Année politique Suisse 1979 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Öffentliche Ordnung
Nach dem Scheitern der «Busipo» wurde die Verstärkung der Sicherheitskräfte zur Bekämpfung des Terrorismus und zum Schutz der öffentlichen Ordnung auf neuen Wegen angestrebt. War 1970 der Versuch mit einem alle Kantone umfassenden Konkordat und 1978 die Abstützung auf ein Bundesgesetz misslungen. so sollte jetzt das Ziel von regionalen Vereinbarungen her angestrebt werden [37]. Bereits 1977 war eine solche für die Ostschweiz in Kraft getreten; wenige Wochen nach der Verwerfung der «Busipo»-Vorlage wurde ein entsprechender Konkordatsentwurf der Zentralschweizer Kantone bekanntgegeben; dessen Text bezog ausdrücklich die Hilfe bei «schweren aufrührerischen Angriffen gegen Personen und Eigentum» ein [38]. Doch auch dieser «Zesipo» (Zentralschweizer Sicherheitspolizei) sagten die Linksparteien den Kampf an. Die Parlamente der meisten beteiligten Kantone stimmten dem Konkordatsbeitritt bis zum Sommer zu; nur Uri verschob den Entscheid auf das folgende Jahr. In Luzern und Zug kam es darauf zu Referendumsbewegungen; die Zuger Bürger erteilten jedoch im Oktober dem Vorhaben ihre Genehmigung [39].
Gleichzeitig mit dem Konkordatsentwurf wurde auch eine neue Bundesverordnung über den Truppeneinsatz für den Ordnungsdienst bekanntgegeben. Sie war seit den Luftterrorakten des Jahres 1970 vorbereitet worden und präzisierte namentlich Kompetenzfragen. So wird der Kommandant der Ordnungstruppen, falls nicht ein Kanton diese aufbietet, künftig vom Bundesrat und nicht mehr vom EMD ernannt. Ferner dürfen Schusswaffen und Sprengmittel — Notwehr und Notstand vorbehalten — nur mit Ermächtigung durch die Zivilbehörden eingesetzt werden. Auch legt die Verordnung Gewicht auf eine besondere Ausbildung der zu verwendenden Truppen. Sie regelt schliesslich die bisher der Praxis überlassene Ernennung und Funktion eines eidgenössischen Zivilkommissärs bei einer bewaffneten Intervention [40]. Auf eine sozialdemokratische Interpellation teilte der Bundesrat mit, dass für einen allfälligen Einsatz im Innern ein bestimmter Truppenverband ständig zur Verfügung gehalten werden soll [41].
Das Misstrauen insbesondere linker Kreise gegen jede Zentralisierung des Polizeiwesens trat namentlich in einer Auseinandersetzung um das geplante kriminalpolizeiliche Informationssystem KIS zutage. 1979 sollte von den Regierungen der Kantone und des Bundes eine Verwaltungsvereinbarung unterzeichnet werden, die — gestützt auf die Rechtshilfepflicht der Kantone nach Art. 352 des Strafgesetzbuches— als Rechtsgrundlage des neuen Systems gedacht war. Gegen diesen Plan erhoben sich verschiedenerlei Bedenken. Vor allem wurde geltend gemacht, für ein so umfassendes elektronisches Speichersystem sei der Datenschutz noch ungenügend entwickelt. Die Versicherung des Bundesrates, ein besonderes Reglement sei dafür vorgesehen und werde auf die kommende Datenschutzgesetzgebung abgestimmt, vermochte die Kritiker nicht zu befriedigen, da in den Kantonen mit Ausnahme von Genf gleichfalls noch keine entsprechenden Gesetze bestehen. Unbehagen bereitete sodann die Tatsache, dass der Bereich der zu speichernden Daten nicht klar abgegrenzt schien. So befürchtete man, es würden neben den zu Fahndungen benötigten Angaben über Personen und Gegenstände auch frühere Vergehen, Verdachtmomente, ja die Teilnahme an Streiks und Demonstrationen zentral registriert. Beanstandet wurde ferner, dass die Materie weitgehend auf Verordnungsstufe geregelt und damit dem Referendum in Bund und Kantonen entzogen werden sollte. Und schliesslich verwies man auf die internationale Dimension der Speichertätigkeit; soll doch das KIS auch der Rechtshilfe gegenüber dem Ausland dienen [42].
Obwohl der Chef des EJPD im Nationalrat — und Sprecher kantonaler Behörden in einem weniger öffentlichen Kreis — die geäusserten Bedenken zu widerlegen suchten, verdichtete sich die Opposition gegen das Projekt. Der Parteitag der SPS sagte ihm grundsätzlich den Kampf an [43]. In Basel-Land wurde gegen einen Kreditbeschluss des Landrats zugunsten des KIS das Referendum ergriffen, in anderen Kantonen eine Kreditgewährung für 1980 noch ausgesetzt. Ein Rechtsgutachten, das die Zürcher Regierung einholte, stellte Mängel fest [44]. Dies alles veranlasste die zuständigen Behörden, den Speicherungsbereich auf rein kriminalpolizeiliche Informationen zu beschränken und das ganze Projekt zu überarbeiten [45].
