Année politique Suisse 1979 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Arbeitnehmer
Wie bereits erwähnt, stellt der Einzug der Mikroelektronik in Industrie und Dienstleistungen die Organisationen der Arbeitnehmer vor neue Probleme
[20]. Angesichts der zu erwartenden Verminderung des Arbeitsvolumens erhielt die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit bei den Gewerkschaften erhöhte Bedeutung. Im Blick auf ein neues Arbeitsprogramm für die 80er Jahre betonte man von seiten des
Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) aber zugleich den gesundheitlichen und humanen Aspekt der Arbeitszeitverkürzung. Das Arbeitsprogramm soll ausserdem auf die Demokratisierung der Arbeitswelt und die Erhaltung der Umwelt besonderes Gewicht legen. Im übrigen hält man die Aktivierung einer grösseren Zahl der Verbandsmitglieder für erforderlich, um eine Polarisierung in den eigenen Reihen zu vermeiden
[21]. Spannungen, wie sie die sozialdemokratischen Parteitage schon lange kennen, traten vermehrt auch an Gewerkschaftskongressen auf. So versuchte eine hauptsächlich aus welschen Delegierten bestehende Opposition die Aktionsrichtlinien für den Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) zu radikalisieren, wobei sie ganz knapp den Beschluss durchsetzte, der Verband müsse gegen alle Rationalisierungsmassnahmen kämpfen, die zur Aufhebung von Arbeitsplätzen führten. Die Verbandspräsidentin R. Schärer wandte sich demgegenüber in schärfster Form gegen ein Unterlaufen der Verbandsdemokratie mit Waffen aus dem Arsenal der Revolutionären marxistischen Liga und konnte sich im allgemeinen auf eine deutschschweizerische Mehrheit stützen, Erfolge gegen die Verbandsleitung vermochte die Basis auch am Kongress der Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) zu erzielen; so verpflichtete sie ihre Vertreter in den Organen des SGB aufdie Beschlüsse der Delegiertenversammlung. Dabei gehören der VPOD wie die GBH nicht zu den gemässigten Gliedverbänden des SGB
[22]. Dies gilt vielmehr für den Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verband (SMUV), dessen Vorstand im Juni die Gespräche mit der um das Manifest 77 gruppierten Opposition ergebnislos abbrach
[23].
Von den eidgenössischen Wahlen wurden auch die Gewerkschaften betroffen, kandidieren doch zahlreiche ihrer Vertreter jeweils auf verschiedenen Parteilisten. Als freilich SGB-Präsident R. Müller im Oktober an den Kongressen der GBH und der PTT-Union für die SP warb, blieb dieses Heraustreten aus der gewerkschaftlichen Neutralität nicht ohne Widerspruch
[24]. Anderseits hatte sich der SGB in der ersten Jahreshälfte von der Politik der SPS distanziert, indem er sowohl zur Atomschutzinitiative wie zur Bundesfinanzreform angesichts der Uneinigkeit seiner Unterverbände die Stimme frei gab. Über Differenzen zwischen gewerkschaftlichen Kreisen und SP auf kantonaler Ebene ist bereits berichtet worden
[25].
Im Bereich des
Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) fehlte es nicht an Äusserungen, die das «hohe C» betonten. So lehnte der Kongress des Christlichen Metallarbeiter-Verbandes (CMV) bei einer Statutenrevision die Streichung des C aus seinem Namen mit grosser Mehrheit ab. Der Christliche Holz- und Bauarbeiterverband (CHB) bestätigte, dass Mitglieder von marxistisch-kommunistischen Organisationen keine Verbandsfunktionen ausüben könnten
[26], Im Schweizerischen Verband evangelischer Arbeitnehmer (
SVEA) trat eine Wachtablösung sowie eine Verjüngung des Vorstandes ein; das Bestreben zur Zusammenarbeit mit SGB und CNG wurde betont
[27]. Der Landesverband freier Schweizer Arbeitnehmer (LSFA) gab sich ein neues Sozialprogramm und forderte die Arbeitgeber auf, mehr zur partnerschaftlichen Lösung der anstehenden Probleme beizutragen
[28]. Eine stärker gewerkschaftliche Ausrichtung zeichnet sich schliesslich im Schweizerischen Kaufmännischen Verband ab, dessen Generalsekretär A. Hubschmid für eine Ausdehnung der Mitbestimmung auf die Unternehmensebene eintritt
[29].
[20] Vgl. oben, Sozialpartner.
[21] Forderung: vgl. oben. Teil I, 7a (Conventions collectives de travail). Arbeitsprogramm: B. Hardmeier in Gewerkschaftliche Rundschau, 71/1979, S. 341 f.: Interview R. Müllers ( TW, ddp. 305.31.12.79). Polarisierung: B. Hardmeier, a.a.O.. S. 348.
[22] VPOD: Presse vom 29. u. 30.6. sowie vom 2.7.79; vgl. auch Bresche, 140, 9.7.79. GBH: Presse vom 12., 13. u. 15.10.79.
[23] SMUV-Zeitung, 24. 13.6.79 ; NZZ, 148, 29.6.79. Noch im Mai veröffentlichte das Manifest 77 Vorschläge für ein neues Gewerkschaftsprogramm, das u.a. die Verstaatlichung der Uhrenindustrie empfahl (NZZ, sda, 102. 4.5.79; Bresche, 138, 11.6.79). Vgl. dazu SPJ, 1978. S. 181.
[24] GBH: NZZ, 238, 13.10.79. PTT-Union: TA 242, 18.10.79. Für die SP-Kandidaten setzte sich auch die SMUV-Zeitung (42 17.10.79) ein. Vgl. ferner Wahlempfehlungen des CNG in Aktiv, 19, 10.10.79.
[25] Atomschutzinitiative: gk, 4. 1.2.79; vgl. SPJ, 1978, S. 180. Bundesfinanzreform: gk, 15, 26.4.79. Kantonale Ebene: vgl. oben, Teil I, 1e (Elections cantonales, Zurich).
[26] CMV : NZZ, 251.29.10.79; Aktiv, 21, 7.11.79. CHB: V0,190. 4.10.79 ; Aktiv, 19. 10.10.79 ; vgl. dazu SPJ, 1978. S. 181.
[27] Neuer Zentralpräsident wurde H. Garz. neuer Zentralsekretär J. Etter (TA, 220. 22.9.79; 221, 24.9.79).
[29] NZZ, 137. 16.6.79; TA, 137, 16.6.79; 138, 18.6.79.
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