Année politique Suisse 1979 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
Prinzipien der Aussenpolitik
Die Diskussion um die schweizerische Aussenpolitik stand 1979 im Schatten weltpolitischer Ereignisse, insbesondere der weitreichenden Auswirkungen des Umsturzes im Iran, aber auch der wachsenden Spannungen zwischen West und Ost. Die Erschütterungen der iranischen Revolution zeigten sich in Form zunehmender Unruhe und Verunsicherung im islamischen Raum. Die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen des durch die Umwälzung in Persien und, als Folge davon, in der Region entstandenen Machtvakuums blieben nicht auf das dortige Gebiet beschränkt. Vor allem wegen des eskalierenden Konfliktes zwischen der neuen iranischen Führung und den Vereinigten Staaten von Amerika, der gegen Ende des Jahres in Teheran kulminierte, waren die Auswirkungen auch in den europäischen Ländern zu verspüren. Abgesehen von der unsicheren Situation im vorderasiatischen Raum wurde das Jahr 1979 von immer deutlicheren Anzeichen einer zunehmenden Spannung zwischen West und Ost geprägt. Schon bevor der russische Einmarsch in Afghanistan kurz nach Weihnachten eine bedrohliche Krise heraufbeschwor, liessen sich diesbezügliche Indizien nicht mehr übersehen, speziell nachdem die NATO den von Moskau heftig bekämpften Beschluss gefasst hatte, ihre Rüstung zu modernisieren, um so den Rüstungsvorsprung der Sowjetunion zu verkleinern. Schliesslich stand die Weltöffentlichkeit unter dem Eindruck einer in diesem Ausmass kaum je gesehenen Flüchtlingstragödie in Südostasien.
Das schlechte Abschneiden Bundesrat Auberts in den Bundesratswahlen
[1] und die bereits 1979 sich abzeichnenden Divergenzen zwischen Aubert und einigen seiner hohen Beamten, die im Februar 1980 zum unfreiwilligen Rücktritt von Staatssekretär Weitnauer führten
[2], machten deutlich, dass die Diskussionen um die neue Führung des EDA noch keineswegs beendet sind. Dennoch liess sich, nicht zuletzt als Resultat der Aufmerksamkeit erheischenden Vorgänge auf internationaler Ebene, ein gewisses Abflauen der Auseinandersetzungen feststellen. Zu Beginn des Jahres deutete allerdings noch nichts auf eine derartige Entwicklung hin. Vielmehr erreichten die Kontroversen um den vom Vorsteher des EDA gepflegten Stil im Gefolge von dessen Reise durch fünf afrikanische Länder einen eigentlichen Höhepunkt, was sich in einer der seltenen aussenpolitischen Debatten des Parlamentes niederschlug.
Die Afrikareise Bundesrat Auberts vom Januar 1979
[3] verfolgte eine doppelte Zielsetzung. Einerseits sollte damit, nach aussen wie gegen innen, die Bedeutung dokumentiert werden, die man in Bern dem Nord-Süd-Dialog und den Entwicklungsländern zumisst, andererseits diente die Visite zur Besprechung bilateraler Wirtschaftsprobleme
[4]. Schon vor dem Abflug erregte Bundesrat Aubert, ganz abgesehen von dem Missfallen, das Ziel und Dauer seines Besuchs bei den traditionell isolationistischen Kreisen auslösten, mit einem umstrittenen Interview vor allem im bürgerlichen Lager Kritik
[5]. Schienen sich die Gemüter nach einem Dementi des Departementes für auswärtige Angelegenheiten zu beruhigen, so bot eine Passage eines in Lagos veröffentlichten gemeinsamen schweizerisch-nigerianischen Communiqués, in der die beiden Staaten die Menschenrechtsverletzungen in aller Welt, insbesondere die Apartheid, verurteilten, Anlass zu Missfallenskundgebungen, deren Höhepunkt ein bitterer Wortwechsel zwischen Nationalrat Hofer (svp, BE) und Bundesrat Aubert war. Die Vorwürfe richteten sich dabei weniger gegen die Verurteilung Südafrikas als solche — auch wenn dieses Element, wie die nationalrätliche Debatte im März zeigen sollte, durchaus eine Rolle spielte — als gegen die Tatsache, dass sie in einer Erklärung enthalten war, die man mit einem andern Staat gemeinsam herausgegeben hatte
[6].
