Année politique Suisse 1979 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
 
Entwicklungshilfe
Wegen dieser Bemühungen um eine verstärkte Glaubwürdigkeit nach aussen spielt die Entwicklungshilfe im Konzept der schweizerischen Aussenpolitik eine immer wichtigere Rolle. Nach wie vor handelt es sich hier um ein von starken Emotionen belastetes Gebiet. Während die staatliche Entwicklungshilfe im Volk immer noch auf isolationistische Widerstände stösst, wird ihr von seiten gewisser Linkskreise, aber auch verschiedener Entwicklungshilfeorganisationen immer mehr vorgeworfen, allzu sehr auf schweizerische Interessen abzustellen.
Deutlich kam diese Problematik bei der Behandlung zweier neuer Vorlagen zum Ausdruck, mit denen das vom Bundesrat gesteckte Ziel, die öffentliche Entwicklungshilfe der Schweiz bis 1980 auf 0,25% des Bruttosozialproduktes anzuheben, erreicht werden soll. In der ersten Vorlage stand ein 270 Millionen-Kredit für die humanitäre Hilfe zur Debatte. Zwar stimmten die Sozialdemokraten dem Begehren, das die Hürden des Ständerates bereits Ende 1978 passiert hatte [31], nun auch in der Volkskammer zu, brachten jedoch gleichzeitig deutlich zum Ausdruck, sie hielten die im Kreditbetrag vorgesehenen Gelder für Nahrungsmittelhilfe in Form von Milchprodukten und Weizen für verfehlt. Unterstützt vom Landesring und verschiedenen Entwicklungshilfeorganisationen vertraten sie die Meinung, mit den dafür eingesetzten Beträgen würden unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe Nahrungsmittelverwertungsaktionen durchgeführt [32]. Nicht nur die bürgerlichen Parteien, sondern auch die Landesregierung nahm die Nahrungsmittelhilfe diesen Vorwürfen gegenüber in Schutz. Als Alternative zu den viel kritisierten Milchlieferungen aus der Schweiz komme nur der Kauf im betroffenen Gebiet in Betracht, der jedoch nicht unproblematisch sei. Ein derartiges Vorgehen vermöge wegen den fehlenden strikten Kontrollen die erforderliche Qualität der Milch nicht zu garantieren und lasse diese zudem leicht für weite Bevölkerungsschichten unerschwinglich werden. Besonders aber hielt man der Kritik entgegen, dass es sich beim vorliegenden Kredit ja um Gelder für Notfallhilfe handle, also zur Überwindung einer vorübergehenden Knappheit etwa im Gefolge einer Naturkatastrophe, und nicht um eine dauernde Hilfe. Eine Abhängigkeit der betreffenden Gebiete von Nahrungsmittelimporten sei deshalb nicht zu befürchten [33].
Auch die Botschaft des Bundesrates über die Beteiligung der Schweiz an den Kapitalerhöhungen der Asiatischen, der Interamerikanischen und der Afrikanischen Entwicklungsbank [34] gab in den Räten zu heftigen Auseinandersetzungen Anlass, bei denen die Interamerikanische Entwicklungsbank im Zentrum stand. Die Regierung bezeichnete eine solche multilaterale Hilfe als wichtigen Teil der staatlichen Entwicklungshilfe, die zudem gegenüber der bilateralen Hilfe häufig den Vorteil besitze, nicht an politische oder ökonomische Bedingungen geknüpft zu sein, und zudem imstande sei, Programme einer Grössenordnung zu finanzieren, die den Rahmen einer bilateralen Hilfe sprengten. Diese Argumentation begegnete Einwänden von verschiedener Seite. So bemängelten die Sozialdemokraten, aber auch den Entwicklungshilfeorganisationen nahestehende Kreise, die von jenen Banken praktizierte Art der Kreditgewährung verschärfe die bestehenden sozialen Gegensätze noch und werde zudem den Bedürfnissen der ärmsten Länder zuwenig gerecht [35]. Ausserdem wurde geltend gemacht, eine Unterstützung der Interamerikanischen Entwicklungsbank sei angesichts des wirtschaftlichen Potentials von Lateinamerika nicht gerechtfertigt. Auch in diesem Fall wiesen der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit die erhobenen Vorwürfe zurück. Die erhöhte Beteiligung der Schweiz betreffe Institutionen, die vor allem die ländliche Entwicklung förderten, so auf wirtschaftlichem, sozialem, gesundheitlichem und erzieherischem Gebiet. Dank der Präsenz schweizerischer Verwaltungsräte in der Leitung dieser Institutionen verfüge man über genügend Einflussmöglichkeiten, um Fehlentwicklungen zu steuern. So wurde denn ein sozialdemokratischer Antrag auf Streichung der für die Interamerikanische Bank bestimmten Kredittranche relativ deutlich verworfen [36].
