Année politique Suisse 1978 : Wirtschaft / Landwirtschaft / Tierische Produktion
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Fleisch und Eier
Auch im Bereich der übrigen tierischen Produktion zeigten sich Bestrebungen, mit regulativen Methoden auf das Geschehen Einfluss zu nehmen. Die schweizerische Landwirtschaft erreicht in der Fleischerzeugung bereits heute einen Selbstversorgungsgrad von 90-100%, und da die Milchkontingentierung eine Produktionsverlagerung zur Folge haben wird, ist ein Anwachsen gravierender Verwertungsschwierigkeiten auch in diesem Sektor absehbar [35]. Diese gefährliche Entwicklung in der Tierproduktion ist von einem rasanten Konzentrationsprozess begleitet; bereits heute wird z. B. ein Viertel aller Schweine in Ställen mit mehr als 500 Tieren gehalten und 0,3% der Legehennenhalter besitzen über die Hälfte aller Legehennen [36]. Solche «Tierfabriken» basieren meist auf importierten Futtermitteln und drücken dank weitgehender Rationalisierungsmöglichkeiten den Produzentenpreis oft so weit in die Tiefe, dass die Veredelungswirtschaft der bäuerlichen Familienbetriebe nicht mehr rentabel ist. Weil jedoch auch die kleinen und mittleren Bauern zur Einkommensverbesserung auf den Verdienst aus Schweinemast und Geflügelhaltung angewiesen sind und sich in diesen Kreisen zunehmend die Ansicht durchsetzt, ohne ausländisches Kraftfutter für die «Bahnhofbauern» wäre auch die Milchkontingentierung nie notwendig geworden, sah sich der Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten, unterstützt vom SBV, veranlasst, eine Initiative gegen übermässige Futtermittelimporte und «Tierfabriken» zu lancieren, welche die Produktion auf betriebs- und landeseigener Futterbasis besser schützen soll. Da die bodenunabhängige industrielle Massentierhaltung weder zur Landschaftspflege noch zur Selbstversorgung der Schweiz beitrage, sei nicht einzusehen, weshalb.sie vom verfassungsmässigen Agrarschutz profitieren und die bäuerlichen Betriebe konkurrenzieren dürfe [37].
Der Bundesrat hatte seinerseits schon Ende 1976 vorgeschlagen, die tierische Veredelungsproduktion anhand einer Futtermittelbewirtschaftung für die bäuerlichen Familienbetriebe wieder einträglicher zu gestalten [38]. Nachdem die redistributive, auf Importbelastungen und abgestuften Subventionen basierende Vorlage auf vielfachen Widerstand von seiten der Importeure, des Handels und der Konsumenten gestossen war, entschied sich die nationalrätliche Kommission für eine regulative Konkurrenzvariante, die nach heftiger Débatte die Zustimmung der Grossen Kammer fand [39]. Das neue Führungsinstrument für die Fleisch- und Eierproduktion sieht — unabhängig von der betriebseigenen Futterbasis — Höchstgrenzen für die Tierbestände und massive Abgaben im Falle ihrer Überschreitung vor. Während kleine und mittlere Betriebe subventioniert werden sollen, müsste der Bund für eine Übergangszeit von zehn Jahren mit zusätzlichen Beiträgen den Abbau zu hoher Tierbestände sowie die Stillegung zu kleiner und unrentabler Betriebe fördern. Gleichzeitig würde die Bewilligungspflicht für Stallbauten, die der Bundesrat als Instrument zur Produktionslenkung auf dem Verordnungsweg bereits eingeführt hat, nun auch als strukturpolitisches Instrument im Landwirtschaftsgesetz verankert [40].
Da nach den Vorstellungen der Nationalratskommission als zulässige Höchstbestände pro Betrieb z. B. 12 000 Legehennen, 1200 Mastschweine und 300 Mastkälber zu bewilligen sind, können die auch von bäuerlicher Seite kritisierten Auswüchse der industriellen Tierhaltung wohl nur mit Hilfe des neuen Tierschutzgesetzes bekämpft werden, das auch für die Fleisch- und Eierproduktion eine tiergerechte Haltung vorschreibt [41]. Nachdem die Differenzen zwischen den beiden Rätenbereinigt werden konnten, ergriff eine Genfer Liga zur Bekämpfung der Vivisektion das Referendum gegen das Tierschutzgesetz, da sie die Vorschriften über Tierversuche und Tierhaltung als zu large und zu unverbindlich beurteilte [42]. Praktisch alle Parteien und Interessenverbände sowie die meisten Tierschutzorganisationen setzten sich jedoch für die Ja-Parole ein, so dass die Vorlage im Dezember vom Souverän mit überwältigender Mehrheit genehmigt wurde [43].
 
[35] Vgl IBZ, 3, 12.1.78; Union, 5, 1.2.78. Vgl. ferner Schweiz. Viehproduzentenverband, Jahresbericht, 30/1977-78.
[36] Vgl. Ww, 16, 19.4.78; Brückenbauer, 22, 2.6.78; IBZ, 32, 3.8.78; TA, 235, 10.10.78.
[37] IBZ. 2, 5.1.78; 3, 12.1.78; 6, 2.2.78; 15, 6.4.78; 37, 31.8.78; BBI, 1978, II, S. 1228. Vgl. auch NZZ, 32, 8.2.78 ; Vat., 35,11.2.78 ; BaZ, 252, 29.9.78 ; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 223 f. (Motion Broger, cvp, AI). Vgl. ferner SPJ, 1977, S. 89 f.
[38] BBl, 1977, I, S. 173 ff. und 237 f. Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1535 f. (Interpellation Hungerbühler, cvp, SG) und SPJ, 1977, S. 89 f.
[39] BBl, 1978, II, S 1318 ff.; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1485 ff. Vgl. auch Bund, 66, 20.3.78 ; NZZ, 74, 31.3.78 ; 201, 31.8.78; Brückenbauer, 34,25.8.78; 44, 3.11.78 sowie die Presse vom 7.7. und 23.-25.10.78.
[40] Vgl. IBZ, 1, 29.12.77. Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1978, S. 354 f. (Interpellation Ueltschi, svp, BE).
[41] BBI, 1978, I, S. 662 ff. Vgl. auch LNN, 246, 23.10.78; 288, 13.12.78; Coop-Zeitung, 46, 16.11.78. Vgl. ferner SPJ, 1977, S. 91.
[42] Amtl. Bull. NR. 1978, S. 78 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 63; BBl, 1978, I, S. 1674. Vgl. auch Tat, 67, 21.3.78; JdG, 81, 8.4.78.
[43] Vgl. die Presse von November und Anfang Dezember 1978 sowie Vox, Analysen eidgenössischer Abstimmungen, 3.12.78. Abstimmungsresultat: 1339252 Ja: 300 045 Nein (vgl. BBI, 1979, I, S. 211).