Année politique Suisse 1979 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Totalrevision der Bundesverfassung
Neben den Arbeiten an einer neuen Bundesverfassung sind in den letzten Jahren auch Totalrevisionsbestrebungen in mehreren Kantonen zu verzeichnen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass ohne eine ausserordentliche Politisierung, wie sie der Jurakonflikt zu erzeugen vermochte, solche Initiativen auf steinigen Boden fallen
[15]. So erlitt ein erstes Reformwerk im Aargau, des zu Beginn des Jahrzehnts an die Hand genommen und 1978 nach mehr als fünfjähriger Tätigkeit eines Verfassungsrates abstimmungsreif geworden war, eine empfindliche Niederlage, die auch auf die eidgenössischen Revisionsbemühungen zurückwirkte. Die Aargauer Verfassungsvorlage enthielt neben einem ausgebauten Grundrechtekatalog namentlich eine Klärung des Gesetzgebungsprozesses, indem sie die gesetzgeberischen Kompetenzen des Kantons abschliessend aufzählte und durch die Abschaffung der Parlamentsdekrete der Umgehung des Volksentscheids einen Riegel schob. Dafür reduzierte sie das obligatorische Gesetzes- und Finanzreferendum auf ein fakultatives. Obwohl die meisten Parteien — mit Ausnahme von SVP und Nationaler Aktion — der Vorlage zustimmten, scheiterte sie, wobei eine bedrückende Stimmabstinenz und das Unbehagen über einen Abbau der Volksrechte zusammenwirkten
[16]. Mit hauchdünner Mehrheit wurde dann Ende des Jahres immerhin die Fortführung der Verfassungsarbeit gutgeheissen
[17]. Weitere Revisionsunternehmungen sind in Baselland, Solothurn und Thurgau in Gang gekommen. Während man die Baselbieter ohne vorgängige Befragung gleich einen Verfassungsrat wählen liess, sucht man in Solothurn nach einem Verfahren, das durch einen früheren Einbezug der Stimmbürger der Gefahr eines Scherbenhaufens vorbeugen soll
[18].
[15] Ausser der Verfassung des neuen Kantons JU (SPJ, 1977, S. 26) sind seit dem 1. Weltkrieg nur in NW (SPJ, 1965, S. 142. Anm. 2) und OW (SPJ, 1968, S. 134) neue Grundgesetze in Kraft getreten. Über das Scheitern des Verfassungsentwurfs für einen Kanton Basel vgl. SPJ, 1969. S. 28 f.
[16] Die Ablehnung erfolgte bei 21% Beteiligung mit 56.5% der Stimmen (NZZ, 99. 30.4.79). Vgl. NZZ, 88. 17.4.79: ferner SPJ, 1973. S. 11; 1978, S. 153 sowie unten. Teil II, 1a. Zur Rückwirkung auf die Bundesrevision vgl. BaZ, 100. 30.4.79: Bund, 101, 2.5.79; TA, 271. 21.11.79.
[17] Zustimmung mit 27 134 zu 26 946 Stimmen bei 21% Beteiligung (Vat., 280. 3.12.79).
[18] Vgl. unten. Teil II, 1a: zu SO insbes. TA, 271, 21.11.79: NZZ, 278, 29.11.79.
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