Année politique Suisse 1979 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Christlichdemokratische Volkspartei
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) versuchte, wie bereits erwähnt, ihre Mittelposition durchzuhalten. Sie tat es erneut mit einem bemerkenswerten Aufwand an Programmarbeit. Der von ihrer Gesellschaftspolitischen Kommission bereits 1978 ausgearbeitete Entwurf zu einem Leitbild für die 80er Jahre erfuhr zwar noch gewisse Abstriche im Vernehmlassungsverfahren und an der Delegiertenversammlung vom Mai ; an dieser gelang es aber der Jungen CVP, wieder neue Akzente hineinzubringen. Die Jugendorganisation legte ausserdem einen kritischen Vergleich der Partei- und namentlich der Fraktionstätigkeit mit dem Aktionsprogramm von 1975 vor und erreichte, dass die Delegierten die Einsetzung einer Kommission beschlossen, die durch Kontrolle und Anregung dem neuen Leitbild Nachachtung verschaffen soll; Zusammensetzung und Aufgaben des Gremiums bleiben freilich Sache des Parteivorstandes [25]. Der Rückschau widmete sich auch ein Sammelband, an dessen Herausgabe sich Generalsekretär Fagagnini beteiligte. Darin mischten sich Rechtfertigung und Kritik der Entwicklung seit den Reformen zu Beginn der 70er Jahre. Offen wurde das weitgehende Misslingen des erhofften Einbruchs der Partei in nichtkatholische Bevölkerungsschichten zugegeben, und eine Reihe von Aussenstehenden erhielt Gelegenheit, die Formel «dynamische Mitte» in Frage zu stellen. Der Generalsekretär signalisierte ausserdem in einem Interview die Gefahr einer defensiven Politik der Mitte und setzte sich für einen «Aufruhr der Mitte» ein [26]. Dass die CVP einerseits ein Sparprogramm und anderseits verschiedene Konzepte für einen weiteren Ausbau des Sozialstaates (Bildungsreform, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, Gesundheitspolitik) veröffentlichte, brachte die Ambivalenz ihrer Position zum Ausdruck [27].
Im Wahlkampf sah sich die Partei, die ihr «hohes C» als Verpflichtung zu christlichem Engagement und christlicher Gestaltung verstanden wissen will [28], durch verschiedene Unregelmässigkeiten und Skandale belastet, in welche Exponenten aus ihren Stammkantonen verwickelt waren [29]. Diese Vorfälle wirkten sich freilich nur in Freiburg und im Wallis in nennenswerten Verlusten aus [30]. In beiden Kantonen waren auch Abspaltungen festzustellen [31].
 
[25] Leitbild: CVP der Schweiz, Gesellschaftspolitisches Leitbild der CVP der Schweiz Ein Orientierungsrahmen für die 80er Jahre, 1979. Zum Entwurf vgl. SPJ, 1978, S. 172. Delegiertenversammlung: Presse vom 7.5.79. Als Abstrich ist vor allem die Beschränkung der Mitbestimmung auf Unternehmensangehörige zu erwähnen, als neue Akzente die Ermöglichung des Zusammenlebens aller Ausländer mit ihren Familien und die Verhinderung von Missbräuchen des Bankgeheimnisses. Kritischer Vergleich: Junge CVP, Pressedienst, 7, 4.4.79.
[26] Rückschau: U. Altermatt / H.P. Fagagnini (Hrsg.), Die CVP zwischen Programm und Wirklichkeit. Zürich 1979. Interview: BaZ. 133. 11.6.79.
[27] Sparprogramm: vgl. oben, Teil I, 5 (Politique financière). Bildungsreform: vgl. oben, Teil I, 8a (Formation). Jugendarbeitslosigkeit : vgl. oben, Teil I, 7a (Marché du travail). Gesundheitspolitik : vgl. oben, Teil I, 7b (Santé publique).
[28] Vgl. H.P. Fagagnini, «Fragen nach der Gestaltungskraft christlicher Politik heute», in Civitas. 35/1979-80, S. 9 ff.; femer U. Altermatt. «Das „hohe C” : Wandlungen und Profile », in U. Altermatt / H.P. Fagagnini, a.a.O., S. 127 ff.
[29] Belastung: BZ, 61. 14.3.79; Ldb, 60, 14.3.79; Lib., 136, 14.3.79; Vat., 75, 30.3.79; 76. 31.3.79; Ww, 14, 4.4.79. Vgl. dazu oben. Teil I, 1c (Verwaltung), 1e (Abandons de mandat. Résultat des élections au Conseil des Etats, Elections cantonales: Grisons); ferner SPJ, 1977, S. 175.
[30] Grössere Stimmenverluste in FR und Sitzverlust in VS (vgl. oben, Teil I, 1e, Tabellen Elections au Conseil national).
[31] In FR lösten die Christlichsozialen des deutschsprachigen Sensebezirks ihre Fraktionsgemeinschaft mit der CVP (JdG, 273, 22.11.79; Lib., 45, 22.11.79); zu Übertritten im Oberwallis vgl. oben, Freisinnig-demokratische Partei. Vgl. auch Bund, 90. 19.4.79.