Année politique Suisse 1979 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Parlament
Der Bericht über eine Reform des eidgenössischen Parlaments, der 1978 von einer aus Mitgliedern beider Räte bestehenden Studienkommission veröffentlicht worden war, fand noch vor den Wahlen eine erste Berücksichtigung durch den Nationalrat. Wie es die Studienkommission vorgesehen hatte, wurden ihre Vorschläge durch parlamentarische Initiativen in beiden Räten aufgenommen und im Sommer von den Fraktionen diskutiert. Die vorberatende Kommission des Nationalrats entschloss sich, eine erste Gruppe von Neuerungen noch in der zu Ende gehenden Legislaturperiode behandeln zu lassen; damit liess sich gleich auch eine Erhöhung der Spesenentschädigungen unter Dach bringen. Trotz dem Einwand der SP-Fraktion, das vorgelegte Paket sei zu mager, nahm die Volkskammer die Beratung auf, zeigte sich aber nicht besonders reformfreudig. Sie akzeptierte zwar eine Neuordnung des Systems der ständigen Kommissionen, damit ein grösserer Teil der Geschäfte von besonderen Sachkennern vorbereitet werden kann, wandte sich aber gegen einschneidendere Massnahmen zur Straffung des Ratsbetriebs (Sichtung der persönlichen Vorstösse, Vermeidung des Ablesens von Manuskripten). Immerhin soll der Rat die Gesamtredezeit für allgemeine Debatten beschränken können ; dafür werden in jeder Session Fragestunden eingerichtet [28]. Die Anpassung der Entschädigungen für Reise- und Unterhaltsspesen der Parlamentarier an die Teuerung fand in beiden Räten Zustimmung [29].
Über diese ersten Schritte zu einer Verfahrensreform hinaus drangen einzelne Vorstösse auf die Prüfung besonderer politischer Aspekte. So verlangte ein sozialdemokratisches Postulat die Einrichtung einer elektronischen Abstimmungsapparatur, um damit nicht zuletzt den Wählern eine Kontrolle ihrer Vertreter zu ermöglichen. Weitere Begehren betrafen die Problematik der Interessenbindungen von politischen Persönlichkeiten. Die Volkskammer beschloss, eine Kommission solle über die Zulässigkeit solcher Bindungen für Parlamentarier eine Regelung vorschlagen. Eine Motion, die zudem Vorschriften für ehemalige Bundesräte und für hohe Beamte anstrebte, wurde dagegen bloss als Postulat überwiesen [30].
Doch das Parlament war nicht nur grundsätzlich bestrebt, durch Verfahrensreformen — wie auch die bereits erwähnte Einbeziehung in die Regierungsplanung — seine Stellung aufzuwerten; es bemühte sich überdies, praktisch auf die Tätigkeit der Exekutive dann und wann stärker Einfluss zu nehmen. Von solchen Aktionen wird namentlich im Zusammenhang mit der Rüstungs- und der Aussenpolitik noch die Rede sein [31]. Ein Versuch jedoch, die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle dadurch zu erhöhen, dass wegen einer Indiskretion gegen Mitglieder der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wurde. zeitigte keinen Erfolg [32].
Die Neuordnung des Kommissionensystems erwies sich für Kleinfraktionen nicht unbedingt als günstig. Im Nationalrat wurden den ständigen Kommissionen wie bis anhin höchstens 23 Mitglieder zugeteilt; diese Gremien sollen aber künftig einen grösseren Teil der Geschäfte vorberaten. Während die Liberalen mit acht Mandaten fast überall Einsitz nehmen konnten, sah sich die Fraktion der äussersten Linken, obwohl sie nach den Wahlen auf sieben Vertreter angewachsen war, auf wenige grosse Spezialkommissionen beschränkt. Ihr Protest gegen den angewandten Verteilungsmodus blieb freilich vergeblich [33].
 
[28] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 983 ff., 1169 ff. Definitiver Text: AS, 1979. S. 1546 ff. Eine Beschränkung der Redezeit wurde auch dem BR auferlegt. Vgl. dazu BBI, 1978, II. S. 996 ff.; SPJ, 1978. S. 22 f.; ferner A. Fisch in Schweizer Monatshefte, 59/1979. S. 9 ff. Die parlamentarischen Initiativen wurden im NR vom Präsidenten der Studienkommission, Akeret (svp. ZH), im StR von F. Muheim (cvp. UR) eingereicht ( Verhandl. B.vers., 1978. IV. S. 15 f.). Der NR beauftragte im März eine neue Kommission mit der Ausarbeitung von Vorschlägen im Sinne des Berichtes der Studienkommission (Amtl. Bull. NR, 1979. S. 382).
[29] BBl, 1979. II. S. 955 ff.; Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1016 ff.. 1173 ; Amtl. Bull. StR, 1979. S. 409 f.; AS. 1979. S. 1323. Der NR beschloss zunächst etwas höhere Ansätze.
[30] Elektronische Apparatur: Amtl. Bull. NR, 1979. S. 96 f. Interessenbindungen von Parlamentariern; Amtl. Bull. NR, 1979. S. 131 ff. (Parlamentarische Initiative Ziegler, sp. GE) und 940 ff. (Motion Jaeger. Idu, SG). Ehemalige Bundesräte und Beamte: vgl. dieselbe Motion Jaeger.
[31] Rüstungspolitik: vgl. unten, Teil I. 3 (Rüstung). Aussenpolitik: vgl. unten Teil I. 2 (Staatsrechtliche Zuständigkeit). Zur Regierungsplanung vgl. oben. Institutionen.
[32] NR-Präsident Generali (fdp. TI) erstattete Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft wegen Indiskretion im Zusammenhang mit dem Bericht eines Ausschusses der Geschäftsprüfungskommission des NR über die Schweiz. Radio- und Fernsehgesellschaft. Zu gleich gab das Präsidium beider Räte die Ermächtigung zu einer Strafuntersuchung gegen NR-Mitglieder (NZZ, sda. 231. 5.10.79). Vgl. dazu unten, Teil I, 8c (Information).
[33] Die Sitzverteilung folgt den Proporzregeln für die NR-Wahlen (BaZ, 280, 29.11.79; LNN, 279. 1.12.79; Ldb,2280. 3.12.79; Vat., 292. 18.12.79). Protest: VO, 242. 17.12.79; 247. 27.12.79.