Année politique Suisse 1978 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
Presse
Mit der Einsetzung der Expertenkommission für ein Gesamtmedienkonzept wurde die Arbeit an der Revision des Verfassungsartikels über die Presse unter Einbezug der
Presseförderung eingestellt. Die Vernehmlassung zu den Förderungsmassnahmen hatte widersprüchliche Meinungen zutage gefördert. Konkret bleibt umstritten, ob der Staat selbst Presseförderung betreiben und ob er dafür nur rechtliche Voraussetzungen schaffen oder auch die finanziellen Mittel bereitstellen soll. Gewarnt wird vor einer Wettbewerbsverzerrung und einer Gefährdung der Unabhängigkeit der Presse. Die Frage, ob die verschärfte Konzentrationsbewegung der letzten Jahre nicht ähnliche Gefahren zeitige, wurde mehrfach gestellt
[8]. Zahlreiche Stellungnahmen erachteten die Revision überhaupt als unnötig und inopportun, weil die Freiheit der Meinungsäusserung und Information sowie das Zensurverbot keiner besonderen Normierung bedürften. Nicht klar geregelt ist freilich der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den Presseschaffenden und ihren Informanten. Die unbefriedigende Rechtslage wird durch die Verurteilung der vier Chefredaktoren des «Tages-Anzeigers» dokumentiert, die sich trotz bundesgerichtlicher Aufforderung weigerten, anonym zugespielte Unterlagen zur Steueraffäre Solschenizyn herauszugeben. Das Bundesgericht hatte zuvor ausgeführt, aus der Pressefreiheit könne kein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht abgeleitet werden
[9].
In der Entwicklung der Presse verdienen das
Eingehen der «Tat», weitere Konzentrationsbewegungen und die Schwierigkeiten der Meinungspresse am meisten Beachtung
[10]. Ende September erschien die als sozialkritisches Boulevardblatt konzipierte neue «Tat» nicht mehr. Die einen sprachen von einem Verlust in der Schweizer Presselandschaft, andere schienen nicht unglücklich, dass eine in ihrer Optik seriösem Journalismus abholde Zeitung, die sich zudem mit Grossunternehmen anlegte, nicht überlebte. Im Sommer war dem bisherigen Chefredaktor R. Schawinsky gekündigt worden. Zudem wurde bekannt, dass die «Tat» trotz befriedigender Auflagehöhe tief in den roten Zahlen steckte. Nach der Ernennung K. Vögelis (der beim Konkurrenzblatt «Blick» gearbeitet hatte) zum neuen Chefredaktor verhärteten sich die Fronten zwischen P. Arnold, dem Präsidenten der Verwaltungsdelegation der Migros, und den Redaktoren der «Tat». Als letztere in einen Streik traten, gab die Migros die Zeitung auf — das Unternehmen geriet erstmals ernsthaft in das Spannungsfeld sozialpolitischer Konflikte
[11].
Im Kanton Bern fusionierten auf Anfang 1979 die erst zwei Jahre zuvor durch einen Zusammenschluss entstandenen « Berner Nachrichten » mit dem «Berner Tagblatt ». Das Projekt der «
Berner Zeitung» wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen; zu unterschiedlich schienen die beiden Partner. Zu Vermutungen über den Kurs des auflagestarken Blattes gab die Berufung des früheren freisinnigen Grossrates P. Schindler zum Chefredaktor Anlass. Er war dem vormaligen SP-Mitglied H. Battaglia, Chefredaktor der BN, vorgezogen worden
[12]. Mit kritischen Blicken werden die Konzentrationsbewegungen in der Ostschweiz beobachtet : Die Strategie des Zollikofer-Verlages, Herausgeber des «St. Galler Tagblattes», der seinen Einfluss Richtung Thurgau und Rheintal ausdehnte und sich mit dem Verleger der «Bündner Zeitung» arrangierte, bereitet der lokalen Meinungspresse zunehmend Sorge
[13]. In der Westschweiz hält die Verlagsgruppe Lousonna, Herausgeberin von «24 Heures », «Tribune le Matin» und «La Suisse», eine führende Stellung. Der Bundesrat antwortete jedoch auf eine schriftliche Anfrage, es könne hier nicht von einem Pressemonopol gesprochen werden. Als zusätzliche Gefahr für die weniger finanzkräftigen Zeitungen der Romandie werden die verschiedenen Gratisblätter angesehen; das letzte wurde im Dezember mit Hilfe einer Genfer Finanzgruppe in einer Auflage von über 600 000 Exemplaren gestartet
[14].