Breitere Unterstützung wurde im Nationalrat einem weiteren sozialdemokratischen Antrag zuteil, der die Leistung von Entwicklungshilfe mit der Einhaltung der Menschenrechte verknüpfen wollte. Erst der Stichentscheid des Präsidenten gab den Ausschlag zuungunsten des Vorstosses, wobei die Fronten nicht eindeutig den Parteilinien entlang verliefen. Der Bundesrat wie auch die übrigen Gegner des Abänderungsantrags wiesen voi allem auf die bei einer Annahme entstehenden Anwendungsschwierigkeiten hin, gaben darüber hinaus aber auch zu bedenken, dass es neben den Menschenrechten auch ein Recht auf Existenz gebe. Es sei deshalb ungerecht, die Armen, denen die Entwicklungshilfe ja primär zukommen sollte, dafür zu bestrafen, dass sie unter einer Diktatur lebten [37].
Angesichts der Diskussionen um die multilaterale Hilfe stellt sich die Frage, ob die Schweiz auf diese Form der Entwicklungshilfe überhaupt verzichten könnte. Schon aus aussenpolitischen Rücksichten scheint das nicht möglich. Deutlich wird dies durch den immer stärkeren Druck unterstrichen, der von verschiedenen westlichen Staaten wegen des schweizerischen Abseitsstehens in bezug auf die IDA (Internationale Entwicklungsagentur) auf unser Land ausgeübt wird. Er zeigt sich immer mehr, dass ein weiteres Fernbleiben der Schweiz negative Konsequenzen zeitigen könnte. Es war insbesondere der aufsehenerregende Ausspruch von Nationalbankpräsident Leutwiler: «Ich schäme mich ein Schweizer zu sein», der aufrüttelnd wirkte. Nach Leutwiler besteht die ernsthafte Gefahr, dass die schweizerische Exportindustrie wegen der kleinlichen Haltung des Landes gegenüber der IDA über kurz oder lang Diskriminierungen ausgesetzt sein könnte. Insbesondere die amerikanische Regierung werfe der Schweiz vor, zuwenig zu tun [38]. Staatssekretär Jolies betonte, er habe anlässlich seiner Gespräche mit Weltbankverantwortlichen feststellen müssen, dass weltweit das Verständnis für den Sonderfall Schweiz im Sinken sei. Er verlangte deshalb nichts weniger als die Korrektur des Volksentscheids von 1976 [39].
Der Bundesrat verschloss sich diesen Erkenntnissen nicht. An einer Pressekonferenz machte Bundesrat Honegger öffentlich bekannt, das Thema eines schweizerischen Beitrags an die IDA werde in der Regierung neu diskutiert. Als mögliches Vorgehen sah man im Bundesrat die Umwandlung der schweizerischen IDA-Darlehen von 1967 und 1972 in ein Geschenk vor [40]. Wegen der nach wie vor geringen Popularität der IDA im Volk, nicht zuletzt aufder Linken, zeigte sich der Bundesrat, obwohl er dazu aufgrund der neuen Fassung des Staatsvertragsreferendums nicht verpflichtet war, bereit, einen solchen Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Im übrigen verzichtete er vorderhand auf eine neue IDA-Vorlage. Dieser Verzicht fiel ihm allerdings nicht eben schwer, da der gegenwärtige Rahmenkredit für die Entwicklungshilfe von 735 Mio Fr. ohnehin auf Ende 1980 ausläuft und deshalb für diesen Zeitpunkt eine neue Vorlage präsentiert werden muss, in der ein IDA-Beitrag Berücksichtigung finden könnte [41]. Auch die Entwicklungshilfe blieb von den Kürzungen im Finanzplan nicht verschont. Statt auf 475 Mio Fr. sollte der bisherige Betrag von 399 Mio Fr. nur auf 440 Mio Fr. erhöht werden. Ein sozialdemokratischer Antrag, den ursprünglich vorgesehenen Betrag wieder einzusetzen, wurde im Nationalrat zur knapp, mit 86 zu 79 Stimmen, verworfen. Diese knappe Ablehnung zeigte deutlich, welche Bedeutung das Parlament einem verstärkten Ausbau der Entwicklungshilfe zumisst [42].
Wie bereits 1978 stand die Flüchtlingspolitik auch im Jahr 1979 im Zeichen der katastrophalen Lage in Südostasien. Angesichts des immer grössere Dimensionen annehmenden Dramas und der offensichtlichen Überforderung der unmittelbar betroffenen Länder blieb auch der schweizerischen Regierung nichts anderes übrig, als ihre Zurückhaltung aufzugeben. Dazu trug nicht nur das Drängen des Internationalen Hochkommissariats für Flüchtlinge bei, sondern auch ein stärkerer Druck der öffentlichen Meinung, die durch die aufsehenerregende Fernsehsendung Holocaust über die Judenverfolgungen des 2. Weltkriegs für das Problem sensibilisiert worden war. Bereits im Dezember 1978 hatte der Bundesrat, nachdem bis Ende November erst 510 Flüchtlinge Einlass gefunden hatten, beschlossen, ein zusätzliches Kontingent von 300 einreisen zu lassen [43]. Das Thema war damit jedoch nicht erledigt. Unter Ablehnung der berüchtigten «Das Boot ist voll »-These verlangten die Flüchtlingswerke die Aufnahme weiterer Unglücklicher [44]. Mitte Juni gab der Bundesrat bekannt, man wolle sowohl 1979 wie auch 1980 je 1000 neue Flüchtlinge aufnehmen, sei jedoch bereit, diese Zahl, falls nötig, zu erhöhen [45]. Gleichzeitig erklärte die Landesregierung an der nach Genf einberufenen Sonderkonferenz der UNO ihre Bereitschaft, einen echten Beitrag zu leisten [46]. Im Zeichen dieser Politik kamen schliesslich im Verlauf des Jahres über 2800 asiatische Flüchtlinge in die Schweiz [47].