In einer Presseverlautbarung wies die SPS die hauptsächlich von bürgerlicher Seite herrührende Kritik scharf zurück und stellte sich damit vor ihren Bundesrat
[7]. Auch die nationalrätliche Kommission für auswärtige Angelegenheiten nahm den Angegriffenen in Schutz, allerdings nicht ohne selber gewisse Vorbehalte anzubringen. Sie verlangte zudem eine sofortige Beantwortung der immer noch hängigen Interpellationen zur Aussenpolitik in der Märzsession, womit allen Seiten Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben werden sollte
[8].
Die aussenpolitische Debatte gab, abgesehen von der Kritik an Auberts Stil, an der Besuchsdiplomatie ganz allgemein und an der Diskussion der Zielsetzungen der schweizerischen Aussenpolitik, auch den Rahmen ab für eine Erörterung der staatsrechtlichen Zuständigkeit für dieses Gebiet der Staatstätigkeit. Während sich der Bundesrat auf den Standpunkt stellte, die aussenpolitische Materie sei Sache der Regierung, wurden im Rat Stimmen laut, welche die Meinung vertraten, die Festlegung der Richtlinien liege in der Kompetenz der Bundesversammlung. Die aussenpolitischen Kommissionen der Räte waren denn auch gewillt, in Zukunft den ihnen vom Geschäftsreglernent eingeräumten Bewegungsspielraum besser auszunützen und auf diese Weise ihre Wirksamkeit zu erhöhen
[9].
Staatsrechtliche Überlegungen zur Aussenpolitik machte sich auch eine unter der Leitung von Nationalrat Duboule (fdp, GE) stehende Arbeitsgruppe der Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit. In ihrem Bericht forderte diese Gruppe auf aussenpolitischem Gebiet eine verstärkte Kooperation zwischen Bund und Kantonen und gleichzeitig vermehrte kantonale Kompetenzen. Als Vorbild schwebte ihr dabei ein Verhältnis vor, wie es in den USA. in Kanada, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland zwischen dem Gesamtstaat und den Einzelstaaten üblich ist. In Analogie dazu plädierte die Kommission für konsularische Vertretungen der Kantone im Ausland, vor allem aber für eine föderalistische Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung von Staatsverträgen, wobei sie in der gegenwärtig herrschenden schweizerischen Praxis bereits Ansätze zu einer Verwirklichung dieser Forderungen zu erkennen glaubte
[10].
[1] VgI. Teil I, 1c (Regierung).
[2] BaZ, 288, 8.12.79 ; zum Rücktritt Weitnauers siehe Presse vom 21.2.80.
[3] Aubert besuchte im Verlauf seiner Reise Nigeria, Kamerun, Obervolta, Elfenbeinküste und Senegal.
[4] NZZ, 9, 12.1.79; BaZ, 10, 12.1.79
[5] Ldb, 9, 12.1.79. Aubert dementierte später gewisse Teile des Interviews. Vgl. TA, 9, 12.1.79; vgl. auch G. Kreis. «Umstrittene Reisediplomatie». in Schweizer Monatshefte, 59/1979, S. 209 ff.
[6] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 203 ff.
[8] NZZ (sda), 30, 6.2.79; vgl. auch P. Aubert. «Débat de politique étrangère », in Documenta,1979, Nr. 2. S. 12 ff.
[9] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 203 ff.; BaZ, 106, 8.5.79.
[10] Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit. Kantone und Aussenpolitik, Solothurn 1979; NZZ, 127, 5.6.79.
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