolle auf dem internationalen Kapitalmarkt sei unsere Währung zu einem Spekulationsobjekt geworden, deren Wertschwankungen eine dauernde Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit der Exportwirtschaft zur Folge hätten. Als Gegenstrategie schlug sie die Anpassung des Bankenrechts an die Normen anderer Industrieländer vor, um die Attraktivität des Finanzplatzes und damit den Aufwertungsdruck auf den Franken zu vermindern. Einzelne Wirtschaftswissenschafter unterstützten zudem die Kritik der SPS und des SGB an der monetaristischen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre und forderten die Aufgabe der prozyklischen Finanzpolitik der öffentlichen Haushalte sowie die Ankurbelung der Binnenkonjunktur [2]. Für die massgeblichen Sprecher der Wirtschaft sind die Probleme wesentlich anders gelagert. Sie verfechten die Meinung, dass sich die Konjunkturpolitik auf die Inflationsbekämpfung beschränken soll; greife der Staat auf andere Weise, insbesondere mit Arbeitsbeschaffungsprogrammen, in den Wirtschaftsprozess ein, so verzögere er nur die ohnehin unabwendbaren Strukturanpassungen. Ganz allgemein gehe die grösste Gefahr für die Wirtschaft von der Tendenz aus, die Aufgabenbereiche des Staates laufend zu erweitern und damit die finanzielle und administrative Belastung der Unternehmungen zu erhöhen [3].
Anlass zu einer Grundsatzdebatte über die Rolle des Staates in der Wirtschaft bot die Veröffentlichung des Entwurfs für eine neue Bundesverfassung. Unter anderem erregt die darin vorgeschlagene Relativierung des Eigentumsrechts und der Handels- und Gewerbefreiheit den besonderen Unmut wirtschaftsliberaler Kreise. Wohl werden beide als Grundrechte bezeichnet und sollen damit in ihrem Kern unantastbar sein. Sie sollen aber durch Erlasse auf Gesetzesebene eingeschränkt werden können; dies im Gegensatz zu heute, wo es dazu einer durch Volk und Stände gutgeheissenen Verfassungsänderung bedarf. Durch den Verzicht auf das obligatorische Referendum und das Ständemehr würde nach Ansicht der Kritiker einer Umgestaltung der bestehenden marktwirtschaftlichen Ordnung durch eine interventionistisch gesinnte städtische Bevölkerungsmehrheit nichts mehr im Wege stehen [4]. Eine derart evidente Gefährdung des Wirtschaftssystems scheint bei nüchterner Betrachtung der Verfassungsentwurf allerdings nicht zu bringen, müssten doch die befürchteten wirtschafts- und eigentumsfeindlichen Gesetze immer noch die konservative Hürde des Ständerates überspringen. Die Befürworter des Verfassungsentwurfs betonten in ihrer Antwort auf die Einwände, dass der Fortbestand der Wirtschaftsordnung durch die Verfassung ausreichend geschützt sei. In Anbetracht des raschen Wandels des von den Ökonomen empfohlenen Instrumentariums werde aber die Regelung wirtschaftspolitischer Detailfragen auf Gesetzesebene dem Staat ein flexibleres und damit effizienteres Handeln erlauben [5].
 
[2] SPS, Finanzplatz gegen Werkplatz, Bern 1978; Gewerkschaftliche Rundschau, 70/1978, S. 290 f.; S. Borner und Ch. Friedmann, «Schicksal oder Politikversagen?», in Schweiz. Zeitschrift frlr Volkswirtschaft und Statistik, 115/1979, S. 21 f. Vgl. auch unten Teil I, 4b (Banken; Finanzplatz Schweiz), 5 (Finanzplanung) und Teil III a (Sozialdemokratische Partei).
[3] Vgl. dazu die Referate von L. von Planta an der Delegiertenversammlung des Schweiz. Handels- und Industrievereins (in Schriftenreihe des Vororts, Nr. 16, Zürich 1978) und von O. Fischer an der Basler Gewerbetagung (in Unternehmensführung im Gewerbe, 11/1979, Nr. 1, S. 47 ff.). Siehe ebenfalls H. Letsch, « Die Macht des Staates — Gefahr für das Privateigentum?», in Unternehmensführung im Gewerbe, 10/1978, Nr. 1, S. 15 ff.
[4] H. Sieber, Wirtschaftspolitische Betrachtungen zur Revision der Bundesverfassung. Zürich 1978 ; A. Meier-Hayoz, Verfassungsentwurf und Eigentumsgarantie, Zürich 1978 ; Redressement National, Verfassung mit halber Substanz und falscher Tendenz. Zürich 1978 ; F. Ebner, «In die verkehrte Richtung», in Schweizer Monatshefte, 58/1978, S. 931 ff. Vgl. auch oben, Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung).
[5] B. Hotz, «Offenheit und Verfasstheit», in Schweizer Monatshefte, 58/1978, S.'765 ff. Vgl. auch H. Ch. Binswanger et el., Eigentum und Eigentumspolitik, Zürich 1978.