Année politique Suisse 1979 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Sozialdemokratische Partei
Gegenüber der FDP — und der ihr nahestehenden SVP — stellte die Sozialdemokratische Partei (SP) den Gegenpol im Spannungsfeld der politischen Hauptgruppen dar, Ihre Kampagne richtete sich generell gegen das Bürgertum und die Privatwirtschaft, ohne allerdings eine grundlegende Umwandlung der Gesellschaftsordnung zu propagieren. Erstmals liess die SPS ihre Wahlplattform am Parteitag von Arbeitsgruppen vorbesprechen, um die Delegierten intensiver an der Diskussion zu beteiligen. Wenn 1975 das Stichwort «Sicherheit» dominiert hatte, so lag der Ton diesmal stärker auf Lebensqualität. Man visierte eine Zukunft ohne Atomenergie, forderte eine «Energieverschwendungssteuer» und skizzierte ein Konzept zur Bremsung des Agglomerationswachstums und zur Entwicklung der Randregionen. Auch die internationale Solidarität fand breiteren Raum: so wurde die Bildung eines Fonds zur Unterstützung von Arbeitskämpfen in der Dritten Welt befürwortet. Der Parteitag liess erneut starke innere Spannungen zum Ausdruck kommen. Es gelang Präsident Hubacher, eine Debatte über den Rückzug aus dem Bundesrat auf eine spätere Arbeitstagung verschieben zu lassen; deren Diskussionen endeten ohne Abstimmung, wurden aber von Hubacher als Bestätigung des bisherigen Kurses interpretiert. Die Delegierten versetzten jedoch die Parteileitung ganz knapp in Minderheit, als sie das Wahlprogramm für alle Amtsträger der SPS verbindlich erklärten. Nationalrat Gerwig (BS) quittierte diesen Beschluss mit dem Hinweis auf das Instruktionenverbot für Parlamentarier in der Bundesverfassung. Die linke Opposition versuchte zugleich, die Wahlplattform inhaltlich zu radikalisieren; Erfolg hatte sie mit dem fakultativen Referendum für Rüstungsausgaben, dem Streikrecht auch für Staatsangestellte, einer Gleichstellung der Geschlechter durch allgemeine Festsetzung des Rentenalters auf 62 Jahre sowie mit einer unbedingten Kampfansage an das kriminalpolizeiliche Informationssystem KIS
[19]. Das Aktionsprogramm erhielt dadurch stärkere Akzente im Sinne einer Liberalisierung und Demokratisierung, die der Generation von 1968 näher liegt als die früheren Verstaatlichungstendenzen, die noch in der Plattform von 1975 einen Niederschlag gefunden hatten
[20].
Ein eigentliches Wirtschaftskonzept tritt jedoch in der Wahlerklärung von 1979 nicht in Erscheinung. Ein solches bleibt dem neuen Parteiprogramm vorbehalten, dessen Aufstellung 1976 beschlossen worden ist. Von der Arbeit der vorbereitenden Kommissionen wurde bekannt, dass sie dem Prinzip der Selbstverwaltung im ganzen gesellschaftlichen Leben besonderes Gewicht einräumt. Eine Gruppe von Zürcher Ökonomen veröffentlichte im Winter 1979/80 die Grundzüge eines Konzeptentwurfs, der sich weitgehend am jugoslawischen Wirtschaftsmodell orientiert
[21].
Das Ausbleiben eines Wahlerfolgs fand in der Partei unterschiedliche Deutungen. Während H. Hubacher erklärte, die SP habe überall, wo sie kämpferisch aufgetreten sei, Stimmen gewonnen, kam auch die Meinung zum Ausdruck, gerade die Verluste seien der Konfrontationspolitik zuzuschreiben
[22]. Als Problem wurden nicht nur die fortdauernden inneren Spannungen zwischen Jung und Alt, Intellektuellen und Arbeitern, Parteileitung und Sektionsdelegierten empfunden, sondern ebensosehr die Mitgliederstruktur, die von einer Überalterung geprägt ist sowie von der Tatsache, dass in den jüngeren Jahrgängen oft die Intellektuellen dominieren und die Arbeiter praktisch fehleng
[23]. Diesen Ausfall scheint man durch Öffnung gegenüber Bürgerinitiativen wettmachen zu wollen. Damit wird aber sozialdemokratische Politik nach einem Ausspruch des ehemaligen Jungsozialisten P. Vollmer, der trotz seinem Aufstieg zum Vizepräsidenten der Landespartei den Kontakt mit den extremeren Gruppen nicht verlieren möchte, zur Gratwanderung
[24].
[19] Parteitag: NZZ, 144, 25.6.79; TW, 145, 25.6.79. Wahlplattform: SPS, Politische Erklärung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz 1979-1983, Bern 1979 ; vgl. dazu SPJ, 1975,S. 174. Arbeitstagung : T14 217. 17.9.79. Zur Regierungsbeteiligung vgl. auch oben. Teil I, 1c (Regierung). zum Rüstungsreferendum oben. Teil I, 3 (Landesverteidigung in der Gesamtpolitik). zum KIS oben. Teil I, 1b (Öffentliche Ordnung).
[20] Vgl. Die sozialdemokratische Plattform 1975, Bern (1975). S. 5 (allfällige Bankenverstaatlichung). Die Tendenz zu einer nichtstaatssozialistischen Ordnung kommt in der Plattform von 1979 im Interesse für «alternative Wirtschaftsformen» zum Ausdruck (SPS, Politische Erklärung..., S. 111).
[21] Beschluss: vgl. SPJ, 1976, S. 175. Kommission: SP-lnformation, 49, 8.3.79, S. 368; U. Haldimann (Hrsg.), Sozialismus in der Schweiz? Basel 1979. S. 57 ff. Zürcher Ökonomen: Profil, 1979, S. 345 f ; 1980, S. 12 ff.
[22] Vgl. H. Hubacher in BaZ, 252.27.10.79; anderseits P.I. Vogel in Profil, 1979, S.312 ff. Vgl. auch BaZ, 284, 4.12.79.
[23] Vgl. R.H. Strahm. «Arbeiter und Linksintellektuelle in der SP», in Profit 1979, S. 305 ff.; U. Engler. «Die zentrifugalen Kräfte bremsen!», ebenda, S. 342 ff.; ferner P.I. Vogel. «Mit revolutionären Phrasen kommen wir nirgends hin», ebenda, S. 129 ff. (Kanton BE). Als Ausdruck der inneren Spannungen in der Zürcher Kantonalpartei wurde die Streichung des eher rechtsorientierten Regierungsrates A. Bachmann von der NR-Liste gewertet (TA, 116, 21.5.79; Vr, 117. 21.5.79).
[24] Bürgerinitiativen: NZZ (sda), 215, 17.9.79; vgl. auch R.H. Strahm in Profil, 1979, S. 311. Vollmer: BaZ, 193, 20.8.79; vgl. auch Bund, 82, 7.4.79.
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