Année politique Suisse 1978 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Bundesfinanzreform
Der politischen Widerstände und der konjunkturellen Folgen weiterer Sparmassnahmen bewusst, zeigte sich der Bundesrat bestrebt, das gesetzte Ziel des Budgetausgleichs bis Anfang der achtziger Jahre vor allem mittels Mehreinnahmen zu erreichen. Kernstück seiner Finanzplanung bildete denn auch eine Bundesfinanzreform, die ab 1981 zusätzliche 1,4 Mia Fr. einbringen sollte
[26]. Nachdem das Finanzpaket 1976 in der Volksabstimmung vorn 12. Juni 1977 deutlich verworfen worden war, erwog die Regierung zunächst als Übergangslösung eine Erhöhung der WUST; an einer stärkeren Belastung des Konsums wollte sie auf jeden Fall festhalten, da die Zollerträge aufgrund der Handelsverträge und des Gewichtszollsystems in den letzten Jahren zurückgegangen sind, womit sich bei den Fiskaleinnahmen das Verhältnis zwischen indirekten und direkten Steuern zugunsten der letzteren verschoben hat. Nach Konsultationen mit den Regierunsparteien und mit Interessenvertretern der Wirtschaft entschied sich der Bundesrat, doch am
Systemwechsel von der WUST zur MWST festzuhalten, um mit dieser investitions- und exportfreundlicheren Steuer die Nachteile der schweizerischen Industrie gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz abzubauen
[27]. Er präsentierte eine Vorlage, die mit den Parlementsbeschlüssen des Jahres 1976 beinahe identisch war, jedoch tiefere Sätze vorsah (2,5 statt 3% auf Umsätzen und Einfuhren von Waren des täglichen Gebrauchs, 5 statt 6% auf gastgewerblichen Leistungen und 8 statt 10% auf allen übrigen Umsätzen, Einfuhren und der Steuer unterstellten Leistungen); zudem sollte der Bundesrat diese Sätze je nach Wirtschaftslage herabsetzen können. Entsprechend der etwas bescheideneren Konsumbelastung war der Steuerfreibetrag der direkten Bundessteuer (DBST), die erneut mit der MWST zu einem Paket verschnürt wurde, kleiner als 1976 (15 000 statt 18 000 Fr.) und die Besteuerung der höchsten Einkommen etwas weniger hoch (12,5% für Einkommensteile über 500 000 Fr. statt 13% für Einkommensteile über 100 000 Fr.). Die Gewinnsteuer bei juristischen Personen sah wiederum einen Dreistufentarif je nach Rendite vor. MWST und DBST sollten das Provisorium der WUST und der Wehrsteuer ablösen und mit ihren Höchstsätzen in der Verfassung auf Dauer verankert werden
[28].
Nachdem bereits der bundesrätliche Entwurf unter Beschuss geraten war, taten sich die beiden Kammern und ihre vorberatenden Kommissionen schwer in der Behandlung dieses Geschäfts. Nach einem aufwendigen
Differenzbereinigungsverfahren, das sich vom Frühjahr bis in die Wintersession hinzog und manch heftige Auseinandersetzung provozierte, genehmigte das Parlament — der Nationalrat mit 101 gegen 74 Stimmen nur relativ knapp — schliesslich eine leicht veränderte Fassung: Bei der MWST wurden Erleichterungen für Kleinbetriebe eingeführt und die Beratungs- und Vermögensverwaltungsleistungen von Banken, Anwälten, Notaren und Treuhändern neu der Steuer unterstellt. Bei der DBST wurden die Sozialabzüge, nicht aber der Steuerfreibetrag heraufgesetzt und die Progression für höchste Einkommensteile auf 13,5% erhöht
[29].
