Année politique Suisse 1978 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Strukturpolitik
Die Strukturpolitik der Schweiz ist im Berichtsjahr um ein Instrument reicher geworden. Nachdem der Vorentwurf in der Vernehmlassung auf keine prinzipielle Einwände gestossen war, präsentierte die Regierung einen Bundesbeschluss über Finanzierungsbeihilfen für wirtschaftlich bedrohte Regionen. Dieser sieht vor, dass der Bund Diversifizierungs- und Innovationsinvestitionen sowie die Ansiedelung neuer Industrien in wirtschaftlich einseitig geprägten und von Arbeitslosigkeit bedrohten Regionen mit der Gewährung von Bürgschaften, Zinskostenbeiträgen und Steuererleichterungen unterstützen kann. Die Hilfe ist an die Bedingung geknüpft, dass ebenfalls eine Bank Zinskostenbeiträge leistet. Damit ist eine Sicherung eingebaut, welche verhindern soll, dass der Staat völlig unrentable Vorhaben mitfinanziert. Im weitern ist das Engagement des Bundes abhängig von einer entsprechenden Beteiligung des Standortkantons. Die Vorlage wurde von den Vertretern der Uhrenkantone, deren Regionen wohl am ehesten, wenn auch nicht als einzige, daraus Nutzen ziehen können, lebhaft unterstützt. Opposition erwuchs ihr aber von den Vertretern der Gebirgsbevölkerung. Sie befürchteten von dem neuen Instrument eine Konkurrenzierung ihrer eigenen Anstrengungen um die Ansiedelung von Industriebetrieben. Dies führte im Ständerat zu einer Abschwächung der Vorlage. Der Antrag der Kommissionsmehrheit auf Streichung der Zinskosten drang zwar nicht durch; die Kantonsvertreter entschieden aber — und die Volkskammer schloss sich ihnen an — dass Zinskostenverbilligungen nur in äussersten Notfällen auszurichten seien [22].
Immer mehr Kantone versuchen, mit Wirtschaftsförderungsgesetzen die Errichtung neuer Betriebe auf ihrem Gebiet zu begünstigen. In Neuenburg stimmte der Grosse Rat oppositionslos einem entsprechenden Gesetz zu. Mit dem Einverständnis der Landsgemeinde erhielt ebenfalls der Kanton Glarus ein Wirtschaftsförderungsgesetz. In Basel-Land reichte die durch die Betriebschliessung der Firestone in Pratteln aufgeschreckte Linke (SP und Gewerkschaften, bzw. POCH) gleich zwei Volksinitiativen für eine aktive staatliche Industrieansiedelungspolitik ein. Die Regierung handelte ebenfalls und legte dem Landrat einen eigenen Entwurf vor. Im Schaffhauser Parlament war man sich über die Notwendigkeit der kantonalen Wirtschaftsförderung zwar einig; da aber in verschiedenen Detailfragen keine Verständigung möglich war, scheiterte eine von freisinniger Seite eingebrachte Motion. Im Kanton Solothurn stand die 1977 eingereichte Wirtschaftsförderungsinitiative der POCH zur Debatte. Die Regierung und die Parlamentsmehrheit vertraten die Meinung, dass die bereits ergriffenen Sofortmassnahmen ausreichend seien und dass sich zudem einige Forderungen des Volksbegehrens (so zum Beispiel die Mitbestimmung der Arbeiter in staatlich unterstützten Betrieben) kontraproduktiv auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze auswirken würden. Der Souverän lehnte die Initiative mit 13 896 Ja : 45 161 Nein deutlich ab [23].
Insgesamt 35 Bergregionen haben bis Ende 1978 ihre Entwicklungskonzepte beim EVD eingereicht. Da von diesen im Berichtsjahr neunweitere, gutgeheissen wurden, gelangen nun 28 Regionen in den Genuss der durch das Investitionshilfegesetz (IHG) zugesicherten Entwicklungsbeihilfen [24].
 
[22] SPJ, 1977, S. 62; BBl, 1978, S. 1046 ff.; Amtl. Bull. NR, 1978,S. 1264 ff. und 1438; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 337 ff. und 531. Vgl. auch B. Kunz, L'emploi dans la région horlogère, Neuchätel, 1978. Wie bereits der Ständerat, stimmte nun auch der Nationalrat der Fortführung der amtlichen Qualitätskontrolle für Schweizer Uhren bis 1981 zu (SPJ, 1977, S. 62; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 226 ff.; AS, 1978, S. 525 ff. und 1620 f.).
[23] Neuenburg: VO, 227, 11.10.78; NZZ, 237, 12.10.78. Glarus: NZZ (sda), 51, 2.3.78; 115, 22.5.78. Basel-Land: BaZ, 131, 18.5.78; 184, 12.7.78; 243, 19.9.78; NZZ (sda), 161, 14.7.78 (zu Firestone vgl. unten, Teil I, 7a, Marché du travail). Solothurn: Bund, 117, 23.5.78 ; SZ, 148, 29.6.78 ; 214, 15.9.78 ; 218, 20.9.78 ; 222, 25.9.78; SZ, 31, 7.9.78. Vgl. auch W. Hess und J. Krippendorf, Lage und Entwicklung der bernischen Volkswirtschaft, Bern 1978: H. Elsasser, «Räumliche Disparitäten in der Schweiz — dargestellt am Beispiel der Beschäftigten», in Dokumente und Informationen zur Schweizerischen Orts-, Regional- und Landesplanung (DISP), 1978, Nr.48, S. 12 ff.; H. Leibundgut, «Zur Förderung des sekundären und tertiären Sektors in der regionalen Entwicklungspolitik», in DISP, 1978, Nr. 48, S. 20 ff.
[24] Gesch. ber., 1978, S. 237.