Zwei Versuche, einem Monopol die Stirn zu bieten, endeten unterschiedlich. Als Konkurrenz zu Biels Lokalzeitungen erscheint seit Anfang Jahr das Gratisblatt «Biel-Bienne». Es wurde als alternative, dreisprachige Wochenzeitung mit ausgebautem Textteil konzipiert und in der Seeländer Metropole positiv aufgenommen
[15]. Dagegen scheiterte im Welschwallis das Experiment «Journal du Valais»: Schwierigkeiten mit dem Verleger, Mängel in der Berichterstattung und zuwenig Inserenten beschleunigten das Eingehen nach nicht einmal zwölf Monaten
[16].
Die
Parteizeitungen kämpfen seit Jahren einerseits um das finanzielle Überleben, anderseits um die Erhaltung ihrer Unabhängigkeit von kapitalkräftigen Gruppen: Zur Deckung des Defizits des Organs «Freier Aargauer/Volksrecht» beschlossen die SP-Parteitage der Kantone Aargau und Zürich einen zusätzlichen obligatorischen Mitgliederbeitrag. Die Luzerner Liberalen hatten befürchtet, das «Luzerner Tagblatt» werde durch die Publicitas verkauft. Deshalb wurde in der ganzen Innerschweiz 'erfolgreich für den Kauf von Volksaktien geworben. Mit dem neugewonnenen Kapital konnte der Anteil des Publicitas-Aktienpaketes auf 25% vermindert werden
[17].
[8] Presse vom 11.8.78 ; La Gruyère, 92,12.8.78 ; Tat, 194, 23.8.78 ; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1471 f. (Einfache Anfrage bezüglich Presseförderung von NR J. Ziegler, cvp, SO); vgl. SPJ, 1977, S. 152.
[9] LNN, 292, 18.12.78; 103, 4.5.79; Vat., 297, 23.12.78; vgl. K. Wespi, «Wie weit darf die Presse ihre Informanten schützen ?», in TA, 294, 18.12.78. Vgl. auch SPJ, 1968, S. 132 f. (Verwaltungsverfahren des Bundes, Zeugnisverweigerungsrecht der Presse).
[10] Le Gutenberg, 9, 12, 13, 2.3.-30.3.78.
[11] B. Adler et al., Liquidiert: erstmals streikte in der Schweiz eine Zeitungsredaktion, Basel 1978. Entlassung von R. Schawinsky: Presse vom 26./27.7.78; Tat, 174, 29.7.78. Ende der Tat: Presse vom 26.9.78; BaZ, 253, 30.9.78; Lib., 2, 3.10.78; Ww, 40, 4.10.78. Stellungnahmen von P. Arnold: Brückenbauer, 27, 7.7.78; 32, 11.8.78; 39, 29.9.78; 40, 6.10.78. Vgl. auch die von den streikenden Tat-Journalisten herausgegebenen Sonderzeitungen (Wut, 2-7, 27.9.-24.10.78) sowie SPJ, 1977, S. 153.
[12] Presse vom 22./23.3.78 ; Ww, 13, 29.3.78 ; TW, 135/136, 13./14.5.78 ; 245, 19.10.78 ; BN, 245, 19.10.78 ; BaZ, 324, 22.12.78; Die Schweizer Presse, 1978, Nr. 2, S. 3; vgl. SPJ, 1977, S. 152; 1976, S. 151.
[13] BüZ, 12, 16.1.78; TA, 13, 17.1.78; 275, 25.11.78; NZZ, 28, 3.2.78.
[14] Verlagsgruppe Lousonna: Amtl. Bull. NR, 1978, S. 420 f. (Einfache Anfrage von NR J. Ziegler, sp, GE); JdG, 40, 17.2.78; GdL, 51, 2.3.78. Gratisblätter: NZZ, 259, 7.11.78; JdG, 267, 15.11.78; 282, 2.12.78; vgl. O. Hiestand, «Les feuilles d'annonces gratuites», in Le Gutenberg, 8, 23.2.78.
[15] TLM, 25, 25.1.78 ; TW, 52, 3.3.78 ; BaZ, 119, 5.5.78.
[16] 24 Heures, 2, 4.1.78 ; 126,2.6.78; 133, 10.6.78; 151, 1.7.78; 167, 20.7.78; Presse vom 15.12.78; vgl. JdG, 294, 16.12.78; TA, 294, 18.12.78 sowie SPJ, 1977, S. 153.
[17] Freier Aargauer/Volksrecht: Vr, 128, 5.6.78 ; 239, 12.10.78. Luzerner Tagblatt : BaZ, 119, 5.5.78 ; LNN, 132, 10.6.78; NZZ. 164, 18.7.78.
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