Die drei bürgerlichen Regierungsparteien stellten sich in ihrer grossen Mehrheit hinter diese Fassung der Bundesfinanzreform, die FDP allerdings nur zögernd. Gewerbliche Kreise und Rechtsbürgertum lehnten jedoch die neue Regelung ab, teils weil sie befürchteten, die MWST-Beträge nicht voll auf die Konsumenten überwälzen zu können, teils weil ihnen die Progression bei der DBST zu weit ging. Rechtsfreisinnige wie z.B. Nationalrat Letsch (fdp, AG) hätten allenfalls die MWST akzeptieren können, sofern Gewissheit bestanden hätte, dass die Preiserhöhungen von den Konsumenten getragen werden müssten und nicht über den Landesindex der Konsumentenpreise auf die Lohnforderungen durchschlagen würden
[30]. Gerade umgekehrt begründete die extreme Linke ihre Ablehnung: weil keine Gewähr geboten sei, dass die voraussehbare Preissteigerung in jedem Fall durch Lohnerhöhungen kompensiert werden könne, müsse man die MWST, die zudem als Konsumsteuer die unteren Einkommen stärker belaste als die Grossverdiener, aus prinzipiellen Gründen bekämpfen
[31]. Der Landesring opponierte der Vorlage mit dem Argument, sie bringe weder die notwendige Reform des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen, noch lasse sie ernsthaftes Bemühen um eine Steuerharmonisierung erkennen
[32]. Die Sozialdemokraten schliesslich sagten zum Systemwechsel von der WUST zur MWST namentlich aus Aussenwirtschafts- und Arbeitsplatzgründen nicht prinzipiell nein, kritisierten aber das Finanzpaket, das Mehreinnahmen des Bundes ausschliesslich bei den privaten Haushalten hole, die kalte Progression bei den mittleren Einkommen keineswegs beseitige und Grossverdiener mittels der Sozialabzüge auf progressiv besteuerten Einkommensteilen wesentlich stärker entlaste als Familien mit kleinem Einkommen. Die mit steigender Rendite progressive Gewinnbelastung bevorzuge die kapitalintensiven Gesellschaften, wodurch gerade die gewinnträchtigen Banken und Versicherungen bei der direkten Bundessteuer entlastet würden; die Schweizerische Bankgesellschaft z.B. spare sich so gegenüber dem heute geltenden System rund 650 000 Fr. jährlich
[33].
Die Ablehnung der Bundesfinanzreform durch die
Sozialdemokraten erfolgte aber zur Hauptsache aus einem andern Grund: Diese Partei hatte bereits im Vernehmlassungsverfahren weitere steuerliche Massnahmen als Ergänzung zu MWST und DBST verlangt, war aber mit solchen Begehren weder beim EFZD noch im Parlament erfolgreich. Sie forderte im Sinne einer Opfersymmetrie neben der Konsumbelastung eine stärkere Besteuerung des Banken- und Finanzbereichs, der bei der MWST praktisch ungeschoren bleibe. Auch der Schwerverkehr müsse entsprechend dem Verursacherprinzip zur Kasse gebeten werden, denn wenn er seinen Konkurrenzvorteil gegenüber der Bahn verliere, so schrumpfe automatisch das Defizit der SBB und damit auch dasjenige des Bundes. Im Sommer präsentierte die SP eine ganze Palette durchgerechneter Steuervorschläge für den Banken- und Verkehrssektor, die zusammen 1,5 bis 2,5 Mia Fr. einbringen sollten und auf die wir in anderem Zusammenhang näher eintreten
[34]. Obwohl die Nationalbank in einem Gutachten einer zusätzlichen Besteuerung des Finanzbereichs nicht abgeneigt schien und selber einige Vorschläge zur Diskussion stellte und obwohl schliesslich im Herbst auch der Bundesrat ein minimales Entgegenkommen zeigte, um der Bundesfinanzreform eine breite Unterstützung zu erhalten, scheiterten sämtliche SP-Anträge an der bürgerlichen Mehrheit im Parlament. Die Kammern überwiesen zwar zwei Motionen, die den Bundesrat aufforderten, die Möglichkeiten der Verkehrs- und Bankenbesteuerung zu prüfen und bis Ende 1979 Berichte und allfällige Anträge vorzulegen; dieses Vorgehen bezeichneten die Sozialdemokraten jedoch als Alibimanöver
[35].