Die internationale Terrorszene stand 1979 weniger im Brennpunkt des Interesses. Im November gelang immerhin in Zürich anlässlich eines Banküberfalls die Verhaftung eines weiteren in der Bundesrepublik als Terrorist gesuchten Deutschen. Der Vollzug der Zuchthausstrafe an der im Vorjahr verurteilten Gabriele Kröcher fand keine dauerhafte Lösung; angesichts des erhöhten Sicherheitsrisikos wurde die Delinquentin von Gefängnis zu Gefängnis geschoben [46]. Eine neue Vorlage des Bundesrates für eine Antiterrorpolizei kam noch nicht in Sicht [47]. An Gewaltdrohungen und Gewaltakten fehlte es freilich nicht, doch hingen sie meist mit innenpolitischen Konflikten (Jurafrage. Atomkraftwerkbau) zusammen [48]. Auch das eidgenössische Waffengesetz liess auf sich warten. Um so mehr wurde eine entsprechende Regelung in Basel-Stadt beachtet, von der man eine «Lokomotivwirkung» auf andere Kantone erwartete. Am Eidgenössischen Schützenfest in Luzern protestierte freilich eine Waffensammler-Vereinigung gegen die angestrebten Einschränkungen [49].
 
[37] Vgl. SPJ, 1970. S. 17 f.; 1978. S. 16 f.
[38] Ostschweiz (Al. AR. GL. GR. SG. SH. TG): vgl. AS. 1977. S. 809 ff.; SPJ, 1975. S. 15 sowie SGT, 30. 6.2.80. Zentralschweiz (LU. NW. OW. SZ. UR. ZG); LNN. 15. 19.1.79; vgl. auch TA, 12. 16.1.79.
[39] Parlamente : Vat., 33.9.2.79 (SZ) ; 51.2.3.79 (0W) ; 155. 7.7.79 (NW); LNN, 151, 3.7.79 (LU); 154. 6.7.79 (ZG). Referendum : TA, 155.7.7.79. Volksabstimmung in ZG : Vat., 245.22.10.79. Zur Opposition der SP vgl. Vr, 162. 14.7.79.
[40] AS, 1979. S. 142 ff. Der Einsatz von Truppen ist nur zulässig. «wenn die zivilen Mittel der Kantone nicht ausreichen». Vgl. BaZ, 15. 18.1.79; JdG, 14. 18.1.79. Zum Zivilkommissär vgl. Z. Giacometti. Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949. S. 154; J.-Fr. Aubert. Traité de droit constitutionnel suisse, Neuchâtel 1967. S. 307.
[41] Interpellation Eggli (sp. ZH): Amtl. Bull. NR, 1980. S. 110 f.
[42] BaZ, 217. 17.9.79; Vr, 225. 26.9.79 ; Ww, 44. 31.10.79 ; Gesch. ber., 1978, S. 138 ; Amtl. Bull. NR, 1979. S. 721 ff.. 1550 ff. Zum Datenschutz vgl. oben. Grundrechte.
[43] Vr, 145. 25.6.79; SPS. Politische Erklärung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz 1979-1983. Bern 1979. S. V. Zur fragwürdigen Informationspraxis kantonaler Stellen vgl. unten, Teil I. 8c (Information).
[44] Basel-Land: BaZ, 106. 8.5.79; 144. 23.6.79; 304. 29.12.79. Andere Kantone: BaZ, 297. 19.12.79; vgl. auch SGT, 290. 12.12.79. Zürcher Gutachten: NZZ, 289. 12.12.79; Vr. 286. 12.12.79.
[45] Vgl. Presse vom 12.12.79. ferner BR Furgler in Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1552 ff. sowie Gesch. ber., 1979. S. 138.
[46] Banküberfall: TA, 270. 20.11.79; 271. 21.11.79; 296. 20.12.79. Gabriele Kröcher: TLM, 181. 30.6.79; NZZ (sda). 236. 11.10.79; zur Auslieferungsfrage vgl. T.4, 182. 9.8.79. Vgl. auch Ww, 48. 28.1 1.79 sowie SPJ, 1978. S. 17 f.
[47] Ein entsprechendes FDP-Postulat wurde vom BR entgegengenommen (Amtl. Bull. NR, 1979. S. 353 f.). Vgl. SPJ, 1978. S. 19; ferner JdG, 229. 2.10.79.
[48] Vgl. unten, Teil I, 1d (Jurafrage) und 6a (Kernenergie).
[49] Bundesgesetz: Gesch.ber., 1979. S. 123. Basel-Stadt: Bund, 70. 24.3.79; TA, 79. 4.4.79; vgl. unten, Teil II. 1e. Protest: LNN. 172. 27.7.79. Vgl. SPJ, 1978. S. 18.