1979 konnte das Asylgesetz zu Ende beraten werden, nachdem sich 1978 vor allem hinsichtlich des Familienbegriffs zwischen den Auffassungen der beiden Räte Unterschiede ergeben hatten [48]. Der Nationalrat stimmte schliesslich der engeren Fassung des Ständerates zu. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wurde die rechtliche Stellung des Flüchtlings in der Schweiz gegenüber früher gestärkt und gleichzeitig klarer umschrieben [49].
Die Diskussion um eine weltweite Verwirklichung der Menschenrechte verstummte auch 1979 nicht [50]. Wie schon im Vorjahr Ständerat Guntern (cvp, VS) [51] forderte nun auch Nationalrat Oehler (cvp, SG) in einer Motion die Schaffung einer nationalen Instanz, die die Einhaltung der Menschenrechtsvereinbarungen von Helsinki verfolgen und die Öffentlichkeit und das Parlament periodisch informieren sollte. Der Bundesrat wiederholte seine Ablehnung und erklärte eine derartige Kommission als wenig sinnvoll, da die ihm und dem Parlament diesbezüglich zur Verfügung stehenden Kompetenzen ausreichend seien. Hingegen war er bereit, wie dies Nationalrätin Nanchen (sp, VS) in einem Postulat verlangte, einen Bericht zu verfassen, der Möglichkeiten für einen verstärkten Schutz der Menschenrechte aufzeigen sollte [52]. Noch keine konkreten Fortschritte wurden in der Frage des Abschlusses einer internationalen Anti-Folter-Konvention erzielt. Wie angekündigt führten die Behörden Konsultationen mit anderen Staaten über die Möglichkeit, den Schweizer Entwurf, der sich von demjenigen Schwedens und der Internationalen Vereinigung für Strafrecht vor allem durch wirksamere Kontrollen unterscheidet, als Variante ins Spiel zu bringen [53].
 
[31] Vgl. SPJ, 1978, S. 45; Botschaft in BBI, 1978. 11. S. 777 ff.
[32] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 194 ff. Ähnliche Kritik fand ihren Niederschlag auch in der Presse: vgl. BaZ, 55. 6.3.79.
[33] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 196; NR Hofmann (svp. BE) in NZZ, 89. 18.4.79.
[34] BBI, 1979, I, S. 873 ff.
[35] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 604 ff.; Amtl. Bull. StR, 1979. S. 410 ff.; siehe auch BaZ, 131. 8.6.79.
[36] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 624.
[37] Antrag Morf (sp. ZH) in Amtl. Bull NR. 1979. S. 627 ff. Ein gleichlautender Antrag im StR wurde deutlich verworfen (Amtl. Bull. StR, 1979, S. 410 ft).
[38] Interview mit F. Leutwiler in SHZ, 39, 27.9.79.
[39] BaZ, 237. 10.10.79. Vgl. SPJ, 1976. S. 43 f.
[40] NZZ, 240. 16.10.79. Es handelt sich hier um die Umwandlung von in den Jahren 1967 (52 Mio Fr.) und 1972 (131 Mio Fr.) gewährten Darlehen in Geschenke. Vgl. Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1489. Zum Kredit von 1967 vgl. SPJ, 1967. S. 42; zu demjenigen von 1972 SPJ, 1971, S. 52; 1972, S. 43 (in 400 Mio-Kredit enthalten).
[41] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1489. Vgl. AS, 1977, S. 807.
[42] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 1573 ff. Vgl. unten, Teil I, 5 (Plan financier).
[43] Ww, 2. 10.1.79; vgl. SPJ, 1978. S. 44.
[44] BaZ, 124. 30.5.79; TA, 123. 30.5.79; NZZ, 125. 1.6.79.
[45] NZZ, 139. 19.6.79.
[46] NZZ, 165. 19.7.79; BaZ, 167. 20.7.79.
[47] NZZ, 282. 4.12.79.
[48] Vgl. SPJ, 1978, S. 44.
[49] Amtl. Bull. NR. 1979, S. 564 ff. und 1048 f.; Amtl. Bull. StR. 1979, S. 60 ff. und 335 ff.
[50] Zur Verwirklichung der Menschenrechte in der Schweiz vgl. oben, Teil I, 1b (Menschenrechte).
[51] Vgl. SPJ, 1978, S. 43 f.
[52] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 387 f.
[53] NZZ, 290. 13.12.79: vgl. auch A. Riklin (Hrsg.). Internationale Konventionen gegen die Folter, Bern 1979 sowie SPJ, 1978, S. 43.