Auch bei der Revision des
Verrechnungssteuergesetzes, die als Teil der Bundesfinanzreform vonstatten ging, fanden die Sozialdemokraten kein Gehör. Obwohl Bundesrat Chevallaz Anfang Jahr eine von Nationalrat Bundi (sp, GR) vertretene Motion als Postulat entgegengenommen hatte, die eine Erhöhung der Verrechnungssteuer auf 50% als Massnahme gegen die Steuerhinterziehung verlangte, begnügt sich das revidierte Gesetz mit 35%, einem Satz, der bereits seit 1975 — bisher allerdings nur auf Zeit — gegolten hatte. Zudem erteilte man dem Bundesrat die Kompetenz, den Steuersatz auf 30% zu senken, wenn die Währungs- oder Kapitalmarktlage dies erfordere
[36].
[26] Zum Finanzplan vgl. oben, Anm. 10.
[27] Vgl. Bund, 12, 16.1.78; 35, 11.2.78; TG, 13, 17.1.78; TW, 22, 28.1.78.
[28] BBl, 1978, I, S. 849 ff. Vgl. insbesondere S. 917 ff. mit BBI, 1976, III, S. 1531 ff. Vgl. auch die Presse vom 21.3.78.
[29] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 149 ff., 535 ff, 662 ff., 729 f.; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1094 ff., 1171 ff., 1238 ff., 1249 ff., 1638 ff., 1649 ff., 1740 ff., 1851 ff., 1924 ff.; BBI, 1978, II, S. 1747 ff. Vgl. auch die Presse vom 11. und 19.4., 23.8., 13.9., 24.10., 21.11., 5. und 12.12.78. Bei der Schlussabstimmung mit Namensaufruf im NR verhielten sich die Regierungsparteien wie folgt : FDP (47 Sitze): 36 ja — 3 Nein — 2 Enthaltungen ; CVP (46): 39 — 1 — 3; SVP (23): 19 — 1 — 2; SP (54): 0 — 49 — 1.
[30] Vgl. NR Fischer (fdp, BE) in Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 1, 4.1.79 und NR Letsch, «Bundesfinanzreform 1978. Eine Zwischenbilanz nach den Beratung im Ständerat», in Wirtschaftspolitische Mitteilungen, 34/1978, Nr. 5. Vgl. auch wf, Artikeldienst, 6, 5.2.78 (« Echte und unechte Teuerung»). Zur Haltung der CVP vgl. unten, Teil Illa (Christlichdemokratische Volkspartei).
[31] Vgl. Vorwärts, 9, 2.3.78 ; 37, 14.9.78 ; 39, 28.9.78 ; 49-52, 7.-21.12.78 ; Bresche, 120, 11.9.78 ; 126, 4.12.78 ; 128, 15.1.79 und B. J. Lane, «Finanzpolitik und Klasseninteresse», in Positionen, 19, Dezember 1978, S. 15 ff.
[32] Vgl. die Fraktionserklärung in Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1924.
[33] Vgl. SP-Information, 24, 26.1.78; 25, 14.2.78; 27, 16.3.78; 30, 27.4.78; 33, 8.6.78; 40, 5.10.78; 44, 7.12.78 ; 45,21.12.78 ; 49, 8.3.79. Zur gewerkschaftlichen Kritik am Finanzpaket vgl. gk, 10, 2.3.78 ; 33, 28.9.78 ; 36, 19.10.78. Zur kalten Progression vgl. auch W. Bächli, Nominalwertprinzip und Inflation in der Einkommensbesteuerung, Diss. Zürich 1978.
[34] Vgl. R. H. Strahm / J.-N. Rey, Dossier SPS: Bundesfinanzen, Bern 1979; SP-Information, 35, 12.7.78 ; 36, 26.7.78; 37, 9.8.78 ; 41, 19.10.78. Vgl. aber auch NZZ, 146, 27.6.78. Vgl. ferner oben, Teil I, 4b (Banken) und unten, Teil I, 6b (Conception globale suisse des transports).
[35] Vgl. Brief der SNB vom 14.7.78 in Bundesfinanzreform. Ergänzungsbericht... vom 21./22.8.78; Schreiben des BR in Bundesfinanzreform. Ergänzungsbericht... vom 6.10.78. Vgl. auch oben, Anm. 29 und 34.
[36] Motion: Amtl. Bull. NR. 1978, S. 141 ff. Gesetzesrevision: vgl. Anm. 29. Vgl. auch TW, 75, 1.4.78; 139, 17.6.78; zur Steuerhinterziehung vgl. auch A. Hofer, La fraude fiscale en Suisse, Genève 1978.
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