Année politique Suisse 1979 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
 
UNO
Zumindest unter den Parteien und den Parlamentariern wird, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Notwendigkeit einer schweizerischen Ofïnung nach aussen kaum bestritten. Bedeutend kontroverser ist demgegenüber die Frage, wie weit eine solche Öffnung gehen soll. Im Zentrum der Aktivierungsbestrebungen der schweizerischen Aussenpolitik steht schon seit langem der geplante Beitritt der Schweiz zur UNO. Unter den Stimmbürgern herrscht nach wie vor Unsicherheit. Nach einer Umfrage hat 1979 sowohl die Zahl der Befürworter wie diejenige der Gegner des Beitritts prozentual abgenommen, während die Gruppe der Unentschlossenen kräftig gewachsen ist [25]. Das EDA begann deshalb bereits mit einer Informationskampagne das Terrain für die kommende UNO-Abstimmung zu ebnen. Wenn auch das genaue Datum des Volksentscheids noch nicht feststeht, so liess der Bundesrat doch im Frühjahr verlauten, eine diesbezügliche Vorlage werde noch im Verlauf der folgenden Legislaturperiode präsentiert werden, also noch vor 1983 [26]. In den meisten Kommentaren wurde dieser Entscheid begrüsst. Es waren dabei keineswegs nur befürwortende Kreise, die so reagierten; vielmehr gab es auch gegnerische Stimmen wie diejenige Ständerat Brogers (cvp, AI) oder Nationalrat Otto Fischers (fdp, BE), die sich in diesem Sinne äusserten, da sie sich von einem negativen Ausgang der Volksabstimmung eine baldige Erledigung des Problems erhoffen. Gewisse befürwortende Kreise nahmen eine solche Perspektive durchaus ernst, weshalb sie ein vorsichtiges Agieren empfahlen; andere vertraten demgegenüber die Auffassung, nur eine Vorlage vermöge das Volk dazu zu bewegen, sich mit diesem Problemkreis ernsthaft auseinanderzusetzen [27].
Während der Entscheid über eine UNO-Mitgliedschaft der Schweiz somit noch hängig ist, führt der Bundesrat seine seit 1946 verfolgte Linie eines Anschlusses an die Sonderorganisationen planmässig weiter. Ende Jahr veröffentlichte er deshalb eine Botschaft über den Beitritt zur UNIDO, die 1967 mit dem Ziel geschaffen worden ist, die Industrialisierung der Entwicklungsländer zu fördern. Die Frage eines formellen Beitritts stellte sich im Falle dieser Organisation, an der die Schweiz schon seit 1968 beteiligt ist, da die UNIDO-Generalkonferenz beschlossen hatte, der Institution den Status einer UNO-Sonderorganisation zu geben [28].
Nicht nur in der Frage des UNO-Beitritts stossen die Bemühungen des EDA um eine Aktivierung der schweizerischen Aussenpolitik auf Widerstand. Im Departement für auswärtige Angelegenheiten misst man der Verbesserung der Beziehungen zu den Drittweltländern grosse Bedeutung zu. Nachdem die Schweiz schon 1976 an der Konferenz der Blockfreien in Colombo (Sri Lanka) teilgenommen hatte, sah man in Bern die Beteiligung an der 1979 nach Havanna einberufenen Konferenz als Mittel, um den eingeschlagenen Weg verstärkter Kontakte zu dieser Staatengruppe konsequent fortzusetzen. Verschiedenenorts nahm man jedoch Anstoss an einer solchen Politik. So äusserte Nationalrat Hofer Bedenken, ob durch eine allzu enge Zusammenarbeit mit der Bewegung der Blockfreien nicht die schweizerische Neutralität verwässert werde. Er verwies zur Begründung vor allem darauf, dass es sich bei verschiedenen dieser Staaten nicht um wirklich blockfreie Länder, sondern um sowjetische Stützpunkte handle, so insbesondere bei Kuba, weshalb die Schweiz auf eine Beteiligung an der Tagung in Havanna verzichten solle. Demgegenüber vertrat der Bundesrat die Ansicht, nachdem die anderen neutralen Staaten Europas ihre Teilnahme zugesagt hätten, sei die schweizerische unumgänglich. Jedenfalls könnte in der Dritten Welt der Eindruck entstehen, die Eidgenossenschaft zeige für deren Interessen kein Verständnis, ein Eindruck, der angesichts der Abhängigkeit der Schweiz, etwa im Bereich der Rohstoffe, nachteilig sein könnte.Schliesslich rechtfertigte die Regierung den Entscheid mit den positiven Erfahrungen, die man an der Konferenz von Colombo habe machen können. Nicht nur sei der schweizerische Schritt auf ein ausgesprochen positives Echo gestossen, es habe sich auch gezeigt, dass solche Kontakte die Handlungsfreiheit der Beteiligten in keiner Weise tangierten [29].
Die Landesregierung wurde in ihrer Haltung von Vertretern der Wissenschaft bestärkt. Diese sahen in der Politik Auberts nur eine Fortsetzung der seit 1945 angestrebten bflnung der Schweiz nach aussen. Verstärkte Kontakte zu den Blockfreien, etwa in der Form einer Beteiligung an deren Konferenzen, würden die Grenzen zwischen der Neutralität :schweizerischer Prägung und dem Neutralismus nicht verwischen. Sie seien vielmehr ein probates Mittel, um die Neutralität der Schweiz weltweit glaubwürdiger erscheinen zu lassen [30].
 
[25] Ww, 35. 29.8.79.
[26] BaZ, 75. 29.3.79: NZZ, 74. 29.3.79.
[27] LNN, 50. 1.3.79.
[28] Botschafl in BBI, III, S. 1073 ff. Vgl. SPJ, 1968. S. 42.
[29] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 206 ff. und 214. Vgl. SPJ, 1976. S. 37.
[30] Prof. D. Frei in TA. 60. 13.3.79; Prof. E. Bonjour in BaZ. 26. 31.